MINDO: Herr Willberg, die Corona-Panik geht um. Wieso verlieren gerade so viele Menschen den sprichwörtlichen Kopf?

 

HANS-ARVED WILLBERG: Auslöser ist zunächst die Tatsache, dass es sich um einen unter Umständen lebensgefährlichen Erreger handelt, gegen den es noch keine Medizin gibt und der offenbar sehr ansteckend ist. Außerdem hat sich die chinesische Regierung nicht gerade vertrauensfördernd verhalten, als es darum ging, das Virus einzudämmen. Das alles verunsichert die Menschen. Das Thema dominiert jetzt die Berichterstattung in den Medien und die Unterhaltungen der Menschen. Dadurch erhält es sehr viel Aufmerksamkeit. Das wiederum ist die beste Voraussetzung dafür, mehr daran zu denken als es guttut, denn so entstehen alle möglichen Fantasien dazu. Bei Menschen, die ohnehin schon zu Angst und Misstrauen neigen, kann sich das natürlich übel aufschaukeln.

 

 

Wo liegt der Unterschied zwischen begründeter Angst und Panik?

 

WILLBERG: Eben darin: in der Begründung. Die Frage ist: Entspricht der Auslöser meiner Angst? Wie ist es, wenn ich mir vorstelle, die Angelegenheit ganz nüchtern und sachlich und ohne die Angst zu betrachten? Im Fall von Corona könnte das heißen: Wie hoch ist eigentlich die tatsächliche Ansteckungsgefahr für mich und die Menschen, die mir nahestehen, und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben? Man kann das zwar im Blick auf das Corona-Virus noch nicht genau sagen, aber dafür gibt es ja auch wieder einen guten Grund: Im Zeitalter der modernen Medizin und Hygiene hat ein solches Virus noch nicht unaufhaltsam immer weiter gewütet. Also ist doch die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass es auch dieses Mal schon bald zu einer Eindämmung kommen wird. Panisch zu reagieren würde jetzt bedeuten, mit Horrorfantasien ein schreckliches Ende vorwegzunehmen, das sehr wahrscheinlich nicht eintreten wird.

Menschen ertragen es nicht, keine vollständige Kontrolle über ihre Zukunft herstellen zu können.

Was ist das Fatale an Panik?

 

WILLBERG: Man opfert ihr die Vernunft, hat selbst unnötig Stress damit, infiziert andere mit der Angst oder geht ihnen zumindest ziemlich auf die Nerven.

 

 

Wie können wir zu einem angemessen wachsamen und gleichsam gelassenen Verhalten zurückfinden?

 

WILLBERG: Psychologische Untersuchungen zeigen, dass ein mutmaßlich hoher Teil von seelischen Problemen wie Angst- und Zwangsstörungen aus einem Phänomen besteht, das man die „Ungewissheitsintoleranz“ nennt. Menschen ertragen es nicht, keine vollständige Kontrolle über ihre Zukunft herstellen zu können. „Doch seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich“, hat Erich Kästner so schön und richtig formuliert.

Es ist ja nicht zu leugnen: Das Corona-Virus ist eine Gefahr – und klar, es kann auch mich oder einen lieben Menschen aus meinem Umfeld treffen. Es ist eine von den vielen Lebensgefahren, mit denen wir es Tag für Tag zu tun haben. Jedem von uns schlägt irgendwann die letzte Stunde und normalerweise suchen wir uns nicht aus, wann das sein wird. Wenn wir uns durch diese Epidemie daran erinnern lassen, tut sie uns einen guten Dienst. Dann gehen wir vorsichtig und nachdenklich damit um, aber ohne Panik, weil es dafür gar keinen Grund gibt.

 

 

Und was wünschen Sie sich von Christen in diesen Tagen?

 

WILLBERG: Es gehört zu den Kernelementen des christlichen Glaubens, im klaren Bewusstsein der Begrenzung der menschlichen Möglichkeiten und unseres Daseins in dieser Welt zu leben. Aber noch wichtiger ist für uns der Trost: dass wir liebevoll von Gott mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten umfangen sind und bleiben. Darum dürfen wir auch mutig und tapfer sein, wenn wir akuten Bedrohungen ausgesetzt sind, und darauf vertrauen, dass es einen sehr guten Weg geben wir, mit ihnen umzugehen.

Viele Christen heute leiden aber genauso an der „Ungewissheitsintoleranz“ wie viele andere. Einige von ihnen versuchen damit fertig zu werden, indem sie scheinbar „klare Erkenntnisse“ für sich in Anspruch nehmen, die ihnen die Sicherheit versprechen, die sie suchen. Sie sind anfällig für problematische Deutungen solcher Ereignisse wie zum Beispiel Verschwörungstheorien oder die Ansicht, die Wissenschaft sei grundsätzlich nicht ernstzunehmen. Ich wünsche mir von solchen Christen, dass sie nicht die Augen vor der Realität verschließen, sondern Verantwortung übernehmen.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

 

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DR. Hans-Arved Willberg

Jahrgang 1955, ist Theologe, Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e. V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.

 

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