Wenn es um das Thema „Erschöpfung“ geht, ist es sehr hilfreich, wenn man Ratsuchenden Tipps für ein systematisches Vorgehen an die Hand geben kann. Gleichzeitig sollte es aber auch möglich sein, individuelle Bedürfnisse und Situationen zu berücksichtigen. Das Konzept, das ich daraus für meine Praxis für Burnout-Prävention entwickelt habe, gliedert sich in vier Bereiche: „Meine Person“, „Meine Belastungen“, „Meine Ressourcen“ und „Meine Erholungskompetenz“. Jeder Bereich lässt sich auf ganz individuelle Art betrachten und an die jeweiligen individuellen Bedürfnisse anpassen. In dieser ersten Folge betrachten wir den ersten Aspekt: „Meine Person“.

 

Die große Reise

Die wohl spannendste und lohnenswerteste Reise, die es gibt, ist: zu entdecken, wer man ist! Was einen geprägt hat, was man gelernt und erfahren hat, was man für richtig und wichtig hält und welche Rollen man im Leben besetzt. Aber auch: Welche Charakterzüge man hat und was die eigene Persönlichkeit ausmacht. Wie man am liebsten arbeitet und wie man sich am besten erholt. Welche Meinungen man zu bestimmten Themen hat und welche Überzeugungen man mitbringt.

 

Wir sind hochkomplexe Wesen und ich bin immer wieder fasziniert davon, wie das Zusammenspiel all dieser Faktoren uns im Alltag Glück, Freude und Gelingen ermöglicht. Und auch wenn das leider nicht immer der Fall ist, dürfen wir grundsätzlich erst einmal davon ausgehen, dass wir gut und richtig sind, wie wir sind. Alles, was wir sind und was uns ausmacht, ist das Ergebnis der Verarbeitung dessen, was wir erlebt haben, der Eigenschaften, die in unseren Genen angelegt sind, und dem, was uns unsere Vorbilder mitgegeben haben (die wir uns in unseren jungen Jahren zumeist nicht aussuchen konnten).

 

Wenn wir nun heute bemerken, dass das Leben holpert und stockt oder wir gar unzufrieden oder unglücklich sind, dann sollten wir nicht lange mit dem hadern, wie wir sind, sondern überlegen, wo wir erneut Anpassungsschritte leisten können. Das möchte ich an ein paar Beispielen veranschaulichen:

 

Stellen Sie sich vor, wie es einem Vegetarier als Angestelltem einer Metzgerei ginge. Zugegeben: Kommt kaum vor! Doch das Bild verdeutlicht etwas: Ein wichtiger Faktor für unser Wohlbefinden ist nämlich, dass sich unsere Arbeit und unsere Werte nicht ständig und grundsätzlich widersprechen; dass das, wovon wir zutiefst überzeugt sind, von uns auch gelebt werden kann (oder zumindest nicht mit Füßen getreten wird).

 

Oder folgendes Szenario: Ein Mensch, der so ähnlich veranlagt ist wie ich, müsste den ganzen Tag Zahlenkolonnen in Tabellen einfügen oder – noch schlimmer! – Zahlenkolonnen miteinander vergleichen. Allein die Vorstellung treibt mir den Schweiß auf die Stirn! Es liegt nicht in meiner Persönlichkeit, dass ich mich gewissenhaft mit wiederkehrenden Mustern beschäftige. Andere jedoch lieben es und blühen darin auf, wenn sie akkurat arbeiten dürfen. Für sie sind wiederum flexible Arbeitsabläufe ein Graus. Es ist also wesentlich für unser Wohlbefinden, dass unsere Persönlichkeit überwiegend zu unseren Aufgaben passt.

Es ist wesentlich für unser Wohlbefinden, dass unsere Persönlichkeit überwiegend zu unseren Aufgaben passt.

Und das letzte Beispiel betrifft die Rollen, die wir im Leben innehaben: Mutter/Vater, Sohn/Tochter, Partner/Partnerin, Freundin/Freund, Kollege/Kollegin etc. So vieles soll und muss oft unter einen Hut gebracht werden. Das ist schwierig. Und konfliktträchtig. Und stressverdächtig! Denn zum einen kann es sein, dass die Erwartungen, die wir selbst an uns innerhalb einer bestimmten Rolle stellen, zu hoch sind; zum anderen, dass sich unsere Erwartungen und die der anderen nicht decken oder gar widersprechen. Das muss geklärt und verhandelt werden, wenn wir glücklich und zufrieden durchs Leben gehen wollen.

 

Kleine Schritte gehen

Aber was tun? Ich plädiere weder für die „Ab-heute-mache-ich-alles-anders“-Methode, noch für die „Da-kann-man-nichts-machen-ich-oder-die-anderen-sind-halt-so“-Haltung. Aber kleine Schritte gehen, das geht. Immer. Wie können diese in der Praxis aussehen?

 

1. Machen Sie einen Werte-Check: Notieren Sie, was Ihnen wirklich am Herzen liegt und wichtig ist (z. B. Partnerschaft, Ehrlichkeit, Naturschutz, Glaube usw.)! Nehmen Sie sich Zeit dazu, wenn Sie wollen, eine ganze Woche. Und dann schauen Sie, was davon Sie in Ihrem Leben wiederfinden und was nicht. Von allem, was Sie nicht oder zu wenig wiederfinden, nehmen Sie sich eins heraus und überlegen (gerne auch mit Freunden), wie Sie mehr davon in Ihr Leben integrieren könnten.

 

2. Betrachten Sie Ihre Persönlichkeit: Was liegt Ihnen, was nicht? Dazu gibt es viele unterschiedliche Tests, die einen beim Entdecken der Persönlichkeit hilfreich unterstützen können. Mein Vorschlag wäre aber: Denken Sie zunächst einmal selbst darüber nach, ob das, was Sie tun, und das, was Ihnen liegt und Freude macht, sich überwiegend deckt. Und danach fragen Sie Ihren Partner, Ihre Eltern oder Freunde: Wie sehen die Sie – und wovon denken sie, dass es Ihnen liegt? Der nächste und einfachste Schritt wäre dann, dass Sie all jene Dinge, die Ihnen nicht liegen, delegieren. Doch weil das oft nicht in vollem Umfang möglich ist, zumindest eine Sache. Das wäre dann zumindest schon mal ein Anfang.

 

3. Wie sieht es mit Ihren „Rollen“ aus? Was tun Sie, wenn Sie merken, dass Sie die Erwartungen an sich selbst kaum umgesetzt bekommen? Klassisches Beispiel: Die Rolle als Hausfrau oder Hausmann. Nie ist es so sauber, so aufgeräumt und so einladend, wie wir uns das wünschen. Und nun? Entweder beschließen wir, unsere Erwartungen an unsere Lebenssituation anzupassen (z. B. wenn die Kinder klein sind, wir Haustiere haben usw.) und zufriedener damit zu sein, wie es eben ist. Oder wir setzen es auf unserer Prioritäten-Liste weiter nach oben und nähern uns so eher unseren Idealvorstellungen. Oder wir beschließen, dass wir es nicht alles alleine machen müssen und holen uns Unterstützung. Das ist technisch oder personell zu lösen, wahlweise auch in Kombination.

 

 

Ich hoffe, Sie haben beim Lesen Mut bekommen, das eine oder andere auszuprobieren. Aber: Ändern Sie lieber zunächst eine Sache und üben Sie diese ein! Und wenn Sie ganz darin angekommen sind, gehen Sie den nächsten Punkt an. So kommen Sie Schritt für Schritt zu einer besseren Passung zwischen der Person, die Sie sind, und dem, was Ihr Leben derzeit ausmacht. Beides ist nämlich wertvoll und einzigartig.

Karin Maurer

ist Verhaltenswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Burnout-Coach. Ihre Seminare bietet sie on- und offline an oder lädt zu einer Auszeit in die Schweiz ein. 

 

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