Es ist ein Zwiespalt mit Weihnachten, dem „Fest der Liebe“. Für viele ist es eine stressige Zeit mit familiären Begegnungen, die einen gemischten Beigeschmack haben – ein Symbol für eine verlorene Kindheit und ein verlorenes Paradies. Für manche wird es zum Fest der Einsamkeit, des Bedauerns, des Arbeiten-Müssens, wenn alle anderen frei haben. Und für wieder andere wird Weihnachten zum Indikator, wo sie im Leben stehen und welches Umfeld sie eigentlich noch haben, wenn die Arbeit ruht.

 

Dennoch schaffen es die meisten nach wie vor, das Fest für ihre Kinder zu einer unvergesslichen biografischen Erfahrung zu machen, zu einem Sehnsuchtsort, an den sie sich ihr Leben lang erinnern werden. Ich glaube an das Fest der Liebe, insofern man einen Aspekt dieses für alles Mögliche verwendeten Begriffs betont: Liebe ist auch das, was wir anderen geben, selbst wenn sich kein heimeliges Gefühl dabei einstellt. So bedeutet zum Beispiel Liebe für unsere Kinder auch ganz fundamental, ihre Grundbedürfnisse nach Versorgung, Geborgenheit, Zuwendung, Akzeptanz in ihrem Umfeld und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Begabungen zu stillen. All das zu geben ist oft mit Arbeit und auch Verzicht auf vieles andere verbunden, aber es ist wertvoll.

 

Bei unseren Beziehungen zu anderen, zu erwachsenen Familienmitgliedern, zu Menschen aus unserem Umfeld, unserer Vergangenheit und Zukunft, mischen sich ganz andere Aspekte hinein: Verletzungen, stressige Erfahrungen und belastete Erinnerungen lassen manchen Gedanken an sie weniger weihnachtlich erscheinen. Ja, wir treffen uns, begegnen uns, beschenken uns. Aber wir wissen auch, dass wir uns gegenseitig ganz schön auf die Nerven gehen können. Dass wir Dinge miteinander zu bewältigen haben, die nicht romantisch sind, und die manche dazu bewegen, alle Weihnachtssentimentalität mit Bausch und Bogen von sich wegzustoßen.

 

Wir treffen wir uns, begegnen uns, beschenken uns. Aber wir wissen auch, dass wir Dinge miteinander zu bewältigen haben, die nicht romantisch sind.

Auch oder gerade an Weihnachten betrachte ich „Liebe“ unter dem Aspekt, wie er im Neuen Testament betont wird: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit. Die Liebe höret nimmer auf. […] Denn unser Wissen ist Stückwerk. […] Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.“ (aus 1. Korinther 13, Lutherübersetzung 2017)

 

Diese Art von Liebe, wie sie sich auch in der Weihnachtsgeschichte zeigt, passt mitten in unsere unvollkommene Welt: Wir werden hier auf dieser Erde unter uns Menschen keine vollkommene Liebe, kein Paradies erschaffen können. Alles ist Stückwerk, auch unsere Biografie und unser Familienleben.

 

Aber Weihnachten erzählt uns ein großes Trotzdem: Auch wenn es dunkel ist, wenn es keinen Platz in der Herberge gibt, wenn das Kind im Stall und nicht im Palast zur Welt kommt, wenn keine noble Großfamilie, sondern die verachteten Hirten, die als zwielichtige Halunken galten, zum Gratulieren kommen: die Liebe macht sich auf in diese Welt. Mit leidenschaftlichem Einsatz, auch unter Aufopferung und Verzicht.

 

Deswegen braucht es als Voraussetzung für ein gelungenes Weihnachtsfest keine perfekte Harmonie. Stückwerk reicht aus. Und die gebende Liebe kann Wunder bewirken, auch dann, wenn mancher Wunsch unerfüllt bleibt. In diesem Sinne: Frohe Festtage!

Cornelius Beck

ist Gesangslehrer und Sprecherzieher. Die einschneidenden Erlebnisse, die er als Vater von fünf Kindern gemacht hat, haben ihn zum Schreiben gebracht. Im Herbst 2019 erscheint sein erstes Buch im Neukirchener Verlag.

 

 

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