Sie meinen es in der Regel nicht böse, doch der Umgang mit ihnen kann einem den Tag verderben und einem schlaflose Nächte bereiten: stachelige Persönlichkeiten. Denn ihnen fehlt genau das, was man sich von seinen Mitmenschen wünscht: die Fähigkeit, auf andere einzugehen und sich auch einmal korrigieren zu lassen.

 

Doch wie wird man schwierig? Fahren wir nicht alle unsere Stacheln aus, wenn wir uns bedroht fühlen oder sehr enttäuscht sind? Doch, aber wir können meist erkennen, wenn wir uns unfair und verletzend verhalten haben (Falls Sie das gar nicht können, sind Sie selbst schwierig. Dann gewinnen Sie sehr, wenn Sie sich einmal den wunden Punkten stellen, die hinter Ihren Stacheln liegen.).

 

Schwierige Menschen sind an ihren wunden Punkten so empfindsam, dass sie häufig ihre Stacheln aufstellen. Manche haben sich sogar dauerhaft eingeigelt. Außerdem ist ihre Angst, verletzt zu werden so groß, dass sie ihre Stacheln selbst dann nicht einziehen, wenn ein anderer sie darauf aufmerksam macht.

Stachlige Persönlichkeiten entwaffnet man, indem man ihre wunden Punkte erspürt und auf diese Rücksicht nimmt. Damit lassen sich schon viele Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. Ein Rest an Problemen erfordert – leider! – einen klugen Umgang mit Macht. Wie das gelingen kann und wie man lernt, mit Stacheltypen gewaltfrei zu kommunizieren, zeige ich nachfolgend an den vier verbreitetsten Stacheltypen: in der Begegnung mit Grenzüberschreitern, Vermeidern, Rächern und Abwertern.

 

1. GRENZÜBERSCHREITER

 

 

Grenzverletzende Menschen haben in ihrer Vergangenheit meist Ausgrenzung und die Verletzung ihrer Rechte erlebt. In einer Gegenreaktion versuchen sie heute, über das Eigentum, die Zeit, die Kontakte und das Wissen anderer zu bestimmen. Sie regieren in die Entscheidungen und in die Privatsphäre ihrer Mitmenschen hinein. Wenn sich andere wehren, erleben Grenzverletzer dies erneut als Ausgrenzung. Sie verwickeln andere dann in zähe Auseinandersetzungen.

 

Elvira leitet einen Kindergarten. Sie füllt Besprechungen ausufernd mit ihren Anliegen und leiht sich ohne Rücksprache Materialien aus. Sie platzt in den ungünstigsten Momenten in die Gruppenaktivitäten hinein. Weil sich die Erzieherinnen zurückziehen, drängt sich Elvira auf und reagiert gekränkt, wenn andere ihre Kontaktangebote ignorieren.

 

Was sollen die Kollegen tun? Es klingt widersprüchlich, aber eine zuvorkommende Höflichkeit seitens der Kollegen kann grenzverletzendes Verhalten reduzieren: aufmerksames Grüßen, regelmäßiger Smalltalk, Informieren, Einbeziehen, Anteil geben, Ressourcen teilen, eine kniggemäßige Höflichkeit bei Fragen, Bitten sowie kritischen Rückmeldungen. Denn das reduziert bei Grenzverletzern die Missachtungsgefühle, aus denen ihr Verhalten meist entspringt.

 

Inwieweit auf dieser Grundlage angemessene Grenzen verteidigt werden können, ist vor allem auch eine Machtfrage. Manchmal gelingt das durch sanftes, aber beharrliches Neinsagen sowie durch das Ansprechen der Grenzverletzungen und deren Folgen. In Elviras Fall war dies allerdings erst nach einer Beschwerde der Erzieherinnen möglich. Der Träger der Einrichtung rückte daraufhin als eine Art Schiedsrichter die Grenzen zurecht.

 

Die besten Grenzüberschreiter-Tipps

→ Seien Sie Grenzüberschreitern gegenüber korrekt, was deren Mitbestimmung, Information und Einbeziehung angeht.

→ Konfrontieren Sie Grenzüberschreiter einfühlsam mit den Folgen, die ihr Verhalten auf Ihre Gefühle und Ihr Verhalten hat.

→ Sagen Sie taktvoll aber ausdauernd nein, um Ihre Privatsphäre und Selbstbestimmung zu schützen.

→ Wo nötig, schalten Sie gelegentlich eine höhere Stelle ein, die für einen fairen Interessensausgleich sorgt.

→ Wenn es zu Machtkämpfen kommt, prüfen Sie Bündnisse mit vertrauenswürdigen Personen, um Grenzen wieder zurechtzurücken.

Ihre Grenzüberschreiter-Reflexion

Können Sie gut Nein sagen? Haben Sie ein sicheres Gespür für Ihren eigenen Standpunkt? Wenn nicht, sind Grenzüberschreiter vielleicht Ihre Angstgegner. Dann betrachten Sie die Konfrontation mit ihnen als kostenloses Training im Neinsagen.

 

 

2. VERMEIDER

 

Vermeider erleben die Welt als unberechenbar und überfordernd. Sie entziehen sich ihren Verpflichtungen, gehen Problemen aus dem Weg und ziehen sich zurück, wenn Konflikte auftreten.

 

Peter zieht den Lebensradius seiner Familie sehr eng. Aktivitäten, die ihm Angst machen, lehnt er ab. Entscheidungen, die ein wenig Mut erfordern, verweigert er sich. Oft steht Peters Frau vor der Wahl: Entweder mache ich es alleine oder ich lasse es eben. Als sie wegen einer Operation Peters Beistand gebraucht hätte, hat er sich zurückgezogen.

 

Vermeider können oft nicht anders. Sie haben ein echtes Handikap: Ihre Flucht geschieht in einem Kontrollverlust wie bei anderen etwa ihr Stottern. Wer diese Einschränkung akzeptiert, kann Vermeidern gegenüber realistische Erwartungen entwickeln. Ihnen hilft alles, was sich in der Angstbewältigung bewährt hat: Schwieriges in kleine Schritte einteilen, Zeit und Entscheidungsmöglichkeiten lassen, anfangs Unterstützung geben und dann immer mehr alleine machen lassen, beharrlich auf die negativen Folgen des Vermeidungsverhaltens hinweisen. Ein letztes Mittel muss taktvoll kommuniziert und im Hinblick auf seine Folgen gut bedacht werden, kann dann aber sehr wirkungsvoll sein: Eigene Konsequenzen ankündigen für den Fall, dass sich ein Vermeider seinen Ängsten nicht stellt.

 

Die besten Vermeider-Tipps

→  Fragen Sie auf einfühlsame Weise nach den Ängsten, die hinter dem Vermeidungsverhalten stehen.

→ Helfen Sie bei der Angstbewältigung durch einen Schritt-für-Schritt-Plan, Begleitung und Hilfe, die Sie im Gegenzug zu kleinen Schritten gewähren.

→  Wenn Sie durch Vermeidungsverhalten beeinträchtigt werden, machen Sie es unattraktiv.

→ Zeigen Sie Ihre Gefühle, benennen Sie die Folgen, die das Vermeidungsverhalten für Sie hat, kündigen Sie Konsequenzen an, die unangenehmer sind als das, was ein Vermeider umgehen will.

→ Beenden Sie Ihre Unterstützung an Gegenleistungen, wenn ein Vermeider Ihnen Selbstverständliches vorenthält.

→  Stärken Sie das Selbstvertrauen des Vermeiders.

 

Ihre Vermeider-Reflexion

Fühlen Sie sich schnell abhängig von Menschen, die Ihnen etwas bedeuten? Fällt es Ihnen nicht leicht, auch einmal distanziert zu sein und hart zu verhandeln, wenn Ihnen andere etwas schuldig bleiben? Dann gehören vielleicht Vermeider zu dem Typus, der Sie am meisten herausfordert. Entwickeln Sie eine gesunde Unabhängigkeit, die den anderen einladen kann, aber auch seine Wege gehen lässt, wenn er nicht will.

 

3. RÄCHER

 

Sie üben die Rache des kleinen Mannes (oder der kleinen Frau). Weil sie sich der Willkür anderer ausgeliefert fühlen, verbummeln sie deren wichtigste Anliegen. Sie verletzen andere an ihren wunden Punkten, scheinbar aus Versehen. Sie schädigen den Ruf anderer durch schlechtes Reden. Sie schieben Hindernisse in den Weg, die andere aufhalten oder zu Fall bringen.

 

Sibylle war in ihrem Baby-Glück vielleicht nicht sehr sensibel: Sie hat auch in Dörtes Beisein geschwärmt, obwohl sie ja weiß, wie sehr sich Dörte einen Partner wünscht. Aber muss sich Dörte deswegen beleidigt zurückziehen? Und in den wenigen Momenten, in denen sie sich sehen, so böse Bemerkungen machen, zum Beispiel über Sibylles Augenringe? Zahlt Dörte tatsächlich auf diese Weise heim, dass sie verletzt wurde?

 

Rächern gegenüber braucht man eine hohe Sensibilität für die eigene Machtausübung. Man fragt besser zweimal nach, ob sie Entscheidungsprozesse als fair empfunden haben, ob sie mit einer Situation zufrieden sind und ihre Wünsche in angemessener Weise berücksichtigt wurden. Ein kleines Entgegenkommen reicht meist aus, um Racheakten vorzubeugen. Ein Racheakt als solcher lässt sich fast nie überführen, oft ist er Rächern selbst nicht bewusst. Doch wenn sie zu unfairen Mitteln greifen, kann man sich meist gegen diese wehren. Wo das nicht möglich ist, befreit Vergebung zumindest von einer negativen emotionalen Bindung an den Rächer.

 

 

Die besten Rächer-Tipps

→ Erkennen Sie verdeckte Rache an der Häufung von Verhaltensweisen oder Unterlassungen, die scheinbar zufällig passieren, Sie aber doch an empfindlichen Stellen treffen.

→ Versuchen Sie nicht, die heimliche Rache zu entlarven. Konfrontieren Sie Rächer stattdessen sachlich mit den Folgen, die ihr Verhalten für Sie hat.

→ Beugen Sie einer Rache vor, indem Sie sensibel mit Machtsituationen und den Interessen von Rächern umgehen. Fragen Sie zuvorkommend nach einer möglichen Unzufriedenheit.

→ Entschärfen Sie die Unzufriedenheit eines Rächers durch kleine Zugeständnisse, Verständnis und den Verweis auf Sachzwänge.

→ Bestehen Sie bei der Verletzung Ihrer Interessen auf einer Wiedergutmachung oder auf Konsequenzen. Wo das nicht möglich ist, vergeben Sie lieber, anstatt eine negative emotionale Bindung an den Rächer entstehen zu lassen.

 

Ihre Rächer-Reflexion

Halten Sie sich für harmloser als Sie sind? Entgehen Ihnen die unvermeidlichen Verletzungen und Ungerechtigkeiten, die wir einander im Alltag zufügen? Dann haben Sie ein höheres Risiko, mit Rächer-Persönlichkeiten Probleme zu bekommen. Machen Sie sich Machtfragen einmal bewusst und erhöhen Sie so Ihre Sensibilität und Ihr Taktgefühl.

 

 

4. ABWERTER

 

Abwertende Menschen haben die Bezugspersonen ihrer Kindheit oft als unfähig erlebt, sich angemessen um ihre Bedürfnisse zu kümmern. In einem Nachhall dieser Erfahrungen erleben sie andere heute als unvermögend und realitätsfremd, besonders natürlich, wenn Probleme auftreten. Dann sprechen Abwerter negative Urteile aus, die andere als kränkend und ungerecht erleben.

 

Im Rahmen seiner Lehrerausbildung bekommt Alexander Unterrichtsbesuche seines Fachleiters. Dessen Rückmeldungen fallen vernichtend aus. Nur mit sich und seinem Konzept sei Alexander beschäftigt und nehme die Schüler kaum wahr. Verunsichert fragt Alexander andere, die seinen Unterricht schon erlebt haben. Die antworten: „Das ist Unsinn. Du hast doch immer einen guten Draht zu deinen Schülern und bist sehr aufmerksam für das, was in der Klasse passiert.“ Trotzdem schläft Alexander schlecht und fürchtet den nächsten Unterrichtsbesuch.

 

Abwertungen sind wie kränkende Pfeile, die sich in die Seele ihrer Opfer bohren. Besser man wehrt sie rechtzeitig ab. Schon körpersprachlich kann man eine Barriere aufrichten, durch verschränkte Arme, ein Kopfschütteln oder eine Geste der Zurückweisung. Auch kurze Bemerkungen können Abstand zu einer Abwertung schaffen: „So sehen Sie das.“ Hilfreich sind Fragen, die eine Präzisierung erzwingen: „Was meinen Sie genau mit ‚Schüler nicht wahrnehmen‘?“ Auch wenn ein Machtgefälle herrscht, muss man vor einer sachlichen Richtigstellung nicht zurückschrecken: „Bestimmt haben Sie etwas Zutreffendes beobachtet, aber so absolut formuliert stimmt das nicht.“

 

Die besten Abwerter-Tipps

→ Nehmen Sie die Abwertung nicht persönlich. Sie ist ein Stressbewältigungsmechanismus von Menschen, die sich dem Unvermögen anderer ausgeliefert fühlen.

→ Reagieren Sie auf die Abwertung, indem Sie eine körpersprachliche Barriere aufrichten.

→ Stellen Sie Abwertungen, gelassen und sachlich richtig.

→ Wenn Sie einen guten Draht zu einem Abwerter haben, konfrontieren Sie ihn behutsam mit den Auswirkungen seines Verhaltens.

→ Entschärfen Sie das Gefühl eines Abwerters, von Unfähigen umgeben zu sein, indem Sie warmherzig und aufmerksam auf seine Bedürfnisse eingehen.

 

Ihre Abwerter-Reflexion

Haben Sie ein gesundes Selbstbewusstsein? Sind Sie versöhnt mit Ihren Schwächen und Mängeln? Wenn nicht, könnten Abwerter Ihr Angstgegner sein. Wo Sie die Abwertung trifft, können Sie in der Selbstannahme wachsen. Wer mit sich selbst versöhnt ist, kann auch ertragen, wenn er in den Augen anderer einmal dumm dasteht.

 

Besonders für soziale, warmherzige oder auch von dem christlichen Gedanken der Nächsten- und Feindesliebe motivierte Menschen kann der Umgang mit stacheligen Menschen zur Falle werden. Denn wer Liebe mit Liebsein verwechselt, wird schnell zum Opfer. Doch wie Sie gesehen haben, gibt es auch eine starke, konfliktbereite Liebe, die dem anderen Grenzen setzen kann. Auf eine solche Liebe, die klar ist, aber fair bleibt, die für die Tür zu einer guten Beziehung offenhält, aber auch loslassen kann, sind schwierige Zeitgenossen angewiesen. Seien Sie mutig und schenken Sie sie ihnen!

 

Jörg Berger

ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis und Autor des Bestsellers „Stachlige Persönlichkeiten. Wie Sie schwierige Menschen entwaffnen“ (Verlag der Francke-Buchhandlung, Marburg).

 

www.stacheln.com  und www.psychotherapie-berger.de

 

Illustrationen: Thees Carstens

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