Lang ist’s her, die Aufbau-Zeit, in der alles zusammenkam: Familiengründung, berufliche Bewährung, ehrenamtlich mit der ungestümen Selbstüberschätzung der späteren Jugend möglichst schnell die Welt retten …

 

Berufliche Bewährung, das hieß zu dieser Zeit für mich: Mitgründer und Geschäftsführer eines IT-Beratungs-Unternehmens mit zunehmenden Gründungsschmerzen. Große Pläne, strammes Wachstum. Seit einiger Zeit aber auch „Sand im Getriebe“ bei mehreren Kundenprojekten, komplizierte Situationen mit wenig Fortgang. In mir: Eine noch nicht eingestandene Überforderung, damit gut umzugehen. Auch weil mein Leben bis dahin ziemlich glatt gelaufen war. Parallel zu Hause: Kleine Kinder, ein Bauprojekt, wenig Zeit für die Partnerschaft. Beziehungsstress, auch im Freundeskreis. Spannende Zeiten also.

 

Gefühlsexplosion

Ich war früh morgens zu einem Kunden gefahren. Es sollte um die Fortsetzung einer bereits seit einiger Zeit bestehenden Zusammenarbeit gehen. Im Gespräch dann der Schock: Der Vertrag wird nicht verlängert. Die Zusammenarbeit endet.

 

Für mich wurde dieser Tag zu dem Moment, in dem das Fass überlief und sich eine monatelang zunehmende Spannung plötzlich Bahn brach. Ich fuhr in einen naheliegenden, einsamen Park und begann, mich laut über meine Lebenssituation zu beklagen. Aufzuzählen, was ich alles versucht hatte, um die Herausforderungen meines Lebens zu bewältigen. Und was alles steckengeblieben war.

Kristian, du hältst tausend Bälle in der Luft und willst alle gleichzeitig bewältigen. Meinst du wirklich, die Lösung läge darin, noch mehr zu tun?

Irgendwann: ein Weinkrampf. Ein überwältigender Gefühlsschub aus Verzweiflung und Zorn packte mich und ich hörte mich laut zu Gott schreien: „Ganz ehrlich: Wer von uns beiden macht hier eigentlich seinen Job nicht? Ich zumindest habe alles versucht! Oder kannst du mir vielleicht sagen, was ich noch tun soll?“ Dabei schleuderte ich meine alte Lutherbibel, die ich mit in den Park genommen hatte (eigentlich, um mich zu besinnen …) mit voller Kraft auf den Boden. Sie fiel mit dem Rücken auf den Gehweg und öffnete sich unter der Wucht des Aufschlags. Beim Aufheben fiel mein Blick auf einen kursiv gedruckten Vers: Sprüche 23,26. Luther übersetzt ihn so: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“

 

Der Blickwechsel

Selten hat etwas eine so gleichzeitige Kette von Aha-Effekten ausgelöst, wie dieser Satz. „Kristian, du hältst 1000 Bälle in der Luft und willst alle gleichzeitig bewältigen. Meinst du wirklich, die Lösung läge darin, noch mehr zu tun? Kommt es denn wirklich darauf an, dass du alles richtig machst? Und wenn das nicht klappt – dass dann ich, Gott, die Kohlen für dich aus dem Feuer hole? Nein, mein Lieber, die Lösung liegt nicht in dir oder in inständigeren Gebeten, sondern in einem radikalen Perspektivwechsel: Gib mir, mein Sohn, dein Herz! Und dann … lasse deine Augen Gefallen an dem finden, was ich daraus mache. Es sind nicht deine Wege, sondern meine. Wichtig ist nicht, wie du dein Leben wahrnimmst, sondern wie ich es sehe. Lehre deine Augen, so auf dein Leben zu schauen, wie ich es tue. Du wirst, in Freud und Leid, Gefallen daran finden. Höre mit dem Vielen auf und ordne dein Leben neu, um eine einzige, zentrale Mitte: unsere Herzensbeziehung. Verwachse mit mir. Werde Holz von meinem Holz. Lerne die Folgen, die dies für dein Leben hat, anzunehmen. Folge mir also ab heute wirklich nach!“

 

Dieser Tag war der Beginn einer tiefen, ehrlichen Liebesbeziehung, die mich seither durch viele Höhen und Tiefen getragen hat. Gott hat sein mir damals gegebenes Wort gehalten: Meine Augen haben gelernt, Wohlgefallen am dem zu finden, was ich mit ihm erlebt habe. Er hat mir dabei immer wieder radikale Perspektivwechsel zugemutet, mich gleichzeitig aber stets zu Tränen gerührt. In guten Zeiten, aber – offen gesagt – mehr noch in Momenten der Infragestellung, des Scheiterns, des Schmerzes, der Verzweiflung und des Zerbruchs. Mein Gottesbild hat sich dabei immer wieder verändert.

 

Heute sehe ich es so: Im Winter verwächst die Rebe fester mit dem Weinstock. Damit im Frühling die Lebenskräfte Gottes noch besser durch sie hindurchfließen und Frucht hervorbringen können. In dieser „Durch-Leitungs-Rolle“ habe ich Frieden und meinen Lebenssinn gefunden.

Kristian Furch

ist Partner bei der Führungsberatung „LeadershipPartners“, die Unternehmen bei der strukturellen und individuellen Umsetzung „guter Führung“ unterstützt. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder.

 

www.leadership-partners.com

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