Ihr wahrer Kern macht sie geschmeidig glatt und darum so gefährlich: Falsche Überzeugungen, die zu regelrechten „Glaubenslügen“ werden können. Die Theologin Nicole Sturm enttarnt sie und ermutigt zu einem neuen Denken. 

 

1. Erkennen

„Wenn du mit Gott lebst und seinen Willen tust, dann segnet Gott dich und es geht dir gut!“ Solchen oder ähnlichen Aussagen begegnet man immer wieder. Es ist wie bei einer Gleichung: Gehorsam bedeutet Segen. Und die meisten haben eine sehr klare Vorstellung davon, wie dieser Segen aussieht: Im Leben läuft alles glatt, man ist gesund, glücklich und dazu finanziell abgesichert. Nicht immer wird diese „Gleichung“ explizit ausgesprochen – doch der Grundgedanke, dass Gehorsam gegenüber Gott automatisch Segen nach sich zieht, ist weit verbreitet und gemeinhin akzeptiert. Er prägt unser Denken über uns selbst, andere und Gott. Und wirkt sich auf unser Handeln und unseren Glauben aus. Doch ist er eine „Glaubenslüge“.

 

2. Entlarven

Das mit dem Segen für diejenigen, die Gottes Willen tun, klingt erst einmal einleuchtend. Schließlich will Gott nur das Beste für seine Kinder. Diejenigen, die mit Gott leben und dabei gesund, glücklich und finanziell gut gestellt sind, werden dem Gedanken sicher auch gerne zustimmen wollen, da es sich in ihrem Leben ja zu bestätigen scheint. Das Problem ist nur, dass es nicht stimmt und daher für viel Verwirrung und sogar Leid sorgt. Denn wann genau wird diese Aussage gemacht? Zum einen kann es eine Art Lob für diejenigen sein, die mit Gott leben und bei denen alles rund läuft, getreu dem Motto: „Schaut her: So ergeht es einem guten Christen!“

 

Weitaus öfter jedoch begegnen wir dem Umkehrschluss der Aussage: Immer dann nämlich, wenn nach Gründen gesucht wird, warum es im Leben eines Christen nicht gut läuft. Wenn man diesem Automatismus „Gehorsam = Segen in Form von Gesundheit & Co.“ glaubt, muss folglich im Leben eines Christen, dem es nicht gutgeht, etwas schieflaufen. Dann wird schnell nach verborgenen Sünden gesucht, denn irgendetwas muss ja zwischen ihm und Gott stehen, das den „Segensfluss“ verhindert.

 

Befeuert wird diese Argumentation durch einige Aussagen des Alten Testaments, in denen Gott Menschen verspricht, dass ein Leben nach seinen Geboten zu sichtbarem Segen führt. (An dieser Stelle verweise ich noch einmal auf den Artikel „Glaubenslüge Nr. 3: Alles, was in der Bibel steht, gilt auch heute noch für mich persönlich“, in dem thematisiert wird, warum manche Aussagen der Bibel nicht 1:1 übertragbar sind.)

 

Die Gefahr, die besteht, wenn wir diesem Gedanken des Automatismus von Gehorsam und Segen folgen, ist zweierlei: Zum einen kann es dazu führen, dass Menschen, die sich nicht (mehr) groß um Gott scheren, denen es aber gut geht, falsche Rückschlüsse ziehen: „Gott segnet mich, also ist mein Weg okay.“ Zum anderen führt dieses Denken dazu, dass Menschen, die eng mit Gott verbunden leben, womöglich Sündhaftigkeit und Gottesferne unterstellt werden, weil die „sichtbaren Segnungen“ fehlen. Beides ist fatal.

 

3. Ersetzen

Es stimmt, dass Gott seine Kinder segnet. Aber – und das ist der entscheidende Punkt – er tut es nicht immer auf die Art, die wir vor Augen haben und an der wir Segen festmachen! In Matthäus 5,45 zum Beispiel heißt es, dass Gott seinen Segen in Form von Sonne und Regen allen Menschen zuteil werden lässt – den „Guten“ und den „Bösen“. Demnach machen also auch Menschen, die nicht an Gott glauben, Segenserfahrungen. Sie können sogar ein – nach menschlichen Maßstäben – himmlisches Leben führen (siehe z. B. Psalm 73,1–12). Dieser Realität begegnen wir täglich: gesunden, wohlhabenden und erfolgreichen Menschen, die nichts von Gott wissen wollen.

 

Gleichzeitig erzählt schon das Alte Testament Geschichten wie die von Abraham und Sara: Die beiden lebten in großer Nähe und Vertrauen zu Gott – und blieben trotz allem kinderlos. Die einzig plausible Erklärung, die die Menschen damals dafür hatten, war, dass sie damit von Gott für eine große Sünde bestraft wurden. Doch genau das verneint die biblische Erzählung vehement! Irgendwann, als niemand mehr damit rechnete, bekamen sie doch noch ein Kind. Zuvor aber waren sie jahrzehntelang dem Spott und den Verleumdungen ihrer Mitmenschen ausgesetzt (nachzulesen in 1. Mose 15–21). Und im Neuen Testament sagt Jesus gar seinen Jüngern nicht primär Segen im Sinne von Erfolg als Konsequenz ihrer Nachfolge voraus, sondern Leid und Verfolgung. Beispiele, die deutlich machen, dass das mit dem Automatismus nicht so recht aufgehen will.

Wir wünschen uns einfache Erklärungen, aber die gibt es leider nicht. Die einzig verlässliche Komponente in unserem Leben heißt: Gott.

Als Menschen sehnen wir uns nach logischen Erklärungen wie „Jemand ist krank = Er/Sie hat gesündigt“ (Nebenbei: In manchen christlichen Kreisen lautet die Logik genau anders herum: Da werden Krankheit und andere Einschränkungen so gedeutet, dass der Teufel es auf diese Person abgesehen hat, weil sie so eng mit Gott lebt, und die Krankheit sie von Gott wegziehen soll). Tatsache jedoch ist, dass Krankheit, Leid, Tod und vieles mehr Teil unseres Lebens sind. Bleiben wir davon verschont, ist das eher die Ausnahme als die Regel. Denn auch Christen sind weiterhin Teil einer „gefallenen Welt“: einer Welt, die anders ist, als Gott sie ursprünglich geplant hatte. Unser Glaube verschont uns nicht vor den Folgen, die der Abfall von Gott für die Schöpfung nach sich zog. Stattdessen haben wir das Privileg einer Ewigkeitsperspektive: dass irgendwann alles gut sein wird (siehe Offenbarung 21). Wir dürfen Gott in allem, was uns in diesem Leben widerfährt, an unserer Seite wissen. Wir dürfen um Heilung, Wunder und Segen bitten und darauf vertrauen, dass Gott zu unserem Besten entscheiden wird – was auch immer das seiner Ansicht nach ist. Wir wünschen uns einfache Erklärungen, aber die gibt es leider nicht. Die einzig verlässliche Komponente in unserem Leben heißt: Gott.

 

4. Einüben

Nicht immer verstehen wir Gottes Handeln. Seine Gedanken sind höher als unsere (Jesaja 55,8+9) und als seine Geschöpfe müssen und dürfen wir diese Tatsache in Demut anerkennen. Wie auch den Umstand, dass wir Teil einer gefallenen Schöpfung sind und auch das Leben eines Christen nicht immer auf Wolke 7 stattfindet.

 

Gott segnet – und ja, Gott kann uns auch durch erzieherisches Eingreifen zur Umkehr rufen. Doch ob Dinge, die einem widerfahren, die direkte Folge des eigenen – guten oder auch sündigen – Handelns sind, lässt sich oft nicht eindeutig beantworten. Es steht uns definitiv nicht zu, darüber zu urteilen und Automatismus-Denken ist hier wenig hilfreich.

 

Der erste, wichtigste Schritt ist darum, unsere eigenen Annahmen zum Thema zu hinterfragen und wo nötig zu korrigieren. Wenn wir das geschafft haben, braucht es Mut für den zweiten Schritt: nämlich dem Automatismus-Denken konstruktiv zu begegnen, wann immer wir es wahrnehmen. Das bedeutet, auch unsere Mitmenschen darauf anzusprechen, es zu hinterfragen und ein Gegenkonzept zu präsentieren.

 

Nein, wir verstehen Gottes Handeln nicht immer. Aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo wir verstehen werden. Wo er selbst es uns erklärt. Bis dahin dürfen wir offene Fragen stehen lassen – im Vertrauen auf ihn.

 

5. Erinnern

„Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Matthäus 5,45)

Nicole Sturm

ist Theologin und begleitet als psychotherapeutischer Coach (Heilpraktikerin für Psychotherapie) Menschen dabei, hinderliche Glaubenssätze aufzulösen. Mehr über sie und ihre (Online-) Coachingangebote erfahren Sie hier: www.vorwärtsleben.de

 

 

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