Das Störungsbild „Autismus“ ist vor ungefähr 100 Jahren in die medizinischen Lehrbücher eingegangen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Fachleute darauf geeinigt, auch das sogenannte „Asperger-Syndrom“ dem Autismus unterzuordnen. Man unterscheidet drei Grundformen der vielfältigen „Autismus-Spektrum-Störung“, wie der Oberbegriff neuerdings lautet: Den frühkindlichen Autismus (auch: Kanner-Syndrom), das Asperger-Syndrom und den Atyptischen Autismus.

 

Weltweit ist ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ständig dem Autismus-Spektrum zuzurechnen. Man sollte aber nicht davon reden, dass sie alle krank sind und darunter leiden. Greta Thunberg, die bekannteste Asperger-Autistin, hat Folgendes dazu gesagt: „Wir sind nicht sehr gut im Lügen und nehmen normalerweise nicht gerne an den sozialen Spielen teil, die der Rest von euch so gerne spielt. Ich denke, in vielerlei Hinsicht sind wir Autisten die Normalen und der Rest der Leute ist ziemlich seltsam.“

 

Autisten sind anders – aber bekanntlich ist es nicht schlecht und ziemlich üblich, anders zu sein. Es kommt darauf an, wie stark Autisten eingeschränkt sind und wie sie subjektiv darunter leiden. Asperger gilt generell als milde Form von Autismus. Oft können Personen mit der Diagnose „Asperger-Syndrom“ sehr gut im Leben zurechtkommen, ohne dafür den Behindertenstatus in Anspruch nehmen zu müssen.

 

Menschen mit frühkindlichem Autismus sind hingegen auf jeden Fall als Behinderte einzustufen. Diese Form des Autismus muss man als eine angeborene, schwer beeinträchtigende Erkrankung bezeichnen. Betroffene Kinder können schon als Babys deutlich von der Normalität abweichende motorische Symptome zeigen.

 

Typische Kennzeichen von Autismus

Zur übergreifenden äußerlich auffallenden Symptomatik des Autismus-Spektrums gehören Schwierigkeiten beim Kommunizieren mit anderen Menschen, Spezialisierung auf wenige und oft auch außergewöhnliche Interessen und ein ausgeprägtes Bedürfnis nach rituell wiederkehrenden individuellen Ordnungen. Asperger-Autisten sind normalerweise durchschnittlich bis hoch intelligent und verfügen über gute sprachliche Fähigkeiten. Bei frühkindlichen Autisten ist hingegen Intelligenzminderung häufig und viele sind sprachlich sehr eingeschränkt oder schweigen ganz.

Eine menschlich warme, freundlich akzeptierende Umgebung zu erleben, fördert das kreative Potenzial von Autisten und kann ihre Persönlichkeit aufblühen lassen.

Früher meinte man, dass ganz überwiegend Männer Autisten sind, die Forschung hat das aber nicht bestätigt: Es gibt wohl mehr betroffene Männer als Frauen, aber Frauen können sich oft auch besser anpassen, weswegen die Symptomatik dann verborgen bleibt, und sie sind zudem häufig besser zur Empathie fähig als Männer. Fehlende Empathiefähigkeit ist jedoch ein generelles Kernsymptom des Autismus. Im Unterschied zum beispielsweise krankhaften Egoismus der psychopathischen Persönlichkeitsstörung ist dieses Problem bei den Autisten allerdings nicht mit der Abwertung und gefühllosem Ausnutzen anderer verbunden, sondern es ist dadurch bedingt, dass sie nicht aus sich selbst heraus kommen und sich stattdessen sozusagen unter einer emotionalen Glocke befinden. Das hat wiederum damit zu tun, dass eine hochsensible Reizverarbeitung für sie typisch ist. Sie sind sehr damit beschäftigt und brauchen dafür mehr Abstand zu ihren Mitmenschen; wenn man ihnen zu nah tritt, wird es ihnen zu viel. Dass sie dennoch ein Bedürfnis nach liebevoller Nähe haben, zeigt sich darin, dass sie zu verständnisvollen Personen, von denen sie nicht bedrängt werden, eine stabile Beziehung haben können, und dass geeignete Tiere wie zum Beispiel Therapiehunde eine wichtige therapeutische Rolle für sie einnehmen können, um die totale Isolation zu überwinden.

 

Was hilft Betroffenen?

Ein Großteil des Autismus-Spektrums ist nicht als Kranksein im engeren Sinn zu betrachten, sondern als Handicap. Autisten brauchen vor allem das, was auch andere Menschen mit Handicap brauchen: Inklusion. Das heißt: Weitestgehende Teilhabe am normalen Leben unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Möglichkeiten, Gaben und Grenzen. Der Software-Riese „SAP“ beispielsweise hat die vorbildliche Entscheidung getroffen, Autisten als Software-Entwickler einzustellen, weil die Informatik ein Bereich ist, in dem ihr ausgeprägtes Bedürfnis nach klaren sachlichen Strukturen und ungestörtem Arbeiten gut Erfüllung finden kann. Außerdem gehört es zu den Vorzügen autistischer Arbeitnehmer, verlässlich und ehrlich zu sein.

 

Im familiären sozialen Kontext geht es darum, sie zu akzeptieren und sich auf ihre Besonderheiten wohlwollend einzustellen, statt sie emotional zu überfordern oder reaktiv noch mehr zu isolieren. Eine menschlich warme, freundlich akzeptierende Umgebung zu erleben, fördert ihr kreatives Potenzial und kann ihre Persönlichkeit aufblühen lassen.

 

Psychotherapie unterstützt Integration und Inklusion effektiv. Im psychotherapeutischen Setting lohnt es sich, ihre Empathiefähigkeit zu trainieren, indem sie einüben, sich in das Selbsterleben anderer hineinzudenken.

 

Mit der Organisation „Autism Europe“ gibt es eine europäische Plattform für Autisten, die sich für die Umsetzung eines gerechten Behindertenstatus für Autisten in Europa einsetzt, wozu auch die Finanzierung von spezifischen Hilfen für sie gehört, und führt internationale Kongresse durch.

 

Weitere Infos unter: www.autismeurope.org

Dr. Hans-Arved Willberg

ist Sozial- und Verhaltenswissenschaftler, Theologe und Philosoph. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht. 

 

www.isa-institut.de

 

 www.life-consult.org

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