In dieser Folge des „Psychologischen ABC“ erklärt der Pastoraltherapeut und Verhaltenswissenschaftler Dr. Hans-Arved Willberg, woran man Schizophrenie erkennt, warum sie fälschlicherweise manchmal mit einer Psychose verwechselt wird, und gibt darüber hinaus Betroffenen und ihrem Umfeld hilfreiche Tipps zur Bewältigung an die Hand.
Wie häufig sind schizophrene Erkrankungen?
Einerseits gibt es klare medizinische Definitionen der Schizophrenie, andererseits ist die Symptomatik so komplex, dass sich Fachpersonen nicht sicher sind, ob man überhaupt von einem einheitlichen Krankheitsbild sprechen kann. Das ist auch ein Grund dafür, dass in Diagnostik und Literatur oft nicht deutlich zwischen „Psychose“ und „Schizophrenie“ unterschieden wird und dass auch Betroffene sich nicht gern auf diesen Krankheitsbegriff festlegen lassen. Sie fühlen sich dadurch als „Verrückte“ abgestempelt. Tatsache ist, dass sehr viele von ihnen durchaus keinen Dauerzustand der Persönlichkeitsspaltung erleben, der „den Schizophrenen“ unterstellt wird. Ein Drittel der „Psychotiker“ ist chronisch krank, kann aber überwiegend medikamentös eingestellt ganz normal den Alltag meistern, ein weiteres Drittel erleidet bestimmter Umstände wegen einen psychotischen Schub und ist danach wieder gesund, und das letzte Drittel muss damit leben, dass immer wieder einmal ein neuer Schub entsteht, der bei sorgsamer Behandlung dann aber auch wieder vergeht.
Die Komplexität macht es natürlich schwierig, genau einzugrenzen, wie viele Betroffene es gibt. Für Schizophrenie im engeren Sinn kann man aber davon ausgehen, dass ständig ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung darunter leidet, Frauen und Männer zu gleichen Teilen. Die Krankheit beginnt bei Männern häufig im Alter von 15 bis 25 Jahren, bei Frauen zehn Jahre später. Aber es gibt auch zahlreiche Ausnahmen von dieser Regel.
Wie kommt Schizophrenie zustande?
Man wird dem Forschungsstand nach behaupten dürfen, dass Psychosen viele Ursachen haben können, dass aber Schizophrenie im engeren Sinn vor allem aus Funktionsstörungen des Gehirns hervorgeht. Sie bewirken, dass sich im Bewusstsein der Person Zusammenhänge, die sonst normal sind, auflösen oder neu zusammensetzen. Zum Beispiel kann sie nicht mehr zwischen reproduzierten Gedächtnisinhalten, Fantasien und der Realität unterscheiden und hält darum „Stimmen“, die im Bewusstsein auftauchen, für ein tatsächliches Reden anderer Personen und Mächte. Das scheint viel mit der gestörten Wahrnehmung des Zusammenhangs von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun zu haben. Es gibt offenbar eine ziemlich hohe genetische Veranlagung für diese Funktionsstörungen, die aber nicht unbedingt aktiviert sein muss. Die Aktivierung kann durch Stresserfahrungen ausgelöst werden.
Wie äußert sich Schizophrenie?
Man unterscheidet grundsätzlich zwischen „positiven“ und „negativen“ Symptomen. Mit positiv ist hier gemeint, dass etwas dazukommt, mit negativ, dass etwas fehlt. Begreiflicherweise sind die Positivsymptome wie zum Beispiel Stimmenhören und Halluzinationen auffälliger als die Negativsymptome wie zum Beispiel Verlangsamung, Veränderung der nonverbalen Kommunikation oder Vernachlässigung der Körperpflege, die sich auch unmerklich langsam entwickeln können. Die Positivsymptome lassen sich auch leichter behandeln.
Unser Gehirn ist in der Lage, dem Bewusstsein vieles so zu präsentieren, als wäre es reine Wahrheit, obwohl es mit der Realität nichts zu tun hat – das beste Beispiel: unsere Träume!
Im Zentrum der schizophrenen Symptomatik steht die Erfahrung, sich selbst zu verlieren. Die Person wird sich irgendwie selbst ganz fremd und kommt sich fremdgesteuert vor. Die schizophrene Selbstentfremdung bedeutet nicht unbedingt den völligen Verlust des Identitätsbewusstseins, wohl aber, mit den Worten einer betroffenen Person, „eine Zerstückelung meiner Persönlichkeit“.
Was kann man bei einer schizophrenen Erkrankung für sich selbst tun?
Das Wichtigste ist, die eigene Verunsicherung durch das Auftreten seltsamer Symptome ernstzunehmen und nicht automatisch davon auszugehen, dass es sich um die Wirklichkeit handelt. Unser Gehirn ist in der Lage, dem Bewusstsein vieles so zu präsentieren, als wäre es reine Wahrheit, obwohl es mit der Realität nichts zu tun hat (bestes Beispiel sind die Träume!). Genauso ernst sind die Rückmeldungen anderer zu nehmen: Wenn sie irritiert und besorgt auf die eigenen Wahrnehmungen reagieren, kann das ein Zeichen dafür sein, dass tatsächlich etwas damit nicht stimmt. Es ist ein Zeichen von menschlicher Reife, dann zur Abklärung den Arzt aufzusuchen und sich bei entsprechender Diagnose therapeutisch helfen zu lassen. Darum geht es zuerst.
Darüber hinaus ist den Betroffenen zu empfehlen, dass sie sich einen gut strukturierten Alltag gönnen, mit viel angenehmer Erfahrung bei sich selbst zu sein, um dadurch das Bewusstsein für die eigene Identität wie auch das Vertrauen in Sinn und Verlässlichkeit der Alltagswirklichkeit zu stärken. Wesentlich trägt dazu viel gute Gemeinschaft bei, zum Beispiel in Gruppen mit anderen Betroffenen oder betreuten Wohn- und Arbeitsgemeinschaften.
Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?
Das größte Problem für das soziale Umfeld Betroffener ist die fehlende Krankheitseinsicht. Bei vielen Menschen, die an Schizophrenie erkranken, verändert sich die Wahrnehmung schleichend auf eine Weise, die sie glauben lässt, immer deutlicher Wirklichkeitszusammenhänge zu erkennen, die den andern verborgen sind. Besonders dann, wenn nahestehende Personen davon irritiert sind und versuchen, argumentativ dagegen anzugehen, besteht die Gefahr, dass sich die Erkrankten unverstanden fühlen und in ihre psychotische Welt einigeln.
Sobald die Mitbetroffenen deutlich merken, dass sie es mit sehr merkwürdigen Symptomen zu tun haben, die sie nicht nachvollziehen können, sollten sie sich unbedingt selbst fachliche Hilfe gönnen und die erkrankte Person freundlich, aber deutlich mit ihrem Problem konfrontieren: „Wir respektieren, dass du an die Realität deiner Wahrnehmung glaubst, aber wir können das überhaupt nicht nachvollziehen und machen uns ernste Sorgen, das du eine Psychose haben könntest. Bitte erlaube uns, dich zum Arzt zu bringen, um das abzuklären.“ Bei jugendlichen Erkrankten können die Psychologischen Beratungsstellen des Landkreises den mitbetroffenen Eltern helfen. Ansonsten ist eine gute Beratungsadresse der zuständige Sozialpsychatrische Dienst. Hilfreich können auch Angehörigengruppen sein.
Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?
Schizophren erkrankte Menschen sollten auf keinen Fall ohne medizinische Behandlung bleiben. Bei akuten Psychosen muss unbedingt und unverzüglich ärztliche Hilfe aufgesucht werden, weil ein völliger Realitätsverlust mit hochgradiger Selbst- und Fremdgefährdung daraus werden kann. Nicht selten besteht die sicherste Hilfe erst einmal in einem Klinikaufenthalt. Dort, wie auch bei der fachärztlichen ambulanten Behandlung, kommt es zunächst vor allem auf die richtige medikamentöse Behandlung an. Dem können sich nach Abklingen der akuten Psychose psychotherapeutische Maßnahmen anschließen. Hier geht es für die Betroffenen vor allem darum, sich den Unterschied zwischen psychotischen Ideen und der Realität bewusst zu machen sowie rechtzeitig psychotische Symptome wahrzunehmen und sich vorbeugend darauf einzustellen.
Für chronisch Erkrankte gibt es die Möglichkeit des betreuten Wohnens und Arbeitens. Das kann eine sehr sinnvolle Alternative sein, wenn die Medikation allein nicht ausreicht, um wieder ein normales Alltagsleben führen zu können.
Der Bann einer schizophrenen oder allgemein einer psychotischen Erkrankung ist gebrochen, wenn die betroffene Person anerkennt, dass sie dieses Problem hat, und sich die fachlich notwendige Hilfe gefallen lässt, um sich ihm zu stellen und es zu bewältigen. Je nach Störungsbild und Verlauf heißt das nicht unbedingt, ganz frei davon zu werden. Aber man kann lernen, gesund mit der Krankheit zu leben.