Die „guten alten Zeiten“ – es ist nicht nur die ältere Generation, die ihnen (teilweise) nachtrauert. Auch Jüngere tendieren manchmal dazu. Dann geht es aber nicht so sehr darum, dass „damals“ Kinder weniger frech, dafür selbstständiger und weniger fernsehschauende Sofahocker waren. Die „gute alte Zeit“ liegt dann oft gar nicht Jahrzehnte zurück, sondern manchmal vielleicht sogar nur ein paar Wochen oder Monate. Und doch kann sich das „Damals“ unglaublich weit weg anfühlen. Wie eine komplett andere Zeit.

 

Sehnsucht nach dem, was war

Genau so hat es auch Dominique erlebt. Während der ersten Coronawelle hat sie mit dem Laufen angefangen. Mit Hilfe eines Trainingsplans konnte sie sich Schritt für Schritt von 20 Minuten auf 5 Kilometer am Stück und am Ende sogar auf über 10 Kilometer steigern. Sie ist keine schnelle Läuferin, aber das stört sie nicht. Dominique war stolz auf sich, steigerte sich immer weiter – bis irgendwann der sprichwörtliche Wurm drin war: Sie konnte sich nicht mehr recht motivieren, war immer wieder angeschlagen. Aus einem ausgefallenen Training wurde eine lauffreie Woche, dann zwei Wochen …

 

Nach zwei Monaten meldete sich plötzlich die Sehnsucht nach „damals“. Die Lust zu laufen war da, aber die Kondition hatte stark gelitten. Dominique war frustriert: Sicher hätte sie sich zu einem längeren Lauf pushen können, aber sie wusste auch, dass sie ihrem Körper das eigentlich nicht antun sollte. Der zeigte ihr ganz deutlich, dass er heute nicht so fit ist wie „damals“.

 

Die „guten alten Zeiten“ liegen in Dominiques Fall gerade mal ein paar Monate zurück. Und doch fühlt es sich viel länger an, wie eine ganz andere Zeit. Der Frust ist groß. Wenn sie ihren Körper nicht überfordern will, würde sie gefühlt wieder von vorne anfangen müssen: mit kurzen Einheiten, um wieder in Schwung zu kommen. Aber das fühlt sich wie Versagen an. Und Dominique will kein Versager sein. Sie kämpft mit sich. Ein weiterer lauffreier Monat geht ins Land, in dem sich sie fragt, wie sie die Schmach des noch mal von vorne Anfangens umgehen kann. Wäre es eine Option, einfach die Sportart zu wechseln? Wenn man etwas Neues macht, ist es ja klar, dass man da von vorne anfangen muss, überlegt sie. Aber sie merkt: Eigentlich will sie das nicht; eigentlich will sie laufen.

Die Akzeptanz dessen, was ist, und ein realistischer Blick auf sich selbst und die eigenen Möglichkeiten sind etwas, das jedem in herausfordernden Zeiten helfen würde – wenn man sie nutzt.

Eines Morgens dann schafft es das Kopfwissen, sich den Weg ins Herz zu bahnen: Dominique erkennt, dass sie dieses dem Alten Nachtrauern keinen Schritt weiterbringt. Sie beschließt, zu akzeptieren, wie die Situation gerade ist: Dass ihre Kondition nicht die gleiche ist wie vor einem Vierteljahr. Was aber genauso wahr ist: Die Kondition ist nicht schlechter als zu Beginn ihrer „Laufkarriere“. Sie weiß, dass sie sich schnell steigern kann. Sie weiß auch, dass sie sich schnell zu viel zumutet.

 

Auf ein Neues!

Diese Kombination aus der Akzeptanz dessen, was ist, und einem realistischen Blick auf sich selbst und die eigenen Möglichkeiten sind etwas, das jedem Menschen in herausfordernden Zeiten helfen würde – wenn man sie nur nutzt. Nachdem Dominique einen gedanklichen Haken hinter die letzten Monate gesetzt hat, schaut sie nach vorne und plant die nächsten (Lauf-)Schritte. Für sie bedeutet das, sich einen neuen Trainingsplan zu suchen, der da ansetzt, wo sie gerade steht. Der sie heraus-, aber nicht überfordert.

 

Einen Haken hinter Dinge machen, sie akzeptieren – und dann mit neuer Energie das, was vor einem liegt, anpacken – das wünsche ich Ihnen und mir! Jeden Tag aufs Neue.

Nicole Sturm

lebt und arbeitet in Norddeutschland und unterstützt als psychotherapeutischer Coach (Heilpraktikerin für Psychotherapie) Menschen in den Herausforderungen des Lebens – online per Mail oder auch telefonisch. Mehr Infos finden Sie hier: www.vorwärtsleben.de

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