Annes Geburtstag steht an. Es ist ein runder. „Der muss gefeiert werden!“, sagt sie, klingt dabei aber nicht ganz so begeistert, wie man es erwarten würde. Sie erzählt von ihren Plänen: Die ganze Familie soll kommen. Ein Restaurantbesuch beim Italiener im Nachbarort ist geplant. „Das gehört sich doch so, wenn man nullt!“ Ein paar Wochen später sehe ich sie wieder. Sie war beim Italiener, wo die Feier stattfinden soll, um das Menü zu besprechen. „Das wird ganz schön teuer, aber man hat ja nicht oft einen runden Geburtstag!“, kommentiert Anne den Restaurantbesuch.
Bei allen Gesprächen wird klar: Eine große Feier mit der ganzen Familie beim Italiener soll es sein. Da gibt es keine Alternativoption, so soll es sein. Gleichzeitig ist da beim Zuhören immer dieses Gefühl: So richtig stimmig ist das Ganze nicht. Es fehlt das Funkeln in den Augen beim Erzählen. Ich weiß, dass sie die Feier bezahlen kann, aber auch, dass sie ihren Geldbeutel enorm strapazieren wird. Sollte angesichts der hohen Kosten dann nicht wenigstens etwas Vorfreude beim Erzählen mitschwingen?
Schließlich ist der große Tag da. Als langsam alle beim Italiener eintrudeln, sagt Anne: „Ich wünschte, das alles wäre schon vorbei. Ich finde solche Feiern extrem anstrengend.“ „Aber warum machst du es dann?“, frage ich sie. „Weil es sich doch so gehört. Das wird erwartet, wenn man nullt. Die andern feiern auch immer groß, da kann ich mich doch nicht jedes Mal drücken.“ Daraufhin legt sie ein extra freundliches Lächeln für ihre Gäste auf und die Feier beginnt.
Warum tun wir eigentlich, was wir tun – und für wen? Ginge es nicht auch ganz anders?
Am Ende des Tages ist Anne (entgegen ihren Erwartungen!) ganz zufrieden, wie alles gelaufen ist. Bei mir jedoch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Ich frage mich, warum so viele von uns den (vermeintlichen) Erwartungen anderer mehr Bedeutung beimessen als den eigenen Wünschen. Warum musste es das noble Restaurant sein, in das Anne nicht mal allein mit ihrem Mann essen gehen würde, weil es ihr Budget übersteigt? Warum musste die ganze Familie eingeladen werden, wo dann so viel Trubel ist, dass man nicht mal mit jedem Smalltalk machen, geschweige denn tiefere Gespräche führen kann, die Anne doch so liebt?
Oder ganz allgemein gefragt: Warum tun wir eigentlich, was wir tun – und für wen? Ginge es nicht auch ganz anders? Diese Frage sollte man sich meines Erachtens viel öfter stellen. Warum plane ich eine riesengroße Hochzeit mit Kutsche und allem Pipapo, wenn ich doch viel lieber in kleiner Runde im heimischen Garten feiern würde? Warum muss es der traditionelle „Leichenschmaus“ in großer Runde im Café nach einer Beerdigung sein, wenn ich viel lieber mit einer handverlesenen Runde zu mir nach Hause gehen und dort persönliche Erinnerungen miteinander teilen würde? Oder anders gefragt: Warum gestalte ich Treffen mit anderen so, wie ich es tue? Weil es für mich passt oder weil „es sich so gehört“?
Wagen Sie doch einmal ein kleines Gedankenexperiment und fragen Sie sich, wie Sie das nächste bei Ihnen anstehende Treffen am liebsten gestalten würden. Was würden Sie vielleicht gerne anders machen, haben es sich aber bisher nicht getraut? Was würde passieren, wenn Sie den Mut fänden, es zu tun?