Hallo Junior,

 

im März ging es los: Das Corona-Virus – offiziell „Sars-CoV-2“ – erreichte wie eine große Welle Deutschland. Eine Pandemie hat uns erfasst. Eine Art XXL-Grippe, aber eben viel gefährlicher als eine solche. Freunde haben Berichte geliefert, wie sie dadurch an den Rand des Todes kamen. Noch Wochen nach der akuten Erkrankung leiden sie unter den Nach- und Nebenwirkungen. Sie fühlen sich schlapp, haben Atemprobleme, entwickeln Nierensteine und vieles mehr. Und nun, nach einer kurzen Entspannung in den Sommermonaten, steigen die Fallzahlen erneut, wir stecken mittendrin in der „zweiten Welle“.

 

Doch der Reihe nach. Nach dem akuten Ausbruch im März sollten alle, die zu „Hochrisikogruppen“ gehörten, zwei Monate lang zu Hause bleiben. Das betraf die Alten und die Kinder, wie man annahm. Für meine Frau Margret und mich war das wie ein Hammerschlag: „Ihr seid alt und krank. Ihr bleibt jetzt zu Hause!“ Hausarrest. Zum Selbstschutz. „Lockdown“ oder „Shutdown“wurde das genannt. Das öffentliche Leben kam zu einem Stillstand. Nur Krankenhäuser, Apotheken, Supermärkte und Arztpraxen waren offen.

 

Mich erinnerte der Shutdown an das scheppernde Herunterfahren der blechernen Jalousien vor den Läden im Basar von Jerusalem, wenn es Feierabend wird. „Shutdown“ – wie anpassungsfähig die deutsche Sprache doch ist, wenn es zu Notfällen kommt! Und stell dir vor, Junior, wir tragen jetzt in der Öffentlichkeit Masken! „Mund-Nasen-Schutz“ heißen diese faltbaren „Community-Masken“ (wieder so ein neues deutsches Wort). Nase und Mund sollen damit bedeckt werden, damit die eigenen Aerosole, die wir beim Sprechen, Niesen, Husten, Singen usw. absondern, nicht in die Umwelt kommen. Damit sie bei uns bleiben, gerade wenn wir infiziert sind.

 

Im Lauf der Zeit kam es trotz Lockerungen zu lautstarken Protesten gegen die von der Regierung verordneten Beschränkungen. Demos in Berlin und in vielen anderen Städten. Eine lautstarke Minderheit von 11 Prozent kämpfte gegen die vermeintliche Beschränkung der Freiheitsrechte. Corona sei ein Machtinstrument der Regierenden, um das Volk klein zu halten. Verschwörungstheorien und berechtigte Anliegen gingen eine seltsame Symbiose ein.

 

Viele Gründe, dankbar zu sein

Warum bin ich trotzdem dankbar in diesen Zeiten? In meinem Kopf ist eine ganze Liste von Gründen entstanden, warum ich dankbar sein kann. Dazu gehören äußere und innere Gründe. Zu den äußerlichen Dankbarkeits-Gründen zählen bei uns unter anderem folgende Erfahrungen:

 

Unser Kühlschrank ging kaputt. Gerade so rechtzeitig, dass das Kaiserteam aus Hermannsburg einen Austausch vornehmen konnte, bevor den Läden der Shutdown verordnet wurde. Uns wurde die Abhängigkeit von den strombetriebenen Haushaltshelfern sehr bewusst. Was tun und wie kochen, wenn der Zugriff auf das Tiefkühlfach auf einmal versperrt ist? Danke, Kaiserteam!

 

Das Einkaufen für uns hat in dieser Zeit unsere Tochter Christine übernommen. Meine Frau Margret schrieb die Zettel und wir hatten unseren privaten Auslieferungsdienst. Danke, Christine! Es kam zu kuriosen Auswüchsen. Toilettenpapier wurde zum knappen Gut. Paketweise wurde es mitgenommen, bis es schließlich zur Begrenzung kam: Nur ein Paket pro Kunde. Unsere Tochter berichtete uns von einem Streit an der Lidl-Kasse. Zwei Kundinnen stritten sich an der Kasse um die großen Packungen Toilettenpapier. Eine Frau wollte zwei (!) Pakete mitnehmen. Die Frau dahinter zerriss das zweite Paket der Kundin vor ihr. Die kostbaren Rollen trudelten auf die Erde. Lidl-Mitarbeiterinnen sammelten sie auf. Jetzt hatte jede Kundin wirklich nur ein Paket auf dem Kassenzettel.

 

Briefe und Pakete werden weiterhin ausgeliefert. Die Bestellungen bei Online-Händlern haben sprunghaft zugenommen. Die Post hatte viele Wochen lang einen Stress, wie er sonst nur zu Weihnachten auftritt. Danke, ihr treuen Postboten!

Im Heute zu leben ist unsere Aufgabe. Was morgen sein wird, wie schnell wir Corona hinter uns lassen werden – wir wissen es nicht.

Dankbar bin ich auch für eine gewisse Entschleunigung, die sich im öffentlichen Leben und bei Kontakten mit den Nachbarn zeigt. Es gibt plötzlich wieder mehr Zeit für Gespräche – oft mit Maske und dem Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern, aber auch ohne sie.

 

Die digitalen Möglichkeiten der Kommunikation sind da und werden gern genutzt. Wir können uns nach wie vor gegenseitig anrufen. Wir können Skypen und Video-Konferenzen machen, wir können E-Mails versenden. Wir sind nicht eingesperrt und nur auf Briefe angewiesen, die monatelang zu den Empfängern unterwegs waren, wie es zu biblischen Zeiten zum Beispiel Paulus und Petrus erlebt haben.

 

Innerlich reich

Und auch zu den eher leiseren, inneren Dankbarkeitsgründen fällt mir so manches ein:

 

Lesen ist nach wie vor möglich. Es bereichert unseren Geist. Es lehrt uns, in mehreren Dimensionen zu denken. Es entlarvt die Eindimensionalität des Fernsehens – so wertvoll manche Sendungen auch sind. Unterhaltungsliteratur entspannt uns nach Zeiten der Anstrengung. Klassiker und Philosophen können wieder in aller Ruhe gelesen und überdacht werden.

 

„Die Pest“ von Albert Camus ist zwar Fiction-Literatur. Aber auf den britischen Inseln ist der Roman das führende Buch zum Umgang mit der Pandemie geworden. Die Schilderung, wie die Pest die Stadt Oran erreicht, wie das öffentliche Leben eingeschränkt wird, wie die Menschen darauf reagieren und rebellieren, wie sie ihr altes Leben weiterführen, als wäre nichts gewesen, als die Pest überwunden ist – all das ist für mich ein erhellendes Lehrstück für das, was während der Pandemie mit unserem Land passiert. Die Botschaft des Buches? Die Tochter von Camus schreibt im englischen Guardian: „Eine Pandemie können wir nicht ändern. Aber wir können die Art und Weise bestimmen, wie wir damit umgehen.“

 

Die Bibel ist in leicht verständlichen Übersetzungen verfügbar. Sie zu lesen, darüber nachzudenken, bringt mich ins Staunen über die unendliche Geduld, die der eine wahre Gott mit seinen Geschöpfen – mit mir – hat! Ich werde dankbar.

 

Die bleibende Güte Gottes und die Kraft seiner Erlösung entfalten sich unbegrenzt innerhalb der Corona-Einschränkungen, die unser öffentliches Leben bestimmen.

Beten anhand der biblischen Texte eröffnet innere Räume des Friedens, der Ruhe, der Zufriedenheit. Die bleibende Güte Gottes und die Kraft seiner Erlösung entfalten sich unbegrenzt innerhalb der Corona-Einschränkungen, die unser öffentliches Leben bestimmen. Ich darf beten für all die unruhigen und verängstigten Menschen um mich herum. Vielen machen die regelmäßig veröffentlichten Zahlen über Infizierte und „an oder mit Corona Verstorbenen“ Angst. Für mich sind es nur Informationen, die zu einem sensiblen Umgang mit dem Virus mahnen. Gerade in diesen Corona-Zeiten empfinde ich eine Herausforderung besonders, die auch eine Chance ist: „Carpe diem! Nutze den Tag!“

 

Im Heute zu leben ist unsere Aufgabe. Was morgen sein wird, wie schnell wir Corona hinter uns lassen werden – wir wissen es nicht. Aber jeden neuen Morgen wissen wir: „Die Sonne ist wieder aufgegangen. Trotz Corona. Unbeeindruckt von Corona. Sie bringt Licht für den Tag und seine Aufgaben. Es gibt viel zu tun – packen wir es an!“

 

Das will ich tun in dem Bewusstsein, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit jeden Morgen neu sind. Ich weiß: Der gute Hirte Jesus ist mit mir – und den vielen Tausenden, die mit mir ihm vertrauen. Er ist da, auch wenn wir durch das Tal der Todesschatten gehen. Wie heißt es noch in dem Klassiker des Gospelmusikers Bill Gaither, der auch ins Deutsche übersetze wurde? Wie beschreibt er die Wirklichkeit des auferstandenen Herrn Jesus Christus? „Weil Jesus lebt, fasse ich Vertrauen. Weil Jesus lebt, weicht alle Angst. Er steht mir bei, denn ihm gehört die Zukunft. Ich fühle mich geborgen, weil er wirklich lebt.“

 

Dein dankbarer Senior

Heinz-Martin Adler

verheiratet mit Margret, Vater, Großvater und Urgroßvater, war Verlagsmitarbeiter, Geschäftsführer, Trainer und Erwachsenenbildner und befindet sich heute im aktiven Unruhestand. 

 

E-Mail: hmadler@t-online.de

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