Wie häufig sind Zwangsstörungen?

Etwa 2,5 Prozent der Deutschen wissen spätestens am Ende ihres Lebens aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, zwangsgestört zu sein. Die meisten Betroffenen haben schon vor dem 25. Lebensjahr damit zu tun, Männer mehr als Frauen. Ein Drittel entwickelt das Zwangsproblem bereits im Kindesalter. Bei Zwangsstörungen kann eher man nicht wie zum Beispiel bei vielen Depressionen sagen, dass man „auch mal“ daran gelitten hat, weil sie üblicherweise chronisch sind. Unbehandelt besteht sogar die Tendenz zur Verschlimmerung. Zwei Drittel der Betroffenen werden zusätzlich depressiv; häufig ist auch, dass sie außerdem von anderen Angststörungen, Essstörungen oder Süchten betroffen sind.

 

 

Wie kommen Zwangsstörungen zustande?

Man vermutet heute unterschiedliche Entstehungsherde für Zwangsstörungen, auch biologischer Art. Plausibel und von vielen Betroffenen berichtet sind zwanghafte Vorbilder im kindlichen Umfeld und ein entsprechender Erziehungsstil. Mitunter führen auch schwierige Lebensereignisse dazu, dass Menschen reaktiv Zwänge ausbilden. Zentral für die Aufrechterhaltung der Zwangsdynamik sind jedoch stets aktuelle „dysfunktionale“, das heißt irreführende, unrealistische Situationsbewertungen und Fantasien, die von der Angst diktiert werden. Sie verpflichten die Person zu einer perfekten Absicherung, die keinem Menschen möglich ist.

 

 

Wie äußern sich Zwangsstörungen?

Man unterscheidet diagnostisch generell zwischen Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, beides kann aber auch gemischt auftreten. Zwangshandlungen haben oft mit der Abwehr von Verunreinigung zu tun, deren mögliche Folgen als sehr gefährlich oder peinlich angesehen werden, obwohl das der Realität nicht entspricht. Die unerbittliche innere Nötigung, völlige Kontrolle über die Gefahr auszuüben, kann die Person zu gegen unendlich gehende Maßnahmen der Absicherung veranlassen. Das kann so weit gehen, dass sie nicht mehr zu einem einigermaßen normalen Lebensvollzug fähig ist. Wenn nur Zwangsgedanken überhand nehmen, kann die Person sich zwar noch relativ frei bewegen, sie ist aber unentwegt damit beschäftigt, mit diesen Gedanken und Fantasien regulierend oder abwehrend umzugehen. 

 

 

Was kann man bei einer Zwangsstörung für sich selber tun?

Ein großes Hindernis auf dem Weg in die Freiheit ist bei Zwangsstörungen die Scham. Die Betroffenen wissen, dass ihre Zwänge irrational sind und leiden darunter. Mitunter ist interne Zwangslogik sehr absurd. Es ist verständlich, dass sie andern gegenüber vorsichtig damit umgehen, um nicht für verrückt erklärt zu werden. Aber im Verschweigen und Verschleiern kann keine Lösung liegen.

 

Es ist sehr zu empfehlen, dass sich die Betroffenen Grundinformationen über Zwangsstörungen (wie z. B. durch diesen Beitrag) beschaffen und dadurch erkennen, dass sie weder mit ihrem Problem allein noch irgendwie durch ihre Symptomatik minderwertig sind. Wenn ihnen klar genug geworden ist, dass es sich wohl wirklich um einen Zwang handelt, sollten sie auf weitere Versuche verzichten, im Selbstmanagement zurechtzukommen, und stattdessen direkt professionelle Beratung aufsuchen. Das hat einen einfachen Grund: Wenn sich ein Zwangsdenken nachhaltig etabliert hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch die Versuche zur Selbsthilfe dominiert. Dann wird die Person also leider auf zwanghafte Weise versuchen, ihren Zwang zu bewältigen. Natürlich bleibt sie dadurch in ihrem Teufelskreis.

 

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?

Es gilt bei entsprechend auffälligem Verhalten oder Andeutungen der zwangsgestörten Person diese behutsam, aber auch direkt genug darauf anzusprechen. Am besten kann das gelingen, wenn aus dem Problem kein Problem gemacht wird: Probleme zu haben ist normal – warum soll es nicht auch ein Zwang sein? Anwandlungen zu Zwängen kenn ja fast jeder auch von sich selbst. Wichtig ist aber sicherzustellen, dass die betroffene Person ihr Zwangsproblem auch selbst als irrational und veränderungsbedürftig ansieht. Andernfalls könnte es sein, dass es sich um eine wahnhafte Störung handelt, vielleicht eine Psychose. So oder so sollte die betroffene Person sehr ermutigt werden, sich in Fachbehandlung zu begeben.

 

Manche enge Bezugspersonen von Zwangsgestörten lassen sich für den Zwang instrumentalisieren und werden dadurch zu Co-Erkrankten. Das lässt sich daraus verstehen, dass ihr Mitwirken bei Zwangshandlungen kurzfristig für die Betroffenen Erleichterung bewirkt, so wie das Besorgen von Spirituosen für Alkoholiker. In solchen Fällen kann es ratsam sein, wenn sich die Angehörigen erst einmal selbst helfen lassen. Wenn sie stabil genug sind, um einen gesunden Abstand zum Problem der betroffenen Person zu haben, können sie eine wichtige Rolle als Helfer im Therapieprozess einnehmen, indem sie etwa in Absprache mit der Beratungsperson die notwendigen Konfrontationsübungen im Alltag unterstützend begleiten.

 

 

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?

Das Wichtigste auf dem Weg zur Heilung ist bei Zwängen, ihr Vorhandensein zu entdramatisieren. Dazu hilft es, die Betroffenen zu ermutigen, den Zwang wie eine Behinderung anzusehen: Seine Eigendynamik hat sich nun einmal etabliert, darum stellen sich die Zwangsgedanken von selbst ein wie auch die immer wieder starken Impulse zu Zwangshandlungen.

 

Wie bei anderen Angststörungen kann eine medikamentöse Hilfe in der verordneten Einnahme von Antidepressiva bestehen. Ein hoher Behandlungserfolg ist für die Kognitive Verhaltenstherapie nachgewiesen. Die therapeutischen Hauptrollen spielen dabei der Aufbau von Selbstakzeptanz und Gelassenheit dem Problem gegenüber, die kritische Reflexion der Zwangsfantasien und die Erarbeitung von Denkalternativen dazu, sowie vor allem bei Zwangshandlungen die systematische Konfrontation mit den Zwangsimpulsen und die Einübung des Widerstands gegen sie im realen Leben.

 

Dr. Hans-Arved Willberg

ist Theologe, Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.  

 

www.life-consult.org

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