Wie häufig sind Depressionen?

Depressionen nehmen den Spitzenplatz bei der Häufigkeit psychischer Erkrankungen ein. So erlitten zum Beispiel 2006 in Deutschland 15 Prozent der Frauen und 8 Prozent der Männer im Lauf des Jahres eine depressive Phase – und die Zahl steigt seither kontinuierlich. Der Statistik nach sind Frauen anfälliger für Depressionen als Männer, was aber auch damit zu tun hat, dass viele Männer dazu neigen, ihre depressiven Gefühle zu leugnen.

 

Wie kommen Depressionen zustande?

Ungefähr jede zehnte Depression hat überwiegend oder gar ausschließlich körperliche Gründe wie Schädigungen des Gehirns oder genetische Ursachen. Bei den übrigen handelt es sich um Wechselwirkungen von Belastung, Veranlagung und Situationsbewertung. Man nennt sie auch reaktive Depressionen, weil sie vor allem daraus hervorgehen, dass eine Person auf einen bestimmten Anlass aufgrund ihrer Situationsbewertung auf depressive Weise reagiert. Den Kern dieser Bewertungen bilden pauschale Negativurteile über sich selbst, die Mitmenschen und das Schicksal. Man nennt das die „Kognitive Triade“.

 

Wie äußern sich Depressionen?

Wenn die Kognitive Triade im Zentrum einer Depression steht, wird die betroffene Person von Gedanken der Hoffnungs- und Hilflosigkeit beherrscht, die sich in pauschaler Selbstabwertung verdichten. Die Person sieht in lebensbejahenden Aktivitäten keinen Sinn mehr und kann sich nur mit großer Mühe dazu aufraffen. Das zweite depressive Kernsymptom neben der Kognitiven Triade ist darum die Lust- und Antriebslosigkeit. Wenn das negative Denken einerseits und die Antriebslosigkeit andererseits vorherrschen, folgt von selbst daraus, dass sich die Person auch zurückzieht. In der sozialen Isolation besteht somit das dritte Kernsymptom.

 

Was kann man bei einer akuten Depression für sich selbst tun?

Schwere Depressionen sind lebensgefährliche Erkrankungen, weil die Selbstmordgefahr hoch ist. Wer sich sehr depressiv fühlt und von Überlegungen geplagt wird, wie er sich das Leben nehmen könnte, sollte das auf keinen Fall geheim halten, sondern sofort ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Um Depression nachhaltig zu überwinden, ist ein gewisses Maß von vernünftiger Selbstdisziplin nötig. Die Betroffenen tun sich selbst den größten Gefallen, wenn sie sich auf die drei Hauptbereiche der Depressionsentstehung konzentrieren: das negative Denken, die Antriebslosigkeit und die soziale Isolation. Gegen das negative Denken hilft nicht, dass man sich mit „positivem Denken“ etwas in die Tasche lügt, sondern dass man sich realistische Gedanken macht. Das Problematische an den depressiven negativen Gedanken ist nicht, dass sie schwer und traurig sind, sondern dass sie maßlos übertreiben. Gegen die Antriebslosigkeit hilft nur, dass man den Schweinehund überwindet und sich gut geplant möglichst viele Aktivitäten gönnt, von denen man weiß, dass sie eigentlich guttun. Das beste Antidepressivum überhaupt ist körperliche Bewegung! Der sozialen Isolation begegnet man am besten, wenn man sich mit seiner Depression Menschen anvertraut, von denen man sich angenommen weiß und verstanden fühlt.

 

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?

Ein Grundprinzip aller sinnvollen Psychotherapie ist Hilfe zur Selbsthilfe. Auf dieser Linie liegt auch das, was Angehörige und Freunde für Depressive tun können. Bei reaktiven Depressionen geht es darum, sie einfühlsam und wertschätzend in ihrer Selbstdisziplin in Bezug auf Gedanken, Aktivitäten und Beziehungspflege zu unterstützen. Keinesfalls hilfreich sind Bestätigungen ihrer pessimistischen Gedanken, genauso aber auch Beschwichtigungen, Verharmlosungen, entmündigende Vorschläge oder Maßnahmen und Vorwürfe.

 

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?

Zumindest bei schweren nicht-reaktiven Depressionen muss unbedingt ein Arzt konsultiert werden. Unabdingbar ist in diesen Fällen auch die Behandlung mit Antidepressiva. Um die depressive Krise möglichst bald zu überwinden und Vorsorge zu treffen, um in ähnlichen Situationen nicht wieder depressiv zu reagieren, ist eine Psychotherapie zu empfehlen. Moderne Depressionsbehandlung arbeitet an den drei „Baustellen“, die wir oben schon vorgestellt haben: Veränderung des Denkens, gesunde, wohltuende Tagesgestaltung sowie Ermutigung und Anleitung zu sozialkompetentem Beziehungsverhalten.

 

Dr. Hans-Arved Willberg

ist Theologe und Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.), Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.

www.life-consult.org

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