Wie verbreitet sind Angststörungen?

Angststörungen sind sehr verbreitet; sie stehen hinter Depressionen an der zweiter Stelle der Häufigkeit psychischer Leiden. Frauen sind der Statistik nach doppelt so oft betroffen wie Männer, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass Männer ihre Ängste eher leugnen. Einheitliche Zahlen zu nennen ist schwierig, weil das Spektrum der Störungsbilder bei Angst ziemlich groß ist.

 

Wie entstehen sie?

Angst zu haben ist normal. Zur Störung wird eine Angst, wenn sie eine unverhältnismäßig starke Macht entwickelt, die einen Menschen an Verhaltensweisen hindert, zu denen er normalerweise nur wenig oder mäßigen Mut bräuchte. Angststörungen haben zwei Hauptursachen: Angstbesetzte Gedächtnisinhalte, die sich das Gehirn selbsttätig bei bestimmten Anlässen in Erinnerung ruft, sowie unsere mehr oder weniger bewussten Bewertungen solcher Erinnerungen und des Gefühls der Angst selbst. Das heißt: Wir interpretieren die Erinnerung als eine unmittelbare Bedrohung und wir beurteilen das Gefühl der Angst, als wäre es selbst schon eine Gefahr: Wir haben also auch noch Angst vor der Angst.

 

Wie äußern sich Angststörungen?

Der Grundtyp der Angststörungen ist die Vermeidung der Konfrontation mit einer bestimmten Erfahrung, die man für sehr bedrohlich hält. Die meisten dieser Störungen bezeichnet man als Phobie. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Diagnosen, je nachdem, was man vermeidet (z. B. enge Räumlichkeiten (Klaustrophobie), große Plätze (Agoraphobie), Flugangst (Aviophobie), etc.). Andere Angststörungen sind Panikattacken und die sogenannte Generalisierte Angststörung.
Auch die Panik nimmt eine Erfahrung zum Anlass: in der Regel eine als Lebensbedrohung interpretierte Körperwahrnehmung, besonders Unregelmäßigkeiten des Herzschlags. Die betroffene Person erlebt, dass die körperliche Symptomatik sich verstärkt, wenn sie Angst davor hat. Zum Beispiel erhöht sich der Puls – wodurch sich wiederum die Angst verstärkt. Weil diese Angst sehr unangenehm ist, entwickelt die Person nun eine Angst vor dieser Angst, die dann allein schon die Panik auslösen kann. Die Generalisierte Angststörung kommt dadurch zustande, dass die Person alle möglichen Situationen vermeidet, durch die sie ein Opfer ihrer Angst werden könnte.

 

Was kann man bei einer akuten Angststörung für sich selbst tun?

Voraussetzung für die Bewältigung seelischer Probleme ist, dass man sich erlaubt, sie zu haben. Das gilt für Ängste in besonderer Weise. So lässt sich die Angst vor der Angst als wesentlicher Entstehungsfaktor für die Störung reduzieren, indem man sich sagt: „Ich habe Angst – aber das ist nicht schlimm, sondern nur unangenehm.“ Als zweite effektive Maßnahme gilt es, sich dem Gegenstand der Angst zu nähern und die Konfrontation auszuhalten, statt ihm weiter aus dem Weg zu gehen. Dabei muss die passende Mitte zwischen Unter- und Überforderung gefunden werden. Es kommt sehr darauf an, echte Erfolge zu erzielen, wozu man aber immer wenigstens etwas Mut braucht. Ob ich mutig bin oder nicht, hängt davon ab, was ich mir selbst im Blick auf die Herausforderung sage: „Ist es realistisch oder ist es nur eine Fantasie der Angst?“

 

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?

Weil das Vermeiden von Angstsituationen den Kern der Problematik ausmacht, sollten die Bezugspersonen dem Thema nicht auch selbst aus dem Weg gehen, sondern die Betroffenen mit realistischen Argumenten ermutigen, zu ihrem Problem zu stehen und sich damit auseinanderzusetzen. Unangebracht sind alle vermeintlichen Hilfsmaßnahmen, die zusätzlich auf irgendeine Weise Druck erzeugen, denn jeder Druck verstärkt die Angst, statt sie zu überwinden.

 

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?

Bei sehr starken Ängsten helfen ärztlich verschriebene Psychopharmaka; oft kommen hier Antidepressiva zum Einsatz, denn Angststörungen und Depressionen haben viel gemeinsam. Psychotherapie ist angebracht, wenn die Störung eine starke emotionale Belastung und Einschränkung im Alltag bewirkt. Hauptbestandteile einer Angstbehandlung sind erstens Entspannung, zweitens Hilfen zur Realitätsüberprüfung, aus denen die Person Selbstverbalisationen (Ermutigungen) zur Konfrontation mit ihrer Angst gewinnen kann, und drittens die angeleitete und begleitete Konfrontation mit den Punkten, die der Angst wegen sonst vermieden werden. Hierfür stehen sanfte Methoden der schrittweisen Annäherung und Methoden der direkten, aber gut vorbereiteten Auseinandersetzung zur Verfügung.

 

Dr. Hans-Arved Willberg

ist Theologe und Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.), Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.

www.life-consult.org

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