MINDO: Frau Janßen, kürzlich ist Ihr Buch „Schluss mit Zurechtgestutzt“ erschienen. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie es geschrieben haben?

 

ELKE JANSSEN: Ich hatte ursprünglich gar nicht geplant, ein Buch zu schreiben. Ich wollte Online-Seminare anbieten. Also machte ich mich auf die Suche nach Themen, die mich geprägt haben: Sehnsucht nach mehr, Rebellion gegen das, was man angeblich zu denken, glauben und fühlen hat, mein Gottesbild und Glaubenssätze in meinem Leben.

 

In dieser Zeit hat sich eine Bekannte von mir als Lektorin selbstständig gemacht. Sie suchte Testkunden für ein System, mit dem sie Autoren betreuen wollte. Da habe ich mich gemeldet und ihr das, was eigentlich als Online-Seminar geplant war, eingereicht. Sie fand es klasse und hat mich dann ein Jahr lang begleitet.

 

Der Titel ist erst ganz am Schluss entstanden. In meinem Buch beschreibe ich, wie ich mich in der christlichen Welt lange als Außenseiter empfunden habe, weil ich in das vorgegebene Schema nicht hineingepasst habe. Ich hatte immer dieses Bild von Buchsbäumen im Hinterkopf, die beschnitten werden: Manche finden die wunderschön, aber ich finde sie schrecklich. Ich hatte das Gefühl, dass es ein vorgegebenes Bild von dem gibt, wie man als Christin zu sein hat – und da passte ich nicht rein. Ich habe versucht, mich anzupassen, weil ich nicht in der Hölle landen wollte. Innerlich habe ich mich jedoch in meine Fantasiewelten verkrochen. Durch verschiedene Krisen, Panikattacken und Ängste bin ich im Laufe der Zeit über die Klage an Gott, spirituelle Körperarbeit und Auseinandersetzungen mit mir selber einem liebevollen Gott begegnet: einem Gott, der sich darüber freut, wie ich bin, mit allen meinen Ecken und Kanten. Mein Wunsch ist es, Menschen einen Raum zu geben, sich mit ihrem eigenen Zurechtgestutzt-worden-Sein auseinanderzusetzen und die Weite des Glaubens zu entdecken.

 

 

In Ihrer Beratungspraxis werden Sie sicher auch immer wieder mit diesem Thema konfrontiert. Mit welchen Problemen haben Ihre Klienten am häufigsten zu kämpfen?

 

JANSSEN: Schuldgefühle sind oft ein Thema. Sie denken, dass ihr Leben nicht gelingt oder anders verläuft als gedacht, weil sie sich nicht ausreichend angestrengt oder Gott nicht genug vertraut haben. Da geht es oft um Glaubenssätze, die einen einschränken. Diese sind manchmal mit Gottesbildern verknüpft, aber nicht immer.

 

 

Manch einer würde vermutlich einwenden, dass ein bisschen Anpassung noch niemandem geschadet hat. Wie sehen Sie das?

 

JANSSEN: Bei mir hat es sich so ausgewirkt, dass ich in eine Krise geriet und Panikattacken bekam. Das muss nicht bei jedem so sein. Aber ich habe nach Vorstellungen und Bildern gelebt, die nicht meine waren. Ich war voller Selbstzweifel. Ein zu angepasstes Leben kann sich auch körperlich auswirken. Die Menschen, die zu mir in die Beratung kommen, stecken oft in Krisen fest, haben Ängste. Sie merken, dass ihnen etwas fehlt. Sie trauen sich weniger zu, probieren weniger aus, verbieten sich neue Erfahrungen. Das macht auch etwas mit dem eigenen Selbstwert. Es ist wichtig, sich selbst zu erlauben, dass man anders als andere leben und sich entfalten darf.

 

 

Wo wäre es Ihrer Meinung nach an der Zeit, im Kontext christlicher Gemeinden genauer hinzuschauen und Dinge zu verändern?

 

JANSSEN: Es gibt Gemeinden, wo unter dem Deckmantel des „wahren Glaubens“ nicht über Fragen oder Konflikte gesprochen wird. Es wird zwar gepredigt, dass es reicht, wenn man Jesus liebhat, wenn dann aber jemand beispielsweise homosexuell ist, wird er aus der Gemeinde geworfen.

Ich möchte Menschen zeigen, dass es Alternativen gibt: Sie können sich von dem System, das sie als eng empfinden, trennen, müssen dabei aber nicht automatisch auch den Glauben an Gott über Bord werfen.

So etwas ist sehr verletzend und darum ist es wichtig, dass es Räume gibt, in den das aufgearbeitet werden kann. Räume, wo sich Wut und Verletzlichkeit zeigen dürfen, aber auch Fragen gestellt und Dinge hinterfragt werden können. Meine Beobachtung: Viele Menschen, die aus Freikirchen ausgetreten sind, wollen mit Gott nichts mehr zu tun haben. Ich möchte mit diesem Buch auch zeigen, dass die Entfaltung des Individuums mit dem christlichen Gottesglauben etwas ist, worüber sich Gott freut.

 

 

Wie passiert dieses Zurechtstutzen eigentlich?

 

JANSSEN: Oftmals durch vermeintliche „Wächter“ in Gemeinden oder auch Verbänden, die definieren wollen, wie ein „richtiger und wahrer Christ“ auszusehen hat. Und mit Rauswurf drohen, wenn man Regeln und Vorgaben hinterfragt.

Regeln sind ja nicht nur schlecht, sondern geben auch Halt und können das Gefühl stärken, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Unabhängig davon entlasten sie mich, selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Unreflektiert führen sie aber letztendlich in die Enge.

 

 

Welchen Rat geben Sie denen, die aus einem auf diese Weise zurechtgestutzten Leben ausbrechen möchten?

 

JANSSEN: Ich gehe immer gerne über die Sehnsucht an das Thema heran. Dafür sollte man sich in aller Ruhe einmal die Frage stellen: „Angenommen, alles wäre möglich – wie wäre ich gerne?“ Oder auch: „Angenommen, ich würde meinen 80. Geburtstag feiern – was würde ich mir wünschen, das die Leute sagen?“

 

Es geht darum, sich die Zeit zu nehmen, sich selbst auf die Spur zu kommen. Das Zurechtgestutzt-Werden bringt Verletzungen mit sich. Darum sind Schutz- und Freiräume notwendig, diese behutsam und wertschätzend anzusehen. Dafür möchte ich Menschen einen Raum geben, den sie selber gestalten dürfen.

Hilfreich ist es auch, sich Menschen zu suchen, denen es ähnlich gegangen ist. Außerdem würde ich dazu ermutigen, Entspannungsübungen auszuprobieren oder auch mal ein Seminar in einem Kloster mitzumachen. Wenn das eine nicht funktioniert oder nicht zu mir passt, habe ich die Freiheit, damit aufzuhören. Viele wissen ja gar nicht, was ihnen guttut. Ich wusste das auch nicht. Erlaube dir also, dir eine Auszeit zu nehmen. Das kann eine halbe Stunde am Tag sein, eine Stunde, ein Tag oder ein Wochenende. Tu etwas für dich und dann schau: Passt das zu mir? Probiere dich aus.

 

 

Frau Janßen, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Das Interview führte Nicole Sturm.

Elke Janßen

ist systemische Beraterin mit eigener Beratungspraxis in Bonn. Vor kurzem ist mit „Schluss mit Zurechtgestutzt“ (Neukirchener Verlag) ihr erstes Buch erschienen.

 

www.elkejanssen.de

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