Kopf oder Bauch? Gefühle, allem voran unangenehme, scheinen uns eher am vernünftigen Handeln zu hindern. Doch Angst, Trauer oder Wut haben einen Sinn. „Emotional Logic“ kann dabei helfen, ihn zu entschlüsseln und für gute Entscheidungen zu nutzen.
„Ich habe meine Freundin verloren“, erzählt Franka traurig, „und ich weiß gar nicht, was ich falsch gemacht habe! Wir haben die Corona-Krise einfach total unterschiedlich wahrgenommen – und vor einem Jahr hat meine Freundin begonnen, sich völlig zurückzuziehen. All meine Versuche, mit ihr Kontakt aufzunehmen, haben mich eigentlich nur verletzt, denn sie erzählte mir dann von anderen Freunden, mit denen sie sich nun trifft. Ich scheine ihr nicht mehr wichtig zu sein, denn sie selbst hat sich seither nicht mehr bei mir gemeldet.“
Mit dem, was Franka erlebt, ist sie nicht allein. Viele Menschen erleben, dass ihre freundschaftlichen oder familiären Beziehungen in den letzten beiden Jahren sehr herausgefordert waren. Wir haben Enttäuschungen, Verletzungen und Rückschläge erfahren, die uns herausfordern und manchmal auch an unsere Grenzen bringen. Denn wir erleben durch die noch immer nicht gänzlich beendete Pandemie eine grundlegende Veränderung unserer Lebensgewohnheiten, die uns aus unserer Komfortzone geworfen hat. Immer noch müssen wir neue Wege finden, um einen neuen guten Umgang in unserem Miteinander zu finden. Dabei werden die Herausforderungen, die wir aktuell in unseren Beziehungen erleben, durch aufgeheizte Emotionen nur noch brenzliger. Dabei können jedoch gerade unsere Emotionen uns dabei helfen, neue Wege im Miteinander zu finden, das Verlorene wiederzugewinnen und Beziehungen neu zu gestalten.
Unsere Emotionen sind „körperliche Vorbereitungszustände“ für unsere Handlungen. Sie beinhalten wertvolle Informationen und verfolgen immer einen Zweck – auch wenn sie sich unangenehm anfühlen.
„Erst hat mich das Verhalten meiner Freundin wütend gemacht“, erzählt Franka weiter. „Warum muss sie mich so provozieren und verletzen? Ich habe ihr doch gar nichts getan! Und dann war ich immer mal wieder richtig niedergeschlagen und traurig, weil ich an unserer Situation nichts ändern konnte und mich so verlassen und einsam fühlte“, reflektiert Franka die vergangenen Monate. „Phasenweise habe ich meine Traurigkeit über die Beziehung einfach verdrängt und weggeschoben, weil anderes wichtiger war. Aber das hat unsere Beziehung ja nicht besser gemacht.“ Und nachdenklich fügt sie hinzu: „Immer wieder kommen auch Gedanken auf: Gibt es vielleicht doch ein Wort, das ich falsch gesagt habe? Hätte ich doch mehr versuchen sollen, unsere Beziehung zu retten? Manchmal kommt ein leises Gefühl in mir hoch, vielleicht doch mitschuldig an dem Scheitern unserer Beziehung zu sein. Mir macht das Angst: Wie konnte es nur sein, dass Umstände unsere wertvolle Freundschaft derart zerstören konnte?“
Gefühlsbotschaften entschlüsseln
Was Franka durchlebt, haben wir fast alle schon einmal auf die ein oder andere Weise erlebt. Wie aber kann sie – und damit auch wir in ähnlichen Situationen – die Botschaft ihrer verwirrenden Gefühle deuten und positiv zur Problemlösung einsetzen?
Unsere Emotionen sind „körperliche Vorbereitungszustände“ für unsere Handlungen – oder aber für unseren Rückzug. Sie beinhalten wertvolle Informationen und verfolgen immer einen Zweck, auch wenn sie sich unangenehm anfühlen. Diesen Zweck zu verstehen und konkrete Emotionen – beispielsweise Wut, Ärger, Angst, Niedergeschlagenheit, Schuldigfühlen und Verdrängen – mit unserem Verstand in ein gutes Team zu bringen, nennen wir „emotionale Intelligenz“. Betrachten wir also ein paar Emotionen einmal näher:
Angst ist eine lebenserhaltende Reaktion, die uns schützt. Sie signalisiert uns, dass wir gerade wohlmöglich an unseren Kräften und Möglichkeiten zweifeln. Angst lädt uns ein, zu unterbrechen, was wir gerade tun, um in einem geschützten Rahmen unsere Kräfte und Möglichkeiten zu überprüfen. Dieser geschützte Rahmen kann der Moment des Rückzugs sein, um uns zu sammeln. Es kann ein Mensch sein, der uns hilft uns zu sortieren. Dieser geschützte Rahmen kann aber auch die Gegenwart Gottes sein, der sich selbst als „Friedefürst“ bezeichnet und uns in unserem Aufgewühltsein begegnen will. Vielleicht in Form eines Gebetes, in dem wir ihm unsere Angst benennen und ihn bitten: „Gott, komm du mit deinem Frieden hinein in die Situation, die mich gerade ängstigt.“
Wut kann als Vitalkraft verstanden werden. Sie beinhaltet Energie, die wir nutzbar machen können, wenn wir lernen, sie in konstruktiver Weise einzusetzen, um etwas zu verändern, was uns gerade unglücklich macht. Wut und Ärger sind wichtige Körpersignale, um zu verhindern, dass wir in Zukunft erneut unangenehme und verletzende Erfahrungen machen.
Wenn wir uns leer und ohnmächtig fühlen, drückt das unser Niedergeschlagensein aus. Mit dieser Emotion sind wir eingeladen, unsere Grenzen (neu) wahrzunehmen und aufzuhören, nach dem Unmöglichen zu streben.
Und die Emotion des Schuldigfühlens lädt uns nicht zuletzt dazu ein, uns zu hinterfragen, ob wir diese unangenehme Situation vielleicht auch selbst verursacht haben. Wir dürfen herausfinden, ob wir durch verändertes Verhalten neue, heilsame Wege finden können.
Gefühle machen Sinn
Den Sinn dieser Emotionen zu verstehen, hilft uns auch dabei, zu verstehen, was eine konkrete Situation gerade in uns auslöst und hilft uns Antworten zu finden, die uns neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Bei Franka sah das zum Beispiel so aus: „Meine Angst hat mich ermutigt, mir regelmäßige Zeiten des Gebets und Gesprächs mit Gott zu nehmen. Ihm nenne ich nun regelmäßig all die Dinge, die mich ängstigen und mir hilft es, sie in seine Hand loszulassen. Meine eigenen Grenzen darin wahrzunehmen, war zwar traurig, aber irgendwie auch heilsam. Manchmal geraten wir in Situationen, die wir unmöglich verändern können. Dieses Bewusstsein hat mich irgendwie befreit. In meiner Stille im Gebet mit Gott, habe ich ihm auch mein Gefühl der Schuld hingehalten. Ich habe ihn gebeten, dass er mir die Augen öffnet, wo ich Verantwortung für mein Handeln trage und die Bereitschaft formuliert, dass ich gerne dazulernen möchte, es in Zukunft neu zu gestalten.“
Konkrete Emotionen mit unserem Verstand in ein gutes Team zu bringen, nennen wir „emotionale Intelligenz“.
Weil Franka ihre Gefühle nicht nur wahrnimmt, sondern durchdenkt und ihre Botschaft zu verstehen beginnt, ist sie neu ermutigt, die Energie, die aus ihrer Wut über diese Situation fließt, dafür zu nutzen, doch noch einmal einen Versuch zu starten, mit ihrer Freundin ins Gespräch kommen zu können.
Die Emotionen, die Franka durchlebt, sind Verlust-Emotionen. Jeder von uns kennt sie aus ähnlichen Situationen. Verlust-Emotionen weisen uns darauf hin, dass wir in Gefahr stehen, etwas zu verlieren, das uns wichtig ist. Wenn wir eine (oder meist mehrere) dieser Verlust-Emotionen bei uns erkennen, deutet das darauf hin, dass wir uns in einem Trauerprozess befinden. In diesem Kontext können wir Trauer als eine Reaktion verstehen, die dem, was wir Verlorenen haben, einen Wert schenkt. Um zu begreifen, warum wir uns gerade schlecht fühlen, hilft uns die Frage: Was habe ich verloren? Oder auch: Was befürchte ich zu verlieren?
Im Fall von Franka ist es der Verlust ihrer wertvollen Freundschaft: „Ich habe eine total verlässliche Person verloren. Wir waren schon lange befreundet und ich konnte mich immer hundertprozentig auf sie verlassen. Wir haben viel miteinander gelacht. Jetzt fühle ich mich allein, denn ich habe gar nicht so viele enge Freunde, und mir fehlt das Lachen. Durch den Verlust dieser Freundschaft bin ich um Wertschätzung, Annahme, Verständnis, Lebensfreude und Fürsorge ärmer geworden. Sie hat mir Sicherheit und Stabilität in meinem Leben gegeben – alles Dinge, die ich jetzt erst benennen kann, wo sie mir fehlt.“
Unseren Werten auf der Spur
Indem wir uns vor Augen halten, was wir tatsächlich verloren haben oder wo wir in Gefahr stehen, etwas zu verlieren, kommen wir unseren Werte auf die Spur – sprich: dem, was wertvoll, was wichtig für uns ist. Und weil wir eine emotionale Reaktion durchleben, wissen wir, dass ein Wert in Gefahr ist.
Manche dieser Werte scheinen unwiederbringlich. Wir fühlen uns machtlos, die Situation zu verändern – und doch können wir uns noch immer entscheiden, wie wir durch diese schmerzhafte Situation hindurchgehen und dadurch letztlich gestärkt werden.
Manchmal braucht es lediglich einen kleinen Stupser, der uns ermutigt, zu Gestaltern neuer Wege zu werden.
In eingefahrenen Situationen, wo anscheinend keine Lösung und kein Ausweg zu finden ist, hilft es manchmal, kleine gangbare Schritte zu finden, um wieder Bewegung in unseren inneren Prozess zu bringen.
Dafür werfen wir noch einmal einen Blick auf die Verluste, die wir erfahren. Manche dieser Verluste können wir nicht beeinflussen – aber wir können uns auf die Suche machen, Machbares neu zu gestalten. Wie Franka, wenn sie erzählt: „Eine neue vertrauensvolle Freundin, wie die, die ich verloren habe, kann ich nicht von jetzt auf gleich wiedergewinnen. Aber Leben zu genießen, zu lachen und ein wenig aus meinem alltäglichen Einerlei rauskommen, das ist machbar! Also habe ich eine alte Bekannte eingeladen mit mir einen Spaziergang zu machen. Wir hatten einen tollen Nachmittag, konnten reden, gemeinsam staunen, der Kälte durch Bewegung gemeinsam entfliehen und miteinander lachen. Das hat mir unheimlich viel Kraft gegeben!“
Manchmal braucht es lediglich einen kleinen Stupser, der uns ermutigt, zu Gestaltern neuer Wege zu werden. „Es war erstaunlich, was dieser eine Nachmittag in mir bewirkt hat. Diese kurze Begegnung hat mich in meinem Selbstwert neu bestärkt, denn der hat durch den Verlust der Freundin doch sehr gelitten. Nun bin ich ermutigt, auch in der verletzten Beziehung neue Wege zu suchen und meine Freundin mit ihrer Meinung und Sichtweise stehen lassen zu können. Ich habe richtig Sehnsucht danach, ein ehrliches Gespräch in einem geschützten Rahmen mit ihr zu suchen, um zu sehen, ob unsere Freundschaft zu retten ist.“
Das Dreamteam
Ziel von „Emotional Logic“ ist, unsere Emotionen und unseren Verstand in ein gutes Team zu bringen. Wir können lernen, unbedachte und verletzende Reaktionen zu vermeiden und stattdessen konstruktive Auswege suchen. So konnte Franka ein ehrliches Gespräch mit ihrer Freundin führen. Beiden wurde deutlich, dass viele Missverständnisse zu dieser Situation geführt haben und Unsicherheiten sie getrennt haben. Beide hatten Interesse, die andere zu verstehen und ihr zuzuhören. Es war ihnen wichtig voreinander auszusprechen, wie wertvoll ihnen ihre Freundschaft ist.
Heute wissen beide, dass ihre Unterschiedlichkeit sie weiter herausfordern wird und ihre Beziehung hin und wieder in Spannung geraten lässt. Aber sie haben die Hoffnung, dass Liebe stärker ist und ihnen die nötige Spannkraft gibt. Das ist ihr Gebet und ihre Hoffnung.