Ihr wahrer Kern macht sie geschmeidig glatt und darum so gefährlich: Falsche Überzeugungen, die zu regelrechten „Glaubenslügen“ werden können. Bleiben sie unerkannt, beschädigen sie über kurz oder lang unser Denken, Fühlen und Handeln – und unsere Beziehung zu Gott. Die Theologin Nicole Sturm enttarnt sie und ermutigt zu einem neuen Denken. 

 

1. Erkennen

Was ist die Bibel? Das wichtigste Buch der Christen? Ganz sicher, denn in ihm können wir viel über Gott, sein Wesen und seinen Willen erfahren. Ein Leitfaden für unser Leben – auch heute noch, im 21. Jahrhundert? Auch hier werden die meisten Christen vermutlich zustimmen.

 

Manchen Christen ist es im Zusammenhang mit dieser Frage ein besonderes Anliegen, die Bedeutung der Bibel für jeden einzelnen Menschen hervorzuheben. Sie wollen das Vertrauen in die Bibel stärken und gehen so weit zu behaupten, dass alles, was in der Bibel steht, auch heute noch 1:1 für jeden Menschen gilt. So ehrenwert ihre Absicht auch sein mag – das stimmt so nicht! Nicht jede Aussage der Bibel lässt sich ins Heute übertragen, und nicht jede Zusage Gottes gilt einem persönlich.

 

2. Entlarven

Besonders häufig begegnet einem das Aneignen von Zusagen Gottes. Man denke an Genesungskarten, die häufig mit einer als Ermutigung gedachten Verheißung Gottes gespickt sind. Oder an das in vielen Gemeinden traditionelle „Bibelverse-Ziehen“: Die Anwesenden können einen Zettel mit im Vorfeld ausgewählten Bibelversen ziehen, der sie im kommenden Jahr begleiten soll. Oft handelt es sich dabei um Zusagen Gottes.

Doch was als Ermutigung gedacht ist, kann unter Umständen zu enormem Frust führen. Schlimmstenfalls kann es passieren , dass das Vertrauen in Gott erschüttert wird statt gestärkt. Nämlich dann, wenn vermeintlich persönliche Zusagen Gottes nicht in Erfüllung gehen.

 

Doch der Grund für die Enttäuschung ist nicht etwa Gott, der seine Versprechen nicht halten würde. Vielmehr sind es Menschen, die meinen, Zusagen Gottes nach eigenem Gutdünken herauspicken und sich zu Eigen machen zu können. Ihre – zumindest auf den ersten Blick – einleuchtende Begründung: Gott ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit. Und damit haben sie sogar recht. Gott ist auch gar nicht das Problem. Das Problem entsteht, wenn Bibelverse aus ihrem Kontext gerissen werden. Und wenn von Gott erwartet wird, dass er Versprechen, die er einer bestimmten Person in der Bibel gegeben hat, auch uns gegenüber einlöst. Tut er es nicht, ist die Enttäuschung groß. Das wird dann Gott höchstpersönlich angelastet und nur selten demjenigen, der diese falschen Versprechen gemacht hat.

 

Zur Veranschaulichung: Wenn ich meiner Tochter zu ihrem 18. Geburtstag ein Auto verspreche, dann gilt diese Zusage wem? Richtig, ihr – und zwar nur ihr! Nicht ihren Freunden, nicht den anderen Jugendlichen in unserer Stadt und schon gar nicht allen 18-Jährigen auf der ganzen Welt zu allen Zeiten. Mein Versprechen ist also personengebunden. Solche personengebundenen Zusagen und situationsbezogenen Aussagen finden sich auch in der Bibel.

 

3. Ersetzen

Statt Gott Dinge in den Mund zu legen, die er so nie gesagt bzw. versprochen hat, sollten wir uns lieber die Zeit nehmen, genauer hinzusehen und uns zu fragen, welche Aussagen der Bibel allgemeingültig sind und welche nicht. Das bedeutet, einen Bibelvers in seinem Kontext, also im Licht der ihn umgebenden Verse zu lesen. Und auch ehrlich zu sein: Gott heilt nicht jeden Kranken. Er bewahrt uns nicht von allem Übel. Wir sind Teil einer gefallenen Welt und das Leben in ihr entspricht nicht immer unseren Wünschen und Idealvorstellungen.

Statt enttäuscht oder wütend auf Gott zu sein, weil er nicht handelt, wie er es nie versprochen hat, sollten wir lieber aufmerksam die Bibel lesen und uns von ihr auf andere Weise ermutigen lassen.

Vielleicht müssen wir – wenn wir verantwortungsvoll mit der Bibel umgehen – den ein oder anderen lieb gewonnenen Bibelvers aus unserem Ermutigungs-Repertoire streichen.

4. Einüben

Man muss kein mehrjähriges Theologiestudium absolviert haben, um mit Bedacht die Bibel lesen zu können. Vieles lässt sich relativ einfach erlernen. Hierzu einige Impulse:

 

→ Auf den Zusammenhang achten, in dem ein Bibelvers steht.

Ist hier von einer konkreten Person oder Gruppe die Rede – womöglich noch in einer sehr konkreten (Ausnahme-)Situation? Dann lieber vorsichtig sein, bevor man die Aus- oder Zusagen 1:1 auf das eigene Leben überträgt!

Beispiel: An einer Stelle verbietet Jesus einem Mann, anderen von seiner Heilung zu erzählen. Das bedeutet aber nicht, dass man das grundsätzlich nicht tun soll – im Gegenteil! An anderen Stellen fordert Jesus die Menschen sogar explizit dazu auf.

 

→ Die Ohren spitzen, wenn Verse losgelöst von ihrem Kontext weitergeben werden.

Hier ist es gut, sich die Zeit zu nehmen, um den gesamten Text zu lesen. Oft relativieren sich Aussagen, wenn man sie im Zusammenhang liest, oder sie werden um wichtige Aspekte ergänzt.

 

→ Gottes Wesenszüge in den Blick nehmen.

Statt sich immer nur einzelne Bibelverse herauszupicken, lohnt es sich, sich mit Gottes Wesen, seinen Werten und den Prinzipien, nach denen er handelt, vertraut zu machen. Da Gott sich nicht verändert, ist darauf Verlass. Vielleicht müssen wir, wenn wir verantwortungsvoll mit der Bibel umgehen, den ein oder anderen lieb gewonnenen Bibelvers aus unserem Ermutigungs-Repertoire streichen. Dafür können wir aber auf Gottes ewige Eigenschaften verweisen: seine Treue, Langmut, Gnade, Liebe, Nähe etc.

 

→ Richtig die Bibel lesen.

Um wirklich zu wissen, wie Gott „tickt“, müssen wir Zeit mit ihm verbringen. Ein Weg ist das Bibellesen. Am besten regelmäßig, vor allem aber die Bibel als Ganzes.

Nicht wenige Bibelleser tendieren dahin, immer wieder zu ihren Lieblingspassagen zurückzukehren; manche haben die Bibel noch nie von vorne bis hinten durchgelesen. Das ist aber wichtig, um wirklich mitreden zu können. Wer nicht von vorne nach hinten lesen mag: Es gibt viele Bibellesepläne, die chronologisch oder thematisch durch die Bibel führen.

 

Die Bibel hat auch heute noch viel zu sagen und enthält etliche Anweisungen, Gebote und Zusagen, die weiterhin uneingeschränkt gelten. Es ist gut, den Fokus auf sie zu richten. Wenn es jedoch keine „passende“ Zusage gibt, dann sollten wir so ehrlich sein und sie auch nicht erfinden. Wir müssen es aushalten, dass Gott nicht immer die Art Wunder tut, die wir uns erhoffen. Und auch so manch offene Frage und  Ungereimtheit bleibt vorerst unbeantwortet.

 

Noch ein Gedanke zum Schluss: Gott kann uns beim Lesen der Bibel Dinge wichtig machen und durch Bibelverse zu uns sprechen – auch durch solche, die vielleicht ursprünglich an jemand anderen gerichtet waren. Er kann uns so ermutigen, korrigieren, herausfordern. Gott darf das – wir hingegen sollten hier vor allem im Blick auf andere Menschen Vorsicht walten lassen. Denn es besteht ein großer Unterschied, ob wir erleben, dass Gott durch eine Aussage der Bibel zu uns spricht oder ob wir wahllos Lieblingsverse rauspicken und sie Gott in den Mund legen.

 

5. Erinnern

Auf Gott ist Verlass. Enttäuschung entsteht, wo wir seine Worte und Zusagen in einer Art und Weise gebrauchen, wie er sie nie gesagt hat.

 

Psalm 33,4: „Das Wort des Herrn ist verlässlich; er beweist es durch seine Taten.“

Nicole Sturm

ist Theologin und begleitet als psychotherapeutischer Coach (Heilpraktikerin für Psychotherapie) Menschen dabei, hinderliche Glaubenssätze aufzulösen. Mehr über sie und ihre (Online-) Coachingangeboten erfahren Sie hier: www.vorwärtsleben.de

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