Es ist einer der bekanntesten Texte der Bibel überhaupt: das „Hohelied der Liebe“ aus 1. Korinther 13. Immer wieder erlebe ich, dass diese Worte als kitschig abgestempelt werden. Gleichzeitig höre ich sie oft auf Hochzeiten, weil sie doch eine Sehnsucht auslösen. Eine Sehnsucht nach einem Ideal von Liebe. Ich schreibe bewusst „Ideal“. Ohne Ideale gäbe es oft keine Orientierung. Gleichzeitig entlastet der Gedanke eines Ideals, denn Ideale muss kein Mensch in der Gänze erreichen. Gott bezeichnet sich als die Liebe selbst. Er verkörpert das Ideal. In ihm allein finden wir vollkommene Liebe. Dennoch können wir horchen und schnuppern und ein wenig davon kosten, wie er sich das Ding mit der Liebe so gedacht hat.
Ich bin absolut begeistert von den Versen im ersten Korintherbrief. Ich glaube, Gott als der Erfinder von Liebe weiß absolut, wovon er spricht. Wenn ich diese Worte genauer betrachte, staune ich, wie sehr sie mich herausfordern, wenn ich sie umsetzen will. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass ich keine Theologin bin und nur darüber schreibe, wie ich diese Verse verstehe.
„Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich. Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet. Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung, sie trägt keinem etwas nach. Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit. Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.Die Liebe vergeht niemals.“
1.Korinther 13,4–8 (NGÜ)
Liebe ist geduldig, Liebe ist freundlich.
Das klingt so banal und fast schon selbstverständlich. Dennoch passiert beides nicht von selbst. Geduld und Freundlichkeit sind mit viel Impulskontrolle verbunden. Vor allem Geduld kann auch bedeuten auszuhalten, dass eigene Bedürfnisse nicht immer sofort versorgt werden können. Geduld fordert Frustrationstoleranz. Geduld braucht die Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub und in bestimmten Situationen auch für einen kurzen Moment zum Bedürfnisverzicht. Das sind Zeichen emotionaler Reife. Freundlichkeit braucht eine tiefe Gesinnung. Freundlichkeit verleiht Würde und vermittelt Annahme: ,,Du bist wertvoll. Natürlich begegne ich dir in einem liebevollen, zugewandten Ton.“
Sie kennt keinen Neid, sie spielt sich nicht auf, sie ist nicht eingebildet.
Liebe gönnt von Herzen. Liebe ist großzügig. Liebe braucht andere nicht abzuwerten und ihnen nichts vorzuenthalten. Neid ist eine Mischung aus Sehnsucht und wütendem Mangel. Um Neid zu verhindern, ist es wichtig, dass wir unseren Selbstwert kennen und unsere Selbstwertgrenzen spüren können und üben, sie gut zu schützen. Einfach ist das nicht, aber dieser Vers kann uns motivieren, bei uns selbst zu bleiben und im Hier und Jetzt für uns zu sorgen, unseren inneren Tank zu füllen, um dann auf eine ganz freie Weise großzügig zu sein.
Sie verhält sich nicht taktlos, sie sucht nicht den eigenen Vorteil, sie verliert nicht die Beherrschung.
Aufs Rechthaben zu verzichten, kann herausfordernd sein. In Konflikten auf die Metaebene zu gehen, den inneren Standort zu verlassen und einen Perspektivwechsel einzuüben, erfordert eine hohe Leistung und ein wiederholtes Training. Dabei Selbstregulationsmechanismen zu beherrschen, zu wissen, wie wir uns beruhigen können und herunterfahren, kann viel Arbeit für die Paarbeziehung bedeuten.
Sie trägt keinem etwas nach.
Nicht nachzutragen, kann schwer sein und einen Kontrollverlust bedeuten. In einer Beziehung braucht es den Mut, um Vergebung zu bitten und immer wieder Vertrauensvorschüsse auszusprechen. Wenn im Verborgenen Altes festgehalten wird, mischt sich ein subtiler Mechanismus namens Macht mit in die Beziehung, der sehr belastend werden kann.
Sie freut sich nicht, wenn Unrecht geschieht, aber wo die Wahrheit siegt, freut sie sich mit.
Liebe liebt Ehrlichkeit und absolute Aufrichtigkeit. Transparent zu sein, kostet Mut, Kraft und Zeit. Ehrlichkeit bedeutet auch nicht, Themen und Konflikte zu vermeiden, sich bedeckt zu halten oder sie unter den Teppich zu kehren. Eine Kultur zu leben, die Schweres anspricht und bespricht, kann besonders dann herausfordernd sein, wenn man das zu Hause so nicht vorgelebt bekommen hat.
Alles erträgt sie, in jeder Lage glaubt sie, immer hofft sie, allem hält sie stand.
Vor allem dieser Satz raubt mir oft den Atem und macht mich ehrfürchtig. Liebe hält viel aus: Situationen auszuhalten, ist nur möglich, wenn wir trotz Herausforderungen die Verantwortung für uns übernehmen. Und uns dabei in ein gutes Stützsystem einbetten. Wenn wir selbst bereit sind, Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und in schwierigen Zeiten für uns zu sorgen und die für uns passende Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Liebe vergeht niemals.
Ich glaube, dieser Satz führt Paare zum Altar. Sie geben sich ein Versprechen, weil sie daran festhalten, dass sie dem 40, 50, 60 oder mehr Jahre zustimmen können. Dieser Satz zeigt so sehr, dass Liebe am Ende eine Entscheidung und eine Haltung ist und über warme Gefühle hinausgeht.
FRAGEEIMPULS
Was sind die ersten Gedanken, die dir kommen, wenn du den Bibelabschnitt (1. Korinther 13,4–8) liest?
KLEINE STANDORTBESTIMMUNG
Vergib Punkte auf einer Skala von 1 bis 9.
So leicht fällt es mir, geduldig zu sein:
❏ Von 1 = mega-ungeduldig bis 9 = mich bringt nichts aus der Fassung
So leicht fällt es mir, in Stressmomenten freundlich zu bleiben:
❏ Von 1 = geht für mich gar nicht bis 9 = ich bin die Freundlichkeit in Person
So leicht fällt es mir, nicht immer wieder alte Drehbücher von Alltagsbanalitäten aufzuschlagen und nicht nachtragend zu sein:
❏ Von 1 = da hänge ich oft fest bis 9 = ich kann da fair sein
Schaue dir die Verse noch einmal an: In welchen Bereichen der Liebe möchtest du wachsen? Notiere sie.
Fokussiere dich nun auf zwei Aspekte und notiere sie:
1.
2.
Was würde dir dabei helfen, diese beiden Punkte in die Tat umzusetzen?
GEBETSIMPULS
„Jesus, ich bete, dass eine solche kraftvolle, starke Liebe durch unser Miteinander fließt. Möge diese Liebe mutig sein, hinzuschauen. Engagiert sein, dranzubleiben. Und immer auf dich schauen, wie du Liebe vorlebst.“