„Meine Frau (36) und ich (40) sind seit sechs Jahren verheiratet – und kämpfen trotzdem immer noch mit den gleichen Baustellen! Ich bin eher der Nähetyp, verbringe gerne Abende allein zu zweit und könnte auch sonst eigentlich so gut wie alles gemeinsam mit meiner Frau unternehmen. Sie hingegen geht gern auch schon mal nur mit ihren Freundinnen aus. Neulich sagte sie sogar, sie habe manchmal das Gefühl, zu ersticken, weil ich so stark klammern würde. Ich weiß, dass sie es nicht böse meint, aber ich fühle mich schon abgelehnt, wenn sie mehr Freiraum fordert. Wie können wir das lösen?“

 

 

Es gibt eine gute Nachricht: Sie sind mit Ihrem Problem nicht allein! Immer wieder beobachte ich in der Paartherapie, dass es bei Paaren um einen Grundkonflikt geht, der auch Ihnen zu schaffen macht: nämlich das Verhältnis von Nähe und Distanz. Dieser „Nähe-Distanz-Konflikt“ wurde schon von dem ersten deutschen Paartherapeuten Jürg Willi als Schräglage beschrieben.

 

Zu Beginn einer Beziehung tritt er oft nicht so deutlich zum Vorschein, da es zu diesem Zeitpunkt bei Konflikten oft eher um inhaltliche Auseinandersetzungen zu gehen scheint, in die sich Gefühle der Einsamkeit, Wut und Enttäuschung mischen. Beim Nähe-Distanz-Konflikt hingegen geht es um zwei Pole, die ins Gleichgewicht gebracht werden müssen, und das ist für Paare oft nicht leicht. Denn Distanz auszuhalten bedeutet, bei sich selbst ankommen zu können und mit sich selbst gerne Zeit zu verbringen. Und es bedeutet auch, ein Gespür für die eigenen Bedürfnisse zu bekommen und für diese die Verantwortung zu übernehmen.

 

Meine Bedürfnisse, deine Bedürfnisse

Jede Paarbeziehung lässt sich in zwei Ebenen einteilen: in die Individualebene und die Paarebene (und wenn Kinder dazukommen, erweitern sich die Ebenen noch einmal).

Was aber gehört nun auf die Individualebene und was auf die Paarebene? Wann geht es um die eigenen Bedürfnisse nach Anerkennung, Ruhe, Selbstwirksamkeit – und wann um den Beziehungswunsch nach Gesehen-Werden, nach Verständnis oder Zuwendung?

Jeder benötigt in einer Paarbeziehung Raum, auch den eigenen Interessen, Freundschaften oder beruflichen Zielen nachgehen zu dürfen. Und gleichzeitig braucht es natürlich Nähe und Intimität.

Wer mit seinen eigenen Bedürfnissen in Kontakt treten kann, kann auch wahrnehmen, wo eigene Grenzen liegen. Und das wiederum führt dazu, dass wir auch ein Gespür für die Grenzen des Gegenübers bekommen:

→ Welche Bedürfnisse gehören zu mir – und welche meinem Gegenüber?

→ Mische ich mich zu sehr ein?

→ Überschreite ich Grenzen?

→ Gestehe ich dem anderen zu, dass er oder sie selbst weiß, was am besten für ihn oder sie ist?

 

Das alles ist oft gar nicht so leicht auseinanderzuhalten. Es geht darum, der Partnerin oder dem Partner zuzugestehen, dass er oder sie Zeit für sich braucht. Jeder benötigt in einer Paarbeziehung Raum, auch den eigenen Interessen, Hobbys, Freundschaften oder beruflichen Zielen nachgehen zu dürfen. Das ist aber nur dann möglich, wenn beide auch jeweils Zugang zu sich und ihren eigenen Ressourcen haben. Stellen Sie sich darum folgenden Fragen:

→ Was macht mir Freude?

→ Woraus schöpfe ich Kraft?

→ Welche Freundschaften pflege ich gerne?

 

Und gleichzeitig braucht eine Paarbeziehung natürlich Nähe und Intimität. Sie braucht Zeit in Form von Austausch, Raum für gemeinsame Erlebnisse, emotionale Nähe und Tiefe.

Schwierig wird all das nur dann, wenn unversorgte Bedürfnisse dafür sorgen, dass einer klammert, den anderen vereinnahmt und ihn unabkömmlich zur Stillung seiner eigenen Bedürfnisse braucht. Andererseits kann auch zu viel Distanz extrem schwierig werden. Wenn sich einer der beiden nur um eigene Interessen und eigene Selbstwirksamkeit dreht und dabei der Austausch, die Begegnung und Intimität mit dem Partner verlorengehen, kann es sein, dass mindestens ein Teil der Partnerschaft emotional verwahrlost.

 

Rituale verbinden

Wie können solche Spannungsfelder nun innere Lösung und Entlastung finden? Das erste Schritt, den ein Paar gehen kann, ist, dass es feste Gesprächszeiten und gemeinsame Erlebnismomente etabliert. Das Einführen eines Rituals wie beispielweise einen festen Paarabend in der Woche, schafft einen Rahmen, der beiden Sicherheit und Orientierung schenken kann. Freiräume können einfacher gewährt und ertragen werden, wenn durch gemeinsame Absprachen für Begegnungsmomente gesorgt ist. Und gleichzeitig kann in einem fest verabredeten Rahmen auch Nähe verlässlicher und vertrauensvoller entstehen.

 

Als Paar wünsche ich Ihnen, dass sie hier einen guten Weg finden. Dass Sie vertrauensvoll loslassen lernen, um sich dann immer neu an der Begegnung mit und der Nähe zu Ihrer Frau zu erfreuen.

IRA SCHNEIDER

arbeitet als psychologische Beraterin in einer Ehe-, Familien- und Lebensberatungs-Institution. Darüber hinaus ist sie freiberuflich als Paartherapeutin, Autorin und Dozentin an der Team.F-Akademie tätig. Mit ihrem Mann lebt sie in Hannover.

 

Auf Instagram folgen: www.instagram.com/ira.schneider_/

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