MINDO: Bruder Paulus, ein heilsamer Glaube, ein Glaube also, der wohltuende und heilende Impulse in unser Leben bringt – wie sieht der aus?

 

BRUDER PAULUS TERWITTE: Glauben beginnt mit dem Staunen. Ein Staunen, das als Geschenk erlebt wird. Wer glaubt, nimmt in Demut an, dass er weder sich selbst noch die Welt geschaffen hat. Das entlastet. Mein ganzes Leben wird eine Antwort auf den Anspruch, ein lebendiger, vernünftiger und liebender Mensch zu sein. Wer glaubt, lebt nach dem Motto „Wie Gott mir, so ich dir“.

 

 

Ist der Wunsch, dass Glaube auch wohltuend sein muss, dem heutigen Zeitgeist geschuldet? Oder ist das biblische Wahrheit?

 

BRUDER PAULUS: Was bedeutet eigentlich wohltuend? Vom Augenblick aus gesehen, ist alles, was neu ins Leben tritt, zunächst keine Wohltat. Indem ich mich verliebe: Ich muss meinen Terminkalender umstellen. Das Kind, das geboren wird: Es stellt meine Gewohnheiten auf den Kopf. Die berufliche Aufgabe, die mich herausfordert und mich wachsen lässt: Sie nimmt mir Zeit, die mir für die Familie und meine Freunde und mein Hobby fehlt. All diese Dinge kommen mir zugute, und trotzdem bringen sie große Krisen mit sich, viele Tränen, schlaflose Nächte – und doch auch das große Glück, sich hingeben zu können, ein Opfer bringen zu können.

 

 

Welche ungesunden, ja vielleicht sogar krankmachenden Glaubenssätze und Gottesbilder, die Menschen mit sich herumtragen, sind Ihrer Beobachtung nach am weitesten verbreitet?

 

BRUDER PAULUS: Gott ist oben – und ich bin unten. Gott ist allmächtig – und ich bin ohnmächtig. Gott ist gerecht – und ich kann ihn sowieso nicht verstehen. Und er will mich bestrafen – ich kann dem nicht entgehen. Gott sieht alles – Intimität ist etwas Böses. Gott ist allwissend – und ich bin dumm.

Glaube führt nicht hinaus in eine Sonderwelt, in eine als besser gedachte Welt, sondern lässt mich die Welt ernst nehmen und mein Leben.

Nun werfen manche Kritiker dem christlichen Glauben ja vor, dass er nicht heilsam sei, sondern im Gegenteil: dass er Menschen unfrei mache und manchmal sogar krank. Was entgegnen Sie darauf?

 

BRUDER PAULUS: Als ich erkannte, dass ich getauft bin, ging mir nahe: „Ich gehöre jetzt zum Original, nach dem die ganze Schöpfung geschaffen wurde.“ Jesus ist das Wort, aus ihm ist die ganze Welt geschaffen: „das Wort wurde Fleisch“. Jesus ist die Grundgrammatik, das Original, aus dem heraus alles seinen Sinn hat. Es gibt nichts in der Welt, das nicht von Christus herkommt und zu ihm geht. Im Heiligen Geist bin ich für ewig verbunden im Geheimnis von Tod und Auferstehung, dass sich tagtäglich in der Schöpfung vollzieht.

 

Auf einem anderen Blatt steht, dass ein mythologisches Gottesbild von Herrschenden dieser Welt missbraucht worden ist und missbraucht wird, um ihre Herrschaft zu befestigen, sei es eine Herrschaft von Kirchenleitungen oder von Staatsleitungen. Bei 140 Millionen verfolgten Christen in der Welt liegt auf der Hand, wie gefährlich für die Herrschenden dieser Welt das Christentum ist. Von Unterdrückung aus dem Glauben heraus keine Spur.

 

 

Wenn nun aber jemand bemerkt, dass sein Glaube ihn in der Tat mehr verletzt, als dass er ihn heil macht – was raten Sie diesem Menschen?

 

BRUDER PAULUS: Hier setzt Seelsorge an, die immer den ganzen Menschen in den Blick nimmt: Seinen Körper, seine Geschichte, sein kulturelles Umfeld, seine Einbindung in die Schöpfung, in die Arbeitswelt, in die Philosophie, in einen Freundeskreis. In all diesem ist der Mensch eingebunden, und Gott ist mit ihm dort am Werk. Glaube führt nicht hinaus in eine Sonderwelt, in eine als besser gedachte Welt, sondern lässt mich die Welt ernst nehmen und mein Leben: Ich bin Tempel des Heiligen Geistes. Ein verletzter Glaube ist meistens ein Über-Ich-Glaube, eine nicht gewagte Emanzipation aus dem Familienkreis, aus dem Kulturkreis, aus dem Freundeskreis. „Folgt mir nach!“, sagt Jesus. Das heißt auch: „Löst euch raus!“

 

 

Was kann ich selbst dazu tun, dass mein Glaube wahrhaftiger und im wahrsten Sinne des Wortes „Heil bringend“ für mich und andere wird?

 

BRUDER PAULUS: Am besten ist es, zuzulassen, dass Gott mit mir am Werk ist. Mein Glaube wird nicht so werden, wie ich ihn mir vorstelle. Auch das Reden von einem heilsamen Glauben führt zu falschen Fantasien. Glaube macht stark, kämpferisch, macht bereit zum Opfer, zum Verletzt-Werden, zur Trennung, Wort der Wahrheit, zur Auseinandersetzung. Das hört sich nicht sehr heilsam an, nicht wahr? Und doch ist es der wahrhaftige Mensch, bist du es, der so ist wie er ist, in dem Gott in die Welt hineinwirkt. Der korrigiert wird, der sich belehren lässt, und der dann auch andere belehren kann. Aus göttlicher Weisheit. Aus Erfahrung mit Gott.

 

 

Und zuletzt, wenn Sie uns das verraten wollen: In welchem Bereich Ihres Lebens hat der Glaube Sie ganz persönlich heiler gemacht?

 

BRUDER PAULUS: Ich wurde geheilt, als ich erkannte, dass ich verbunden bin mit Christus, dem Original, aus dem die ganze Schöpfung ist. Und zu dem die ganze Schöpfung heimkehren wird. Ein freier Christenmensch. Ich muss niemandem gehorchen, nur dann, wenn er mich aus meiner Selbstbefangenheit erlöst und mich nach vorne bringt. Als franziskanischer Bruder habe ich mich in Ordensgelübden Gott geweiht und ihm versprochen, dass ich ohne Eigentum, in keuscher Ehelosigkeit und in Gehorsam leben will. Das sind gute Bindungen, aus dem Kreisen um sich selber immer neu hinauszusteigen in eine neue Denkweise, die nicht aus dem Alten in mir schöpft, sondern Neues wagt, das Gott eröffnet. So wie gute Eheleute einander sich nichts vorenthalten, sich in Leib und Seele achten und aufeinander hören und so in der Liebe einander und den Kindern gegenüber heilsam sind.

 

 

Vielen Dank für Ihre Zeit.

 

 

Die Fragen stellte Inge Frantzen.

 

 

BRUDER PAULUS TERWITTE

62, Ordenspriester. Er lebt im Kapuzinerkloster Liebfrauen in Frankfurt am Main. Vorstand der Franziskustreff-Stiftung, die sich um obdachlose Menschen kümmert. Sein neuestes Buch „Geht’s noch Gott? – Antworten auf große Fragen“ (Bonifatius) ist vor kurzem erschienen.

 

www.bruderpaulus.de

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