„Gereifter Glaube muss nicht mehr alles verstehen“, sagt er. Was aber gehört zum einem Glaube, der uns an Leib und Seele guttut, und was nicht? Heute bei „Nachgefragt“: Klaus Schönberg, Referent für Gemeindebau im BEFG.
MINDO: Herr Schönberg, ein heilsamer Glaube, der gute Impulse in unser Leben bringt – wie sieht der aus?
KLAUS SCHÖNBERG: Heilsam wird Glaube vor allem durch drei Faktoren: durch wagendes Vertrauen, ein freimachendes Gottesbild und eine förderliche Umgebungskultur. Die Ärztin Magdalene Furch sagte einmal, gesunder Glaube beginne mit der Entscheidung, Vertrauen zu wagen und Vertrauen zu schenken. In der Seelsorge ermutigt sie daher Menschen mit einem beeinträchtigten Urvertrauen, einem Bibelwort Vertrauen zu schenken und damit Glauben an Gott zu wagen: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine schützende Hand über mir“ (Psalm 139,5). Indem der an sich selbst zweifelnde Mensch ein solches Bibelwort ergreift, wagt er Glauben und schenkt sich selbst und Gott Vertrauen.
Als Nächstes wäre da das freimachende Gottesbild: Unter Theologen kennt man den Spruch: „Theologie ist Biographie.“ Das heißt, unsere Gottesbilder sind geprägt von unseren Lebenserfahrungen, die entweder angst- oder freimachend sein können. Jesus, der Sohn Gottes, kam aus der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Wenn er Gott beschreibt, berichtet er vom Wesen dieser Gemeinschaft. Er erzählt von einer Theologie der Freiheit, die Gott den Menschen anbietet. Er berichtet von der Freude, die der Vater empfindet, wenn ein verlorener Sohn oder eine verlorene Tochter zu ihm zurückfindet. Er erzählt von bedingungsloser Annahme, von ausgebreiteten Armen und von rauschenden Festen. Der Gott, zu dem Jesus Papa sagt, fragt nicht nach unserer Schuld und unserem Versagen – er fragt danach, ob wir Gott und den Nächsten lieben.
Und als Letztes braucht ein heilsamer Glaube eine Kultur des Förderns. Wenn jemand in einer Familie oder Gemeinde aufwächst, in der er unabhängig von seinem Einsatz für Gott oder die Gemeinde wertgeschätzt wird, wenn Veränderung und Innovation etwas Normales sind, wenn das Infragestellen von Bestehendem nicht sanktioniert wird und Versagen nicht zum Ausschluss führt, dann wächst er in einer solchen Kultur auf. All das zusammen legt ein gutes Fundament, auf dem Glaube sich gesund entwickeln kann.
Eine kritische Nachfrage: Ist der Wunsch, dass Glaube vor allem auch uns guttun muss, dem heutigen Zeitgeist geschuldet – oder ist das biblische Wahrheit?
SCHÖNBERG: Dass Gott es gut mit uns meint und gute Gedanken über unser Leben hat, ist biblischer Grundkonsens. Wer vertrauend glaubt und glaubend vertraut, lebt sein Leben eher mit leichtem Gepäck, als jemand, der alles nur von sich selbst erwartet und in Bezug auf andere Menschen eher misstrauisch ist. Gott braucht unseren Glauben nicht, um Gott zu sein. Wir aber brauchen Vertrauen, um Gott glauben zu können. Der Glaube ist ein Geschenk Gottes an schwer- und leichtgläubige Erdenbürger und er trägt im Leben wie im Sterben.
Der Glaube an Gott ist aber auch eine bleibende Zumutung an unseren Verstand und weckt immer wieder mal Zweifel an Gottes guten Absichten. Die Welt ist voller Schönheit und voller Leid. Der Apostel Paulus erinnerte daran, dass „die gesamte Schöpfung leidet und unter Qualen auf ihre Neugeburt wartet“ (Römer 8,22; Hfa).Die ganze Schöpfung seufzt, die ganze Welt liegt in Wehen. Die Erde stöhnt in Form von Erdbeben, Tsunamis, Wirbelstürmen und Hochwassern. Sie ist getränkt mit dem Blut der Unschuldigen, das auf den Schlachtfeldern der Welt vergossen wurde, und es heißt, dass das Blut der Unschuldigen zum Himmel schreit.
Weil die Ungerechtigkeit dieser Welt der Gerechtigkeit Gottes widerspricht, seufzen wir mit der Schöpfung und hoffen auf die vollständige Erlösung, die eines Tages sichtbar werden wird, wenn Gott im letzten Gericht Recht spricht.
Welche unguten, ja vielleicht sogar krankmachenden Glaubenssätze oder Gottesbilder, die Menschen mit sich herumtragen, sind denn Ihrer Beobachtung nach am weitesten verbreitet?
SCHÖNBERG: Ungesunde und krankmachende Gottesbilder finde ich heute vor allem bei den Glaubenssätzen der Selbstoptimierer. Der amerikanische Ethiker Steven Luper hat die Selbstoptimierung als westliche Weltsicht bezeichnet. Während die östliche Weltsicht, das Leben als „Amor Fati“, als Liebe zum Schicksal, hinnimmt, will die westliche Weltsicht sich ihre Träume erfüllen. Sie optimiert die Welt, bis sie zu den eigenen Wünschen passt. Hier finden wir die Selbstoptimierer, die produktiver arbeiten, besser aussehen, glücklicher leben, besseren Sex und ausreichend Geld haben wollen.
Jede Irrlehre wurde von Menschen formuliert, die sich intensiv mit der Bibel auseinandergesetzt und dann eine biblische Wahrheit bis ins Groteske zugespitzt haben.
Die christliche Version der Selbstoptimierung lautet: „Wenn du nur richtig glauben würdest, dann würdest du geheilt werden, dann würdest du wohlhabend sein! Wenn du nicht zweifeln würdest, wenn du deinem Verstand nicht zu viel Raum geben würdest, dann würdest du von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, von Sieg zu Sieg gehen!“
Jede Zeit hat ihre Weltsicht und beeinflusst auch die vorherrschenden Gottesvorstellungen. Jede Irrlehre wurde von Menschen formuliert, die sich intensiv mit der Bibel auseinandergesetzt und dann eine biblische Wahrheit bis ins Groteske zugespitzt haben. So entstehen Zerrbilder, des sich offenbarenden Gottes, die krankmachen können.
Nun werfen ja manche Kritiker insbesondere dem christlichen Glauben vor, dass er nicht heilsam sei, sondern im Gegenteil: dass er Menschen unfrei mache und manchmal sogar krank. Was entgegnen Sie darauf?
SCHÖNBERG: In den 1970er-Jahren beschrieb der Psychoanalytiker Tilmann Moser in seinem Buch „Gottesvergiftung“ seine eigene Geschichte mit dem Überwachungs-Gott wie folgt: „,Was wird der liebe Gott dazu sagen?‘ Durch diesen Satz war ich früh meiner eigenen inneren Gerichtsbarkeit überlassen worden.“
In einem biblizistischen und wenig liebevollen Umfeld können Bibelworte bedrohlich werden und vor allem sensible Menschen beschädigen. Menschen, die von Misstrauen geprägt wurden, haben eine stärkere Affinität, psychisch zu erkranken, wenn sie in einem Umfeld leben, welches durch eine starke Scham- und Schuldkultur und nicht durch eine Annahme- und Vergebungskultur geprägt ist.
Und doch ist der christliche Glaube per se lebensbejahend und nicht krankmachend. Von Gott geschenkter Glaube beruht auf Vertrauen – und Vertrauen macht nicht krank, sondern weckt Zuversicht und Hoffnung. Der christliche Glaube hat eine therapeutische Wirkung, wenn wir von Menschen umgeben sind, denen wir rückhaltlos vertrauen können, die mit uns fühlen und ehrlich zu uns sind und uns so annehmen, wie wir sind.
„Ich habe Angst, dir zu sagen, wer ich bin. Denn wenn ich dir sage, wer ich bin, dann wird dir derjenige nicht gefallen – und das ist alles, was ich habe!“
Im Gegensatz dazu hat das christliche Umfeld dann eine pathologische Note, wenn wir selbst glauben, dass wir nicht so offen sein können, weil man uns sonst verletzen würde: „Ich habe Angst, dir zu sagen, wer ich bin. Denn wenn ich dir sage, wer ich bin, dann wird dir derjenige nicht gefallen – und das ist alles, was ich habe!“
Angst führt zur Unwahrheit, Unwahrheit aber ist Lüge. Das griechische Wort für Lüge ist „pseudos“.Sich eine Pseudoexistenz aufzubauen heißt, jemand anderes sein zu wollen oder zu müssen. Weil wir in Beziehungen oft nicht wahrhaftig sind, bekommen wir statt heilsamer Gemeinschaft nur eine Scheingemeinschaft.
Was kann ich selbst denn dazu beitragen, dass mein Glaube wahrhaftiger und im wahrsten Sinne des Wortes „Heil bringend“ für mich und andere wird?
SCHÖNBERG: Glaube, der wahrhaftig und heilbringend ist, akzeptiert, dass es Reifephasen in der Entwicklung eines Christen gibt. Ich erkläre das gern anhand der drei Reifeschritte des Gebetslebens, die der Mönch und Wüstenvater Carlo Carretto einmal beschrieben hat, und die ich nachfolgend ergänzend darstellen will.
Da ist zunächst „Die Zeit des Redens“. Ich erinnere mich noch genau: Ich kam im September 1980 durch „Jugend mit einer Mission“ in Frankfurt am Main zum Glauben an Jesus Christus. Es dauerte nur ein paar Wochen und ich wurde von einem religiös desinteressierten 22-Jährigen zu einem leidenschaftlichen Missionar. Ich sprach mit jedem, der es hören und jedem, der nicht schnell genug weglaufen konnte, über meinen neuen Glauben. Ich betete und Gott antwortete. Die Gabe der Glossolalie, der Sprachenrede, hob mich in den ersten Himmel. Ich gründete einen Hauskreis, der nach sechs Wochen 30 Leute hatte, nahm Obdachlose und Junkies in meine Wohnung auf, die mich bestahlen – und ich liebte sie dafür und segnete sie. Ich war umhüllt von der Gegenwart Gottes. Manchmal war diese Gegenwart innerlich so laut, dass ich nicht schlafen konnte – denn Gott war real! Ich las die Bibel und machte „fette Beute“, indem ich ständig Neues entdeckte und etwas vom Wesen Gottes erfuhr. Ich erschrak über die wechselvolle Geschichte, die er mit seinem Volk Israel hatte und staunte über seine Pläne mit dieser Welt. Schon auf der ersten Seite der Bibel fand ich ein wunderbares Wort. „Gott sprach“ – und Wunder über Wunder: Er sprach auch zu mir!
Darauf folgt die zweite Phase des geistlichen Lebens, die „Zeit des Forschens“. Hier erlebt der wachsende Christ nicht mehr durchgängig, dass Gott sich ihm zeigt, sondern er lernt nun auch den verborgenen Gott kennen. In dieser Zeit stellen wir oft Fragen, die die Bibel nicht beantwortet. Gott redet nun selten bis nie. Die Bibel erleben wir als ein schweigendes Buch. Predigten werden als ermüdend empfunden, die Freude am Gebet erlahmt.
In dieser Zeit lernen viele die Psalmen kennen und schätzen – diese Gebete und Lieder, in denen sich Jahrtausende menschlicher Erfahrungen mit Gott verdichtet haben. Die existenzielle Sprache der Psalmen wird im Nachsprechen und Nachempfinden fast mühelos zur eigenen Gebetssprache, die unsere Sprachlosigkeit gegenüber Gott aufhebt. Die Trauer der Psalmbeter wird unsere eigene Trauer, ihr Schrei unser Schrei, ihr Jubel zu unserem Jubel, ihre Emotionen werden zu unseren Gefühlen.
In dieser Phase sagt Gott in etwas Folgendes – ich übersetze das mal so, wie ich es für mich verstanden habe: „Die Kinderjahre deines Glaubens sind vorbei, ich habe den Schutzschild etwas dünner gemacht. Du musst lernen, selbst zwischen falsch und richtig zu unterscheiden. Du wirst meine Gegenwart nicht mehr so oft fühlen, aber ich bin trotzdem an deiner Seite. Du musst jetzt lernen, selbst zu kämpfen, du bist stark genug. Du wirst jetzt um die Wahrheit ringen, die dir vorher einfach zugefallen ist.“
Wir haben eine große Sehnsucht nach Einfachheit. Wir lernen, schlichter zu beten. Manchmal reicht es sogar, allein den Namen Jesus auszusprechen oder vor ihm und mit ihm zu schweigen.
Und als drittes folgt die „Zeit der Einfachheit“. Zu diesem Zeitpunkt haben wir die Sturm- und Drangzeit hinter uns. Wir gehen den „geistlichen Propaganda-Evangelisten“ nicht mehr auf den Leim. Wir haben viele Fragen an Gott gestellt und auch einige beantwortet bekommen. Wir haben gelernt, die Zerbrechlichkeit des Lebens anzunehmen. Wir übernehmen Verantwortung für unser Leben. Wir misstrauen theologischen Konzepten, die mit Erweckungsgarantien locken. Wir haben eine große Sehnsucht nach Einfachheit. Wir lernen, schlichter zu beten. Manchmal reicht es sogar, allein den Namen Jesus auszusprechen oder vor ihm und mit ihm zu schweigen. Wir müssen nicht mehr alles verstehen, wissen uns aber in allem von Gott verstanden.
Und zuletzt: In welchem Bereich Ihres Lebens hat der Glaube Sie ganz persönlich heiler gemacht?
SCHÖNBERG: Ich habe mich selbst selten als unheil erlebt, weil mein Grundvertrauen in mich selbst, an das Leben und an Gott weitestgehend ungebrochen war. Als ich mich 2001 in der klassischen Midlife-Crisis befand und alles in Frage stellte, was ich bisher getan, geglaubt und gehofft hatte, war mir das Buch von Eugene H. Peterson mit dem provokanten Titel „Der verlorene Hirte“ eine große Hilfe. Bis dahin war ich meistens in der Rolle des aktiv Glaubenden. „Dem Glaubenden ist alles möglich“, war Teil meines Lebensmottos. In der Krise lernte ich, dass Gott mehr an mich glaubt, als ich an ihn. Er hält an der Berufung eines Pastors fest, selbst wenn der Pastor nicht mehr an ihr festhalten kann oder will.
In dieser Zeit veränderte sich auch mein Gebetsleben. Es wurde reicher und kontemplativer. Heute suche ich stärker Gottes Gegenwart, nicht seine Gaben. Oft bete ich um nichts, sondern setze mich einfach Gottes Wirken in der Stille aus. Ich machte die Erfahrung, die Anselm Grün in seinem Buch „Herzensruhe“ so beschreibt: „Niemand kann uns aus der Ruhe, die aus der Einheit mit Gott kommt, vertreiben. Wenn aber das Herz wirklich ruhig wird, wenn es mit Gott eins wird, wenn es in Gott Ruhe findet, dann finden auch alle Fragen und Klagen zusammen mit den Erinnerungen und Verletzungen ihre Ruhe. Es gibt einen Ort ins uns, der nicht verletzbar ist, der nicht unruhig ist. Christus, die Hoffnung der Herrlichkeit.“ Diese beiden Erfahrungen haben mein geistliches Leben bereichert und meinen Glauben gesünder und heiler gemacht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Inge Frantzen.
KLAUS SCHÖNBERG
Jahrgang 1957, ist Referent für Gemeindegründung im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) und hat die Bücher „Hungrig ist meine Seele – Ein geistlicher Pilgerführer für den Jakobsweg“ (SCM R. Brockhaus) sowie „ Endlich ankommen – Was die ungewöhnlichste Pilgerreise der Bibel mit Ihrem Leben zu tun hat“ (Gerth Medien) veröffentlicht (beide nur noch antiquarisch erhältlich). Er gehört zum MINDO-Mitdenker-Team.
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