„Logotherapie“ klingt fast wie „Logopädie“, hat damit aber so wenig zu tun wie Psychotherapie mit Physiotherapie. Logopädie ist eine Heilbehandlung für Menschen mit Sprechschwierigkeiten. Logotherapie ist ein Psychotherapieverfahren, das die Lösung von seelischen Problemen darin sucht, den Betroffenen dabei zu helfen, einen Sinn zu finden. Warum beginnen dann aber beide Wörter mit „Logo“? Weil „Logo“ vom griechischen „Logos“ kommt, was man sowohl mit „Wort“ als auch mit „Sinn“ übersetzen kann.

 

Logotherapie ist also Sinntherapie. Aus diesem Grund steht sie inhaltlich grundsätzlich der Seelsorge sehr nah. Deshalb gibt es viele Seelsorgerinnen und Seelsorger, die sich das Verfahren aneignen und in ihrer Seelsorgepraxis damit arbeiten. Sinn zu finden ist ja auch das große Thema des Glaubens und aller Religion. Dementsprechend verstand auch Viktor Emil Frankl (1905–1997), der Begründer der Logotherapie, sein Verfahren.

 

Viktor Frankls „Höhenpsychologie“

Frankl nannte die Logotherapie „Ärztliche Seelsorge“ und verstand darunter eine notwendige Alternative zur herkömmlichen Seelsorge, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts viel von ihrer Anziehungskraft eingebüßt hatte. Die Menschen gingen mit ihren psychischen Problemen kaum noch zum Pfarrer, sondern zu den Psychotherapeuten und Psychiatern.

Die Logotherapie geht davon aus, dass die seelische Gesundheit von der Lebensbejahung abhängt.

Frankl war ein hochbegabter Mediziner, der schon als Jugendlicher in der Wiener Psychoanalytikerszene der ersten Stunde verkehrte, in der sich fast alles um Sigmund Freud drehte und zu der auch die berühmten Schulengründer Carl Gustav Jung und Alfred Adler gehörten. So wie diese beiden konnte sich auch Frankl nicht mit Freuds Modell der Psychoanalyse identifizieren. Während aber Freud, Jung und Adler eine Tiefenpsychologie vertraten, hielt Frankl es für besser, die Psychotherapie sozusagen auf eine „Höhenpsychologie“ zu gründen. Im Bild gesprochen: Die Tiefenpsychologie schaut primär auf die Hintergründe der Motivation im Unbewussten, die Logotherapie als „Höhenpsychologie“ fokussiert hingegen die Ziele und Ideale der Person; sie unterstützt sie dabei, den Blick nach vorn und nach oben zu richten, um von dorther ihre Motivationsprobleme zu überwinden.

 

Das heißt aber nicht, dass sich Frankl nicht um die Tiefenschichten des Bewusstseins gekümmert hätte. Darum fügte er seiner „Höhenpsychologie“ der Logotherapie einen zweiten Schwerpunkt hinzu, den er Existenzanalyse nannte.

 

Sinn finden trotz existenzieller Not

Um Mut und Kraft dafür zu gewinnen, seine lohnenden Ziele und Ideale zu klären und auch wirklich darauf zuzugehen, muss sich der Mensch auch der Realität seiner Existenz stellen: Der Vergänglichkeit und Bedrohung seines Daseins, seinem Angewiesensein, der Tatsache des Leidens, seiner Freiheit und Verantwortung.

Was existenzielles Leid ist, musste der Jude Frankl aus persönlicher Erfahrung kennenlernen. Seine Familie wurde in Konzentrationslagern ermordet, er selbst war auch KZ-Häftling, überlebte aber die schrecklichen Jahre. Die eigene Bewältigung des Traumas gibt seinen Schriften eine persönliche Färbung und Glaubwürdigkeit.

Die Logotherapie geht davon aus, dass die seelische Gesundheit von der Lebensbejahung abhängt. Voraussetzung dieser Überzeugung ist, das Dasein auch tatsächlich für etwas Gutes und Sinnvolles zu halten. Dazu gehört für die Logotherapie auch ein bejahendes Menschenbild. Dem Menschen wird zugetraut und zugemutet, nicht nur Klarheit über lohnende Ziele zu gewinnen, sondern auch in sich selbst die Ressourcen dafür zu finden, diese zu verwirklichen. Mit dieser Sicht vom Dasein und vom Menschen ist die Logotherapie den Humanistischen Psychotherapieverfahren zuzurechnen.

 

Die Logotherapie in der Psychotherapieszene ___STEADY_PAYWALL___

Weltweit hat sich die Logotherapie als ein respektables Psychotherapieverfahren gut etabliert. Ihr Dachverband ist die „Internationale Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse“. Dort hat man sich aus gutem Grund darum bemüht, den Status eines „anerkannten Psychotherapieverfahrens“ zu erhalten, der in Deutschland Voraussetzung für die Bezahlung einer Psychotherapie durch die gesetzlichen Krankenkassen ist. Das hat der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“, der für solche Fragen zuständig ist, jedoch abgelehnt. Wissenschaftlich gesehen steht das allerdings im Widerspruch zu ihrer Bedeutung für die Psychotherapieentwicklung insgesamt und ihrem Wert als Schulrichtung. Aber dieses Schicksal teilt sie – leider – auch mit anderen bedeutenden Psychotherapieverfahren.

In der Logotherapie wird dem Menschen zugetraut und zugemutet, nicht nur Klarheit über lohnende Ziele zu gewinnen, sondern auch in sich selbst die Ressourcen dafür zu finden, diese zu verwirklichen.

Praktizierende Logotherapeutinnen und Logotherapeuten wird man vor allem unter den Heilpraktikern für Psychotherapie, Psychologischen Beraterinnen und in der beratenden Seelsorge finden. Bei Psychologischen Psychotherapeuten mit Krankenkassenzulassung kann es sich um eine Zusatzqualifikation handeln. Prinzipiell kann man erwarten, dass in Logotherapie ausgebildete Personen eine besondere Eignung dafür mitbringen, Menschen in existenziellen Glaubens- und Sinnfragen beizustehen. Ob sie für sich persönlich dieselbe Glaubensrichtung wie ihre Klienten vertreten, ist dabei nicht unbedingt ausschlaggebend.

Dr. phil. Hans-Arved Willberg

ist Sozial- und Verhaltenswissenschaftler, Theologe und Philosoph. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht. 

 

www.isa-institut.de

 

 www.life-consult.org

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