„Ich empfehle Ihnen eine Verhaltenstherapie.“ Das bekommen viele Personen zu hören, die seelischer Beschwerden wegen von ihren Hausärzten zur psychiatrischen Fachärzten überwiesen wurden. Oft ist das tatsächlich ein guter Rat. Aber wer weiß schon, was genau eine Verhaltenstherapie von den anderen Formen der Psychotherapie unterscheidet?

 

Besser sagt man „Kognitive Verhaltenstherapie“ dazu

Fachlich gesehen ist die Bezeichnung „Verhaltenstherapie“ nicht ganz richtig, weil sie längst überholt ist. Was der Psychiater meint, ist genau genommen die „Kognitive Verhaltenstherapie“ (KVT). „Kognitiv“ bedeutet dem Duden nach „das Wahrnehmen, Denken, Erkennen betreffend“; Kognitionen sind Gedanken.

Man mag argumentieren, dass sich die Verhaltenstherapie im Lauf ihrer Entwicklung durch die kognitiven Aspekte einfach nur angereichert hat und dass man darum das „kognitiv“ im Namen auch weglassen kann. Aber so einfach ist das nicht. Denn parallel zur Entwicklung der Verhaltenstherapie um die Mitte des letzten Jahrhunderts erhielt diese Konkurrenz durch die „Kognitiven Therapien“. Im deutlichen Gegensatz zur damaligen Verhaltenstherapie erkannte man dort die zentrale Bedeutung der Gedanken für die Entstehung und Bewältigung seelischer Störungen. Die Vertreter der Verhaltenstherapie hingegen betrachteten den Menschen als eine biologische Maschine, in der das Denken nur die Begleitmusik zum eigentlichen Geschehen ist, ohne darauf wirklich Einfluss zu haben. Psychotherapie konnte aus diesem Blickwinkel eigentlich nur eine Art von Menschendressur sein. Aber allmählich setzte sich die Einsicht durch, dass dies weder wissenschaftlich noch ethisch aufrechterhalten werden konnte. An diesem Wandel hatten die Kognitiven Therapien entscheidenden Einfluss. Bald lösten sich die Grenzen zwischen Kognitiver Therapie und Verhaltenstherapie auf und seither hat sich in der Fachliteratur zu Recht die Bezeichnung „Kognitive Verhaltenstherapie“ eingebürgert.

 

Kognitive Verhaltenstherapie hilft bei vielen seelischen Problemen

In Deutschland wurde die Kognitive Verhaltenstherapie von den gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und ist zur führenden Psychotherapieform in unserem Gesundheitswesen geworden. Sehr viele Psychotherapeut*innen sind darin ausgebildet und zweifellos wird sie in den neuen Ausbildungsgängen für Psychotherapie, die 2020 starten, die Hauptrolle spielen. Das liegt zum einen daran, dass die psychologischen Erkenntnisse, die in der Kognitive Verhaltenstherapie therapeutisch umgesetzt werden, wissenschaftlich sehr gut fundiert sind, nicht zuletzt auch bestätigt und vertieft durch die neuropsychologische Forschung. Zum anderen liegt es daran, dass sich die Kognitive Verhaltenstherapie je länger je mehr integrativ verstanden hat: Man nimmt gern aus anderen Psychotherapieschulen auf, was nachvollziehbar zum Therapieerfolg beitragen kann. Das hat dazu geführt, dass die Kognitive Verhaltenstherapie Therapiemanuale für ein weites Spektrum von seelischen Störungen und Krankheiten geschaffen hat; es gibt kaum noch ein Störungsgebiet, für das sie sich nicht eignen würde. Kurz gesagt: Man kann nicht viel falsch machen, wenn man bei seelischen Problemen einen kognitiven Verhaltenstherapeut*in aufsucht. Besonders geeignet ist diese dann, wenn das Problem stark von ungünstigen Situationsbewertungen geprägt ist, zum Beispiel von übermäßigen Ängsten oder depressiven Gedanken.

 

Es geht um den Zusammenhang von Denken, Fühlen und Verhalten

Schon die Weisheitslehrer und Seelsorger der Antike wussten, wie entscheidend die Rolle ungünstiger Situationsbewertungen für die Entstehung seelischer Probleme ist. „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern unsere Meinungen und Urteile über die Dinge“, fasste zum Beispiel der stoische Philosoph und Psychagoge Epiktet zusammen, der zur Zeit der christlichen Urgemeinde lebte. Deren Lehrer sahen es nicht anders. Dem Neuen Testament nach verlangt ein Leben nach dem Willen Gottes, dass wir unser Denken verändern (siehe Römer 12,2 u. a.).

Die Kognitive Verhaltenstherapie zeichnet aus, dass sie die Würde seelisch leidender Menschen achtet und schützt und sie grundsätzlich nicht als Behandlungsobjekt ansieht, sondern als kompetentes Gegenüber.

Wie wir über eine Situation denken, so fühlen wir uns auch im Bezug auf sie, und das wirkt sich entscheidend auf unser Verhalten aus. Wenn ich zum Beispiel eine Situation als besonders bedrohlich bewerte, entsteht Angst in mir, und die erlebe ich nun als starken Impuls, der Situation auszuweichen. Und wenn mir keine vernünftige Denkalternative dazu einfällt, werde ich das auch tun. Aber ich kann mich auch besinnen, zum Beispiel so: „Es hat schon etwas Bedrohliches, aber ich habe mehr davon, wenn ich mich der Herausforderung stelle, als wenn ich jetzt davonlaufe!“ Entsprechend anders wird dann auch wiederum mein Fühlen und Verhalten sein. Diese Neubesinnung, man sagt fachlich „Kognitive Umstrukturierung“ dazu, ist die Achse der Kognitiven Verhaltenstherapie.

Aber es gibt dort auch andere Vorgehensweisen: Man kann etwa den Schwerpunkt darauf legen, viele lohnende und schöne Erfahrungen zu machen und sie aufmerksam wahrzunehmen, um dadurch das Gefühlsleben zu verändern, oder man kann direkt beim Verhalten ansetzen, indem man schädliche Gewohnheiten bleiben lässt und systematisch neue einübt. Ein weiteres wichtiges Feld der Kognitiven Verhaltenstherapie ist die Arbeit an der Verbesserung der Beziehungen, indem konstruktives Kommunizieren geübt und Sozialkompetenz trainiert wird.

 

Hilfe zur Selbsthilfe

Vor allem durch den Einfluss der Kognitiven Therapien ist die ursprünglich behavioristische Verhaltenstherapie als Kognitive Verhaltenstherapie zu einer Hauptrichtung der Humanistischen Psychotherapie geworden. Die zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Würde seelisch leidender Menschen achtet und schützt, sie grundsätzlich nicht als Behandlungsobjekt, sondern als kompetentes Gegenüber ansieht, sie unbedingt ernstnimmt und aktiv dabei zu unterstützt, ihre eigenen Einsichten zu gewinnen und ihre eigenen Problemlösungen zu erarbeiten. Natürlich schließt das ein, auch die Grenzen der Kompetenz zur Selbsthilfe wahrzunehmen, um die Betroffenen nicht zu überfordern, allerdings stets auf partnerschaftliche Weise als Ergänzung der Eigenständigkeit. Das steht nicht im Widerspruch dazu, dass in der Kognitive Verhaltenstherapie auch viel Anleitung und Wissensvermittlung geschieht, „Hausaufgaben“ inbegriffen, denn die Voraussetzung dafür ist das persönliche Interesse der betroffenen Person.

Kognitive Verhaltenstherapie ist eine Dienstleistung, die einer Rat und Hilfe suchenden Person aus der therapeutischen Fachkompetenz das gibt, was ihr selbst zur Bewältigung ihres Problems am vernünftigsten zu sein scheint. Es mag sein, dass manche Verhaltenstherapeuten diese Haltung nicht so richtig zeigen, weil sie vielleicht noch zu sehr vom Bild der früheren Verhaltenstherapie geprägt sind. Aber dann darf man auch getrost den Therapeuten bzw. die Therapeutin wechseln.

 

Spiritualität und Kognitive Verhaltenstherapie 

Ein Aspekt der integrativen Ausrichtung der Kognitiven Verhaltenstherapie ist die Einsicht, auch den spirituellen Bedürfnissen der Klientel nicht nur am Rande Beachtung zu schenken, sondern sie als wesentliche Ressource der Heilung aufzunehmen. Wichtige Schritte in diese Richtung sind die achtsamkeitsbasierten Kognitive Verhaltenstherapie-Modelle, die in den vergangenen Jahren entstanden sind.

Achtsamkeit kann ein Weg zur Wahrnehmung und Erfüllung der eigenen spirituellen Bedürfnisse sein. Manche dieser Ansätze sind weltanschaulich neutral, andere sind mehr oder weniger buddhistisch oder hinduistisch geprägt. Da aber auch die Bibel und die Geschichte der christlichen Seelsorge am Zusammenwirken von Spiritualität und Veränderung des Denkens bei der seelischen Heilung keinen Zweifel lässt, liegt es auf der Hand, auch christliche Spiritualität und Kognitive Verhaltenstherapie miteinander zu verbinden. In dieser Hinsicht ist in Deutschland noch nicht allzu viel getan worden, aber es gibt bereits Modelle dieser Art. Eines davon ist die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Seelsorge und Therapie (AKST), die man seit 2019 im Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) lernen kann.

DR. HANS-ARVED WILLBERG

ist Sozial- und Verhaltenswissenschaftler, Theologe und Philosoph. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht. 

 

www.isa-institut.de

 

 www.life-consult.org

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