In einer groß angelegten Studie hat das Forschungsinstitut „empirica“ mehr als dreitausend christliche Singles zu ihrer Lebensrealität, ihrem Glauben, ihren Sehnsüchten und Herausforderungen befragt und die Antworten ausgewertet. MINDO hat Johanna Weddigen, Mitautorin der Studie, zu den Hintergründen und Ergebnissen ein paar Fragen gestellt.

 

 

 

MINDO: Eine Studie über christliche Singles – warum war das dran?

 

JOHANNA WEDDIGEN: Weil es in der Gesellschaft und auch in den christlichen Gemeinden immer mehr Singles gibt. Bislang sind Gemeinden jedoch sehr familienorientiert, und oftmals ist es gar nicht klar, wie es dabei den Singles geht und was sie sich wünschen. Uns war es wichtig, Singles selbst zu Wort kommen zu lassen und ein klares Bild von dem zu bekommen, wie sie ihren Alltag gestalten, wie ihr Gottesbild in Bezug auf ihr Singlesein aussieht, wie sie mit ihrer Sexualität umgehen, ob sie einen Partnerwunsch haben und wie hoch ihre Lebenszufriedenheit ist. Es ist wichtig, dass Singles vor allem von denen, die Gemeinden leiten, in den Blick genommen werden, denn sonst wird ein wesentlicher Teil der Gemeinde übersehen.

 

 

Wie war die Resonanz?

 

WEDDIGEN: Wir waren von der starken Resonanz überrascht. Zunächst einmal kam diese primär von Singles, die sagten: „Toll, dass es diese Umfrage gibt! Diesem Thema gehört in christlichen Kreisen viel mehr Aufmerksamkeit. Es geht sonst meistens um Ehepaare oder Familien.“ Viele Singles fühlten sich bislang nicht gesehen und waren dankbar, dass sie nun gehört wurden.

Zu unserer Freude haben sich aber auch vermehrt Gemeindeleiter und -leiterinnen mit der Studie auseinandergesetzt, wobei wir uns dies noch verstärkter wünschen. Denn die Studie ist nicht in erster Linie für Singles gedacht, sondern vor allem für all die, die ein besseres Verständnis dafür entwickeln wollen, was es bedeutet, als Single zu leben. Viele christliche Portale, aber auch säkulare Zeitungen, haben über die Studie berichtet, nun muss sie noch ihren Weg in die Gemeinden finden.

 

 

Mit welchen Ergebnissen habt ihr gerechnet – und was waren die großen Überraschungen?

 

WEDDIGEN: Wir haben damit gerechnet, dass der Partnerwunsch bei vielen Singles groß ist: Tatsächlich wünschen sich 81 Prozent einen Partner oder eine Partnerin. Dass sich jedoch lediglich 4 Prozent zum Singlesein berufen fühlen, hat uns dann doch überrascht. Für die meisten ist es also keine gewählte Lebensform. Wir hatten angenommen, dass das Thema „Berufung“ unter christlichen Singles eine größere Rolle spielen würde. Positiv hat aber auch die hohe Lebenszufriedenheit der meisten Singles überrascht. Denn trotz des starken Partnerwunschs sind 75 Prozent tendenziell mit ihrem Leben zufrieden bis sehr zufrieden.

Lediglich 4 Prozent der Singles fühlen sich zum Singlesein berufen. Für alle anderen ist es keine gewählte Lebensform.

Was fordert Singles in ihrer Lebensrealität am stärksten heraus?

 

WEDDIGEN: Bei vielen Singles ist ein ausgeprägter Partnerwunsch durchaus vorhanden, aber auch ein gewisser Freiheitsdrang. Insbesondere die Single-Frauen gestalten ihr Leben sehr aktiv und haben eine hohe Lebenszufriedenheit. Ein potenzieller Partner wird sich zwar gewünscht, aber nicht um jeden Preis. Gleichzeitig wird diese Freiheit auch immer wieder als anstrengend empfunden, denn der Alltag muss sehr aktiv gestaltet werden. Singles müssen Initiative zeigen, wenn sie den Feierabend oder das Wochenende nicht alleine verbringen möchten. So ist die Freiheit Freud und Leid zugleich.

 

 

Und wie erleben Singles sich im Blick auf ihre Kirchengemeinden?

 

WEDDIGEN: Das Gemeindeleben ist ein wesentlicher Aspekt ihres Lebens. Sie gehen häufig zu Gottesdiensten, sind im Gemeindeleben sehr aktiv und bringen sich hier gerne ein. Und diese Aktivitäten haben einen positiven Einfluss auf ihre Lebenszufriedenheit. Gleichzeitig sagen 30 Prozent der Singles, dass sie sich in ihrer Gemeinde stigmatisiert fühlen. Sie haben das Gefühl, dass ihre Lebensform nicht so anerkannt ist, wie die von Verheirateten. Gemeinde ist somit sowohl ein positiver Faktor in ihrem Leben als auch ein Ort, an dem sie leiden.

 

 

Was heißt das konkret für die Gemeinden?

 

WEDDIGEN: Eine theologische Herausforderung liegt unter anderem in dem hohen Familienideal, das in Gemeinden herrscht – etwas, das übrigens erstaunlich ist, weil doch gerade Jesus Familie ganz neu definiert hat. Natürlich geht es nicht darum, Familien oder Singles gegeneinander auszuspielen. Für beide Lebensformen gibt es gute theologische Begründungen, die dann aber auch entsprechend genannt und herausgearbeitet werden sollten.

Eine weitere theologische Spannung ergibt sich im Blick auf die Sexualethik. 45 Prozent der befragten Singles finden, dass Geschlechtsverkehr exklusiv in eine Ehe gehört. Allerdings sind viele unzufrieden mit ihrer eigenen Sexualität. Sie möchten gern an ihrer Sexualethik festhalten, aber empfinden genau das als schwierig. Die Studie zeigt, dass die Praxis nicht immer den eigenen Moralvorstellungen entspricht. Gerade in diesem Spannungsfeld fühlen sich Singles alleingelassen. Gerade mal 4 Prozent gaben an, dass die Sexualität von Singles in Gemeinden überhaupt thematisiert wird. Sowohl die Sexualmoral selbst als auch der Umgang mit ihr, ist darum eine Herausforderung an die Theologie.

 

 

Was wünscht ihr euch als Initiatoren, dass sich durch die Studie verändert?

 

WEDDIGEN: Wir wünschen uns, dass Gemeinde ein Ort ist, an dem Menschen Gott begegnen und geistliche Gemeinschaft finden, und dass dies für Menschen in allen Lebensformen gilt – auch für Singles. Die Studie bietet zum einen Daten, die zeigen, wie es Singles in Gemeinden geht und was sie sich wünschen, und sie zeigt, dass in Gemeinden Handlungsbedarf besteht. Wir wünschen uns, dass sich Gemeindeleitungen mit der Studie auseinandersetzen und konkret überlegen, wie Singles sich in ihrer Gemeinde wohlfühlen können. Gleichzeitig ist es auch an den Singles, Wünsche zu formulieren und Engagement zu zeigen. Nur so kann ein Miteinander entstehen.

Wir wünschen uns, dass Gemeindeleitungen sich mit der Studie auseinandersetzen und konkret überlegen, wie sich Singles wohlfühlen können.

Was können Singles selber tun, um glücklicher zu leben?

 

WEDDIGEN: Es gibt Faktoren, die die Lebenszufriedenheit steigern, zum Beispiel eine gute Gemeindeanbindung, soziale Kontakte, gemeinsames Wohnen. Und doch ist es auch wichtig zu sagen, dass es „den“ Single so nicht gibt. Beispielsweise zeigte sich, dass die Annahme des eigenen Singleseins stark nach Alter und Geschlecht variiert. Im Allgemeinen kann man dennoch sagen, dass das höchste Maß an Annahme dort besteht, wo die eigene Lebensform akzeptiert und nicht bloß als Übergangsphase angesehen wird. Auch diesbezüglich lohnt es sich, noch einmal die biblische Definition von Familie zu betrachten und sich nicht zu isolieren, sondern Familie anders zu leben. Generationsübergreifende Wohnprojekte können hier ein Ansatz sein, denn es hat sich gezeigt, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und Kommunitäten gibt.

 

 

Wie können Gemeinden Singles besser begleiten?

 

WEDDIGEN: Zunächst einmal ist es wichtig zu sehen, dass Singles einen wesentlichen Teil unserer Gemeinden ausmachen und dass sie eine Bereicherung sind. Zum einen, weil sie engagiert sind und sie sich gerne in ihre Gemeinde investieren, aber auch, weil sie eine andere Perspektive mitbringen und diese das Gemeindeleben bereichert. Singles wollen sich gesehen fühlen – und das beginnt bereits mit einer sensiblen Sprache. Oft fallen ganz unbedacht Sätze in Predigten, Gebeten oder Gesprächen, die Singles das Gefühl vermitteln, dass Familien mehr wertgeschätzt sind als sie. Wann wurde das letzte Mal neben den Familien auch für Singles gebetet? Wann gab es ein Beispiel in der Predigt aus dem Singlealltag?
Darüber hinaus äußerte rund die Hälfte der Befragten den Wunsch nach speziellen Angeboten für Singles. Sie wünschen sich genauso wie Familien einen Ort, wo sie sich mal unter sich austauschen und Erfahrungen teilen können. Hier kann Gemeindeleitung Singles ermutigen, Angebote zu entwickeln und sie darin unterstützen.

 

 

Und zuletzt: Wie können die Studienergebnisse für die Ausbildung von Pastorinnen und Pastoren bedeuten?

 

WEDDIGEN: Je früher Pastorinnen und Pastoren dafür sensibilisiert werden, dass es sich in Gemeinden um eine heterogene Gruppe handelt, deren Mitglieder sich in unterschiedlichen Lebenslagen befinden, desto natürlicher ist es für sie, eine gewisse Sensibilität zu entwickeln und auch Angebote zu schaffen, die alle mit in den Blick nehmen. Es wäre schön, wenn sich theologische Ausbildungsstätten genauer mit der Studie auseinandersetzen und Ideen entwickeln würden, damit sich Singles in Gemeinden nicht stigmatisiert, sondern wertgeschätzt fühlen.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Die Fragen stellte Tina Tschage.

 

 

Lesen Sie hier auch die Rezension des Buches zur Singlestudie „Christliche Singles – Wie sie leben, glauben, lieben“

 

 

 

Johanna Weddigen

ist neben den Professoren Tobias Faix und Tobias Künkler Mitautorin der großen „empirica“-Singlestudie „Christliche Singles – wie sie leben, glauben, lieben“, deren Ergebnisse kürzlich in Buchform im SCM Verlag erschienen sind. Wenn sie keine Studie entwickelt, arbeitet sie als Referentin bei Alpha Deutschland e. V. und trägt hier die Verantwortung für die Gefängnisarbeit. Sie ist Promovendin der Diakoniewissenschaft an der Universität Heidelberg und Aufsichtsratsmitglied der CVJM-Hochschule. Dort und an weiteren Hochschulen ist sie in der Forschung und Lehre aktiv.

 

 

TINA TSCHAGE führte das Interview. Sie ist Theologin und Redakteurin und seit vielen Jahren freiberuflich tätig als Coach, Autorin, Rednerin und Zeremoniarin. Und: Glücklicher Single. Mehr unter: www.tina.tschage.de

 

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