Hallo Junior,

 

heute erinnere mich an Dinge, von denen du in deiner Schulzeit und deiner Ausbildung noch nicht einmal träumen konntest. Du wusstest ja nicht, wie viele Erlebnisse deinen Erfahrungsschatz bereichern sollten. Sich erinnern können ist wichtig, zum Beispiel wenn wir vor dem Geldautomaten stehen und die PIN für unsere Karte eingeben sollen. Auch bei Geburts- oder Hochzeitstagen kann es hilfreich sein, wenn wir uns rechtzeitig an sie erinnern (lassen). Solche vergessenen Daten und Termine können manchmal ganz schön Ärger verursachen. Ich habe nämlich auch schon einmal unseren Hochzeitstag vergessen und meine Frau damit traurig gemacht.

 

Hirnforscher haben interessante Fakten herausgefunden, wie das Erinnern im Gehirn funktioniert. Ich finde es faszinierend, wie die verschiedenen Hirnregionen auch verschiedene Aufgaben haben und dennoch zusammenwirken. Doch das ist heute nicht unser Thema.

 

Öffentliches Erinnern

Der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hat uns auch dieses Jahr daran erinnert, dass vor 75 Jahren das deutsche Vernichtungslager in Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit wurde. Bundespräsident Steinmeier sagte in seiner beeindruckenden Rede in Yad Vashem: „Und ich weiß, ich bin nicht allein. Hier in Yad Vashem sagen wir heute gemeinsam: Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!“

Ich bin überzeugt davon, dass man als Christ kein Antisemit sein kann – denn als Christen glauben wir an Jesus, der Jude war. Nie dürfen wir vergessen, dass wir „Heiden“ auf den Weinstock Israel „aufgepropft“ sind (Römer 11,11–24). Jesus selbst sagte: „… denn die Rettung der Welt kommt von den Juden“ (Johannes 4,22). Daran wollen wir uns immer erinnern.

 

Persönliches Erinnern

Warum machen wir Urlaubsfotos oder Videos? Diese Bilder bringen gute Erinnerungen zurück, wenn wir sie betrachten. Selbst Gerüche, Gefühle und Gedanken werden dadurch unmittelbar aufgerufen. „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, hat Jean Paul gesagt. Und die Gesamtsumme der Erinnerungen geht natürlich weit über die Ferienzeiten hinaus.

 

Aber es kommt auch auf den Filter an, den wir vor unsere persönlichen Erfahrungen setzen. Der Graufilter lässt uns eher die trübsinnigen oder schmerzhaften Erinnerungen wahrnehmen. Sie gehören selbstverständlich zu unserem menschlichen Leben. Manche führen nur Negativ-Listen über das, was ihr Leben ausmacht – was für ein trauriges Leben!

 

Du hast auch so ein trauriges Leben geführt, fast 20 Jahre lang. Kein Wunder, denn deine frühen Erfahrungen – auch die der Flucht – haben dich vorsichtig und misstrauisch gemacht, wenn jemand mit einer positiven Botschaft an dich herantrat. Du warst immer in Hab-Acht-Stellung: Wann kommt der Pferdefuß, der Haken an der gut klingenden Sache? Du hast dich erst langsam aus dieser negativen Grundhaltung lösen können.

 

Aber der Farbfilter der Liebe Gottes und seiner Zuwendung in unseren Nöten, lässt uns diese Erfahrungen in einem neuen Licht sehen. Gottes Liebe ist dir dann in verschiedenen Menschen begegnet, die irgendwie eine besondere Ausstrahlung hatten. Du begannst, ihnen zu vertrauen, ihnen zuzuhören. Und ganz langsam formte sich in deinem Inneren eine neue Grundüberzeugung: „Das Schlimmste, das du erlebst, wird zum Besten, das du erleben kannst – wenn du darin Gott begegnest“, sagt Aki Berg. Heute ist das eine Grundüberzeugung für mich geworden. Mit vielen anderen, die Jesus nachfolgen, weiß ich: Jetzt können wir Plus-Listen führen trotz negativer Erfahrungen und unerfüllter Wünsche. Das ist erfülltes Leben.

 

Erinnerung an die göttliche Erlösung

Erinnerst du dich noch an deine ersten Gottesdienstbesuche, Junior? Du hattest nur eine sehr grobkörnige Vorstellung davon, wie biblische Texte, Lieder und Predigt zu einem harmonischen Ganzen gehören. Vieles hast du anfangs nicht verstanden und darum die Zeit genutzt, die Besucher im Gottesdienst zu zählen. Oder die Zahl der Kirchenfenster. Oder auch die Minuten bis eine dir langweilig erscheinende Predigt zu Ende war.

 

Jeden Tag neu brauchen wir Kraft, um die Herausforderungen des Alltags zu bestehen. Aber wir sind ja nicht allein. Wir glauben an Jesus, den Immanuel, den „Gott mit uns“.

Heute sehe ich das ganz anders. Eigentlich ist jeder Gottesdienst mit seinen Lesungen, Liedern und Wortbeiträgen eine Erinnerung an die „großen Taten Gottes“. Jesus und die Apostel haben sie in der Kraft des Heiligen Geistes bekanntgemacht (Apostelgeschichte 1,18). Auch wir stehen in dieser Tradition, wenn wir das Evangelium heute weitergeben. Es ist die beste Nachricht der Welt, aber sie braucht Boten, die sie auf vielfältige Weise weitergeben. Dann erreicht sie Menschen, die sich darüber freuen und zum Glauben an Jesus Christus finden. Auch das Abendmahl ist eine wunderbare Erinnerung an die göttliche Erlösung, die wir mit allen Sinnen wahrnehmen können. Wer sich auf dieses Weise an die göttliche Erlösung erinnert, gewinnt neue Lebensfreude.

 

Stark durch die Erinnerung an die Auferstehung von Jesus

In der Schule brauchtest du Kraft und Disziplin, um Vokabeln zu lernen. Du bekamst ein lateinisches Grundwissen dank eines Lateinlehrers, der euch die Vokabeln lernen ließ und sie im Unterricht abfragte und auch benotete. Dabei war Latein für dich schwierig. Du fragtest dich ständig: „Latein ist doch eine tote Sprache. Wozu lernt man sie überhaupt?“ Im Englischunterricht lief das schon besser. Das war ja auch eine lebendige Sprache. Du bekamst schnell eine Ahnung, dass du sie im Beruf gut gebrauchen können würdest.

 

In der Ausbildung zum Reisebürokaufmann brauchtest du Kraft, um permanent Neues aufzunehmen. Die Arbeitsstunden waren lang, auch wenn Lehrlinge – so nannte man damals Auszubildende – eigentlich keine Überstunden machen durften.

 

In der Familie brauchtest du Kraft, um deinen Weg konzentriert zu gehen, während die Wege deiner Eltern in Scheidung mündeten. Die Familie war am Ende. Sie war kein Schutzraum mehr, war es eigentlich nie im umfassenden Sinn gewesen. Aber jetzt brach auch die äußere Form zusammen. Eins war dir klar: „Ich muss hier raus!“

 

Inzwischen, Junior, habe ich zusammen mit meiner geliebten Frau Margret viele herausfordernde Monate und Jahre erlebt. Immer wieder brauchten wir zusätzliche Kraft. Manchmal schienen die Berge der Aufgaben und Situationen unüberwindlich. Aber wir haben sie immer wieder dank Gottes und der Freunde Hilfe bewältigen können.

 

Heute weiß ich: Jeden Tag neu brauchen wir Kraft, um die Herausforderungen des Alltags zu bestehen. Vielleicht ist mir das in höherem Lebensalter viel bewusster als früher. Aber wir sind ja nicht allein. Wir glauben an Jesus, den Immanuel, den „Gott mit uns“, der immer bei uns ist. Und in den schwersten Zeiten trägt er uns sogar, wenn wir keine Kraft zum Weitergehen haben.

 

Wir brauchen Standfestigkeit, um von den Stürmen des Bösen und der Veränderung nicht umgeweht und entwurzelt zu werden. Die Erinnerung an die Auferstehung von Jesus ist nicht nur eine Sache des Gottesdienstes. Wir dürfen und sollen uns immer neu in unserem Alltag daran erinnern (lassen). Wie Timotheus, der Schüler von Paulus, macht uns die Erinnerung an den auferstandenen Herrn stark in unserem Geist und Herzen (2. Timotheus 2,8–10). Das ist ein Grund, der niemals wankt. (1. Korinther 3,11). Das ist ein Glaube, der uns stärker macht als der Zeitgeist, als die falschen Freunde, und als die Versuchung, in die falsche Richtung zu laufen. In diesem Sinne: Sei stark und lass Jesus durch dich leben! Denn niemand kann das Christenleben leben außer Jesus Christus selbst – in dir.

 

 

Dein sich erinnernder Senior

 

Heinz-Martin Adler

verheiratet mit Margret, Vater, Großvater und Urgroßvater, war Verlagsmitarbeiter, Geschäftsführer, Trainer und Erwachsenenbildner und befindet sich heute im aktiven Unruhestand. 

 

E-Mail: hmadler@t-online.de

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