„Sie können sich nicht vorstellen, wie meine letzten Wochen waren“, eröffnet eine Klientin das Gespräch. Ich weiß, dass ihr Vater kürzlich gestorben ist und gehe entsprechend davon aus, dass ihre Frage auf ihre Trauersituation abzielt. „Das war sicher nicht leicht“, fange ich an, werde aber sofort von ihr unterbrochen. „Sie haben ja keine Vorstellung! Es war der absolute Horror! Ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht …“ Nun bin ich mir doch nicht mehr so sicher, ob sie tatsächlich von der Trauer um ihren Vater spricht, also hake ich nach. Es stellt sich raus, dass das, was sie gerade umtreibt, weniger die Trauer über den Tod ihres Vaters ist, sondern das Gefühl völliger Überforderung mit der Auflösung seines Haushalts.

 

Ihre Mutter ist bereits einige Jahre zuvor verstorben. Danach wurde nichts weggegeben – man hatte ja ausreichend Platz, um alles zu behalten. Ihr Vater lebte bis zum Schluss allein in einem Haus, das ursprünglich für fünf gedacht war. Die beiden Geschwister meiner Klienten leben weit entfernt, sodass sie nun vor der Herausforderung steht, den Haushalt allein auflösen zu müssen. „Da ist so viel Kram und alles muss ich mir anschauen und entscheiden, was Wert hat und was nicht.“ Mit Wert meint sie zweierlei: Wert im materiellen Sinne – was lohnt sich noch, es zum Verkauf anzubieten, was soll ins Sozialkaufhaus gebracht werden, was gehört auf den Müll? Wert aber auch im immateriellen Sinne – was im Nachlass sind Dinge, die sie behalten oder ihren Geschwistern geben möchte, weil daran Erinnerungen hängen? Gar keine so leichte Aufgabe, vor allem, weil sie merkt, dass sie eine Art emotionale Verpflichtung verspürt, alles Mögliche aufzubewahren, selbst wenn die Menge dieser Erinnerungsstücke die Kapazitäten ihrer eigenen Wohnung sprengen würden.

Was sind Dinge, die man behalten möchte, weil daran Erinnerungen hängen? Gar keine so leichte Aufgabe, vor allem, wenn man eine emotionale Verpflichtung verspürt.

Im weiteren Verlauf unserer Treffen sprechen wir darüber, wie sie mit dieser Herausforderung gut umgehen kann, damit es sie nicht überfordert und auch noch Energie für den Alltag und Zeit zum Trauern bleibt. Zum Glück gibt es keinen Zeitdruck, dass das Haus binnen kürzester Zeit geräumt werden muss – das ist leider nicht immer der Fall. Der Nachlass ihres Vaters bringt uns aber auch dazu, dass wir darüber sprechen, was sie vielleicht als eine Art positiven Input aus dieser Situation für sich selbst mitnehmen kann. Zunächst kommen eher flapsige Antworten wie „Ich werde nie wieder das Haus meines Vaters auflösen, das habe ich mir geschworen!“ Aber dann wird sie doch ernst und sagt: „Das möchte ich meinen Kindern nicht zumuten, dass sie nach meinem Tod noch so viel Arbeit mit meinem Nachlass haben. Das ist das, was ich aus den letzten Wochen und Monaten mitnehme.“

 

Wir sprechen über das schwedische Prinzip des sogenannten „Döstadning“, eine Wortkreation, die sich aus den schwedischen Wörtern für „sterben“ und „Sauberkeit“ zusammensetzt und vielfach auch „Death Cleaning“ genannt wird. Dabei geht es kurz gesagt um nichts anderes, als schon zu Lebzeiten eine Art Entrümplungsprozess im eigenen Haushalt zu starten, um diese Aufgabe nicht den Hinterbliebenen aufzulasten. Die Schwedin Margareta Magnusson, eigenen Angaben zufolge zwischen 80 und 100 Jahre alt, hat darüber ein sehr kurzweiliges, lesenswertes Buch geschrieben („Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen“).

 

Meine Klientin und ich reden noch länger über diese Idee. Unsere Gedanken zur Umsetzung sind verschieden und das ist auch vollkommen in Ordnung. Wichtig ist uns, dass nicht mehr der Ärger über die Strapazen des Haushaltsauflösung im Vordergrund stehen, sondern ein positiver Impuls für die eigene Zukunft. Sich zu beschweren, ist einfach, es besser zu machen … manchmal nicht so unglaublich viel schwerer. Man muss es nur wollen.

Nicole Sturm

lebt mit ihrer Familie in Norddeutschland. Sie arbeitet als Redakteurin einer Bibellese-Zeitschrift für Frauen sowie als psychotherapeutischer Coach (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Mehr über sie und ihre Arbeit erfahren Sie unter www.vorwärtsleben.de

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