Mareike ist eine vielbeschäftigte Frau. Vormittags arbeitet sie im Büro, mittags holt sie die Zwillinge von der Schule ab, macht Mittagessen, hilft bei den Hausaufgaben und schmeißt den Haushalt. Abends, wenn ihr Mann zu Hause ist, treffen sie sich gerne mit Freunden, besuchen regelmäßig einen Hauskreis ihrer christlichen Gemeinde und auch das Engagement für den Ortsverein nimmt Zeit in Anspruch. Die Wochenenden sind dafür ganz für die Familie reserviert. Mareikes Leben ist ziemlich voll, aber so mag sie es.

 

Als im Sommer allerdings eine Kollegin längerfristig erkrankt und eine andere wegen Problemen in der Schwangerschaft bereits im fünften Monat der Arbeit fernbleiben muss, stapelt sich deren Arbeit auf Mareikes Schreibtisch. Als dann auch noch ein Kollege in den wohlverdienten Ruhestand entlassen wird, ist vollends Land unter! Mareike macht viele Überstunden, auch am Wochenende, wovon sie ihrem Chef aber nichts erzählt. Die Probleme vom Büro nimmt sie gedanklich mit nach Hause; das Einschlafen fällt ihr zusehends schwerer. Immer öfter ertappt sie sich dabei, wie sie Dinge für die Arbeit vor- oder nachbereitet, während die Zwillinge an den Hausaufgaben sitzen.

 

Wenn die Luft raus ist

Im Winter ist die Luft bei Mareike dann komplett raus. Noch immer kein Land in Sicht bei der Arbeit, die Familie ist genervt wegen der vielen Überstunden, der Chef hat ihr noch kein einziges Mal für ihren Einsatz gedankt. Stattdessen tummeln sich einige Kilos mehr auf Mareikes Hüften, weil sie so lange am Schreibtisch sitzt – und den Frust darüber in Gummibärchen, Schokolade und viel zu viel Kaffee zu ertränken versucht. Bei einem Routine-Check-Up beim Arzt spricht dieser sie auf die Situation an – und Mareike bricht noch im Behandlungszimmer in Tränen aus. Sie weiß selbst nur zu gut, dass da etwas in ihrem Leben aus dem Gleichgewicht geraten ist. Zu gern würde sie etwas daran ändern, die Frage ist nur: wie? „Nehmen Sie sich Zeit für sich“, lautet der Rat des Arztes. „Woher nehmen, wenn nicht stehlen?“, hätte Mareike zu gerne erwidert, aber das verkneift sie sich.

Haben Sie schon einmal versucht, eine randvoll gefüllte Tasse mit einem weiteren Schluck Kaffee zu befüllen?

So falsch ist der Rat von Mareikes Arzt gar nicht. Allerdings versuchen viele Menschen, diese „Zeit für sich“ zusätzlich in den Tag zu quetschen – was nur selten gelingt. „Einfach mal“ eine halbe Stunde in aller Ruhe hinsetzen, einen Tee trinken oder ein gutes Buch lesen, sich „einfach mal“ im Spa mit einer Massage verwöhnen lassen oder doch lieber „einfach mal“ einen ausgiebigen Spaziergang machen? Diese „Einfach-Mals“ kosten Zeit. Das Problem: Der Tag verlängert sich nicht automatisch um die entsprechende Zeit. Das wiederum bedeutet im Klartext, dass man, um diese Dinge tun zu können, andere Dinge streichen muss.

 

Prioritäten neu setzen

Haben Sie schon einmal versucht, eine randvoll gefüllte Tasse mit einem weiteren Schluck Kaffee zu befüllen? Vermutlich nicht, denn wenn es um Tassen geht, ist uns vollkommen klar, dass das nicht funktionieren wird, ohne dass es eine Überschwemmung gibt. Und doch versuchen wir etwas ganz Ähnliches, wenn es um Zeit geht. Da wird beschlossen, in Zukunft dreimal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen oder mehr Zeit für die Familie zu haben oder … allerdings ohne einen Plan, wo die Zeit dafür herkommen soll. Doch auch hier gilt das Tassen-Prinzip: Ein 24-Stunden-Tag verlängert sich nicht automatisch, nur weil man Zeit braucht, um einen (guten) Vorsatz umzusetzen. Hier sind wir selbst gefragt: Möchte ich Neues in mein Leben integrieren, muss ich mich von anderen Dingen trennen – oder sie zumindest neu priorisieren.

 

PS. Dieses Prinzip lässt sich auch noch auf viele andere Bereiche übertragen, beispielsweise auf unsere Gedanken: Man kann nicht sagen „Ich bin es mir wert“ und im nächsten Atemzug „Ich bin nichts wert“!

 

Nicole Sturm

begleitet Menschen in Krisen- und Umbruchszeiten und unterstützt sie dabei, ein Leben in Balance zu führen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im psychotherapeutischen Coaching, das sie nicht nur live in ihrer Praxis, sondern auch online (schriftlich) oder telefonisch anbietet. Mehr zu ihr und ihren Angeboten erfahren Sie unter www.vorwärtsleben.de

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