Es herrscht „Krieg“ in dieser Vorweihnachtszeit. Krieg innerhalb von Familien- und Freundschaftsbanden. Diese – teils auch sehr hitzigen – Diskussionen über „Wer-mit-wem-wann-wo-wie-an-welcher-Tafel-und-mit-welchem-Essen“ sind im Grunde völlig üblich und jedes Jahr ähnlich. In diesem Jahr kommt allerdings dieses neue, emotional extrem schwer beladene Thema dazu: Wie umgehen mit der Corona-Pandemie und all den Vorschriften?

 

Ich erlebe dieser Tage in meinem Umfeld schlimmen Streit. Geschwister zoffen sich, Eltern sprechen nicht mehr mit ihren Kindern, Großeltern schmeißen ihre Enkel raus und so weiter. Was tun, wenn ein Teil der Familie Weihnachten wie immer feiern will, also mit zehn Leuten und mehr – denn „Das ist ja jetzt auch erlaubt“ – und du selbst willst lieber vorsichtig sein und etwas mehr Distanz halten? Oder du willst wie jedes Jahr mit Sack und Pack zu den Eltern fahren, aber sie wollen dich gar nicht empfangen, weil sie hochbetagt, vorerkrankt und entsprechen ängstlich sind?

Ich hätte fünf Tipps für den Umgang mit anderen Meinungen und Einstellungen in dieser Zeit der globalen Pandemie (auch in allen anderen Zeiten in entsprechenden Situationen anwendbar):

 

1. Nicht werten – nicht sich selbst und auch nicht andere

Wir werten und bewerten ständig. Im Moment mehr denn je.

 

„Wie er über Corona-Maßnahmen denkt, das geht ja gar nicht!“

„Wie eng sie alles sieht, das geht ja gar nicht!“

 

Tatsächlich darf aber jeder denken, was er will. Nur tun darf man eben nur das, was im Rahmen von Gesetzen und derzeitigen Regeln erlaubt ist. Wenn nun jemand aus meiner Sicht viel zu locker oder viel zu eng mit dem ganzen Corona-Thema umgeht, dann darf das gerne meine Sicht der Dinge sein. Die darf sich auch von anderen Sichten unterscheiden. Aber: Meine Sicht ist nicht automatisch besser, noch klüger, noch weiser. Sie ist schlicht und ergreifend meine Sicht der Dinge. Und damit erst einmal völlig in Ordnung. Auch diskutabel, ja, aber nicht zu bewerten. Wenn wir aufhören, unsere Handhabung der Pandemie, unsere Ansichten und Meinungen – oder einfach gesagt: einander– zu bewerten, wird das Leben leichter.

 

Übrigens: Auch uns selbst gegenüber werten wir gerne. Nach dem Motto „Jetzt stell dich mal nicht so an!“, übergehen wir unsere Angst und Sorge und geben ihr damit nur noch mehr Kraft. Eigene Gefühle liebevoll wahrzunehmen und gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen im Handeln zu ziehen, ist sehr wohltuend.

 

2. Verantwortung dort lassen, wo sie hingehört

Wir meinen oft, wir müssten andere schützen. Manchmal ist das auch tatsächlich unsere Aufgabe – aber nicht bis zur letzten Konsequenz (außer es geht um Menschen in unserem nahen Umfeld, die noch nicht oder nicht mehr selbst in der Lage dazu sind)!

 

Jeder von uns trägt die eigene Verantwortung für sich und sein Leben. Ich darf Rat geben, meine Meinung kundtun, diskutieren, auch schimpfen. Am Ende entscheidet jeder selbst, was er tut und lässt, denn jeder selbst hat die Konsequenzen zu tragen. Klar, im Zweifelsfall habe ich sie auch zu tragen, wenn Mitte Januar der Vater an Covid-19 verstirbt, weil wir meinten, unbedingt zusammen feiern zu müssen – und ich mir vorwerfe, nicht genug interveniert zu haben. Oder er stirbt, an oder mit oder ohne Corona, und ich hätte gerne noch mal mit ihm gefeiert…

 

Darum: Misch dich ein, sag deine Meinung, spreche eindringliche Bitten aus – aber lass die Entscheidung inklusiv aller Konsequenzen dort, wo sie hingehört: bei dir selbst und bei den anderen.

 

3. Eigene Entscheidungen treffen und dazu stehen

Wenn dir das große Fest bei und mit der Verwandtschaft zu heikel ist, dann triff bewusst diese Entscheidung und kommuniziere sie. Im besten Fall befreist du dich selbst von einer großen Last und stößt auf Verständnis. Im schlechteren Fall begegnet dir absolutes Unverständnis. Dann kannst du nur um Akzeptanz bitten – und um Toleranz. „Tolerare“ bedeutet „tragen“ und „mittragen“. Ich muss nicht alles verstehen. Aber mittragen kann ich es. Und in diesem Sinn auch andere tragen. Und ertragen. Vielleicht auch die Entscheidung, Weihnachten allein zu bleiben. Oder die Entscheidung, mit allen gemeinsam zu feiern – und dann mit dem Risiko, dass es für manch einen möglicherweise nicht gut ausgeht.

Ich vermute, dass jeder seine ganz eigene Not mit dieser Pandemie hat. Da hilft nur offenes Kommunizieren: Sagen, wie es mir geht, was ich fühle, denke, brauche.
4. Barmherzigkeit leben

Wie wäre es, kurz vor dem Start ins neue Jahr die Jahreslosung für 2021 ganz praktisch einzuüben: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6,36)?

 

Barmherzigkeit ist laut Definition „tätige Nächstenliebe“. Menschen nehmen sich einander an – besonders in Not. Die aufgeheizte Stimmung inmitten all dieser Weihnachtsstreitfälle zeigt mir: Hier ist viel Not.

 

Ich vermute, dass jeder seine ganz eigene Not hat mit dieser Pandemie. Lasst uns einander in genau dieser ganz persönlichen, individuellen Not begegnen! Da hilft nur offenes Kommunizieren: Sagen, wie es mir geht, was ich fühle, denke und brauche; versuchen, Mittelwege und Kompromisse zu finden; um Verständnis werben – oder um Toleranz kämpfen. Niemals werten, sondern andere so nehmen, wie sie sind – selbst wenn es mich auf die Palme bringt! Denn an Weihnachten geht es im Kern um was anderes als um die richtige Meinung. Es geht um Gott und Jesus und darum, dass sie mit uns sind: Immanuel, Gott ist mit uns. Oder wie Papst Franziskus es ausdrückte: „Kleine Gesten der Liebe, der Zärtlichkeit und der Fürsorge zeigen uns, dass der Herr mit uns ist: so öffnet man das Tor der Barmherzigkeit.“

 

5. Liebe teilen

Weihnachten ist das Fest der Liebe. Gott hat seinen Sohn in diese Welt geschickt, damit das mit der Liebe sichtbar und erlebbar wird. Nun liegt es an uns, dass genau das auch geschieht. Und mehr als in den meisten anderen Jahren unseres Lebens haben wir dieses Jahr an Weihnachten die Möglichkeit, wirklich zu lieben. Darum: Lass die anderen so sein, wie sie sind! Begegne ihnen in ihrer Not mit Verständnis und Toleranz! Hör auf zu werten – oder fang gar nicht erst damit an!

 

Liebe und Barmherzigkeit gehören zusammen. Aber: Lieben ist nicht automatisch gleich Mögen! Ich kann völlig uneins sein mit denen, die ich liebe. Ich muss sie nicht verstehen. Ich brauche ihre Entscheidungen nicht mittragen. Lieben heißt an diesem Weihnachten mehr denn je: Lasst uns einander im Blick haben und anpacken, wo es geht. Oder eben loslassen. Und wenn sich die tätige Nächstenliebe in diesem Dezember auf massenhafte Briefe, Päckchen, Anrufe und Videocalls beschränkt, dann ist es vielleicht ein sehr viel Liebe-volleres Weihnachtsfest als alle anderen zuvor.

 

Tina Tschage

hat Theologie studiert und das Handwerkszeug der Redakteurin erlernt und lebt als Single-Frau in einer christlichen Gemeinschaft in München und arbeitet freiberuflich als Coach, Speakerin und Autorin. In diesem Sommer ist ihr Buch „Auf das Leben!“ (adeo) erschienen.

  

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