„Und? Bist du in einer Beziehung?“ Diese Frage beantworte ich grundsätzlich mit „Ja“. Und das, obwohl ich Single bin. Denn mich nervt es, dass wir, wenn es um Beziehung geht, irgendwie grundsätzlich nur an Paarbeziehungen mit erotisch-sexueller Komponente denken.
Aber warum eigentlich? Wir Menschen sind für Beziehung gemacht. Das lese ich schon ganz am Anfang der Bibel, wo Gott sagt, dass es nicht gut wäre, wenn ein Mensch allein ist (1. Mose 2,18). Wir Menschen entstehen aus Beziehung, weil zwei Menschen eine erotisch-sexuelle Beziehung leben. Von Anfang an leben wir in Beziehung und stehen in Beziehung zu anderen: zuerst zu unseren Eltern, vielleicht zu Geschwistern, zu Verwandten, dann zu Freunden. Und später kommen vielleicht Nachbarn, Schulkameraden, Sportfreunde, Kolleginnen und Kollegen und Chefinnen oder Chefs dazu.
Du merkst: Wir alle leben in Beziehungen. Und so unterschiedlich sie auch sein mögen – sie haben doch alle ein paar Grundsätze gemeinsam, die sich zu entdecken lohnen. Spontan kommt mir diese Auswahl in den Sinn:
1. Beziehungen bedeuten Arbeit
In meinen Traureden sage ich es dem Brautpaar immer: „Eure Beziehung ist und bleibt Arbeit – immer!“ Eine Beziehung ist nicht irgendwann fertig gebaut, sie bleibt Work-in-Progress – und das ist gut so. Eine gute Beziehung – egal, ob es sich um eine Ehe oder jede andere Beziehung handelt – braucht Pflege. Wie ein Garten: Da muss gegossen werden, gedüngt, gejätet, und manchmal radikal beschnitten. Alles, damit die einzelnen Pflanzen gut wachsen können.
2. Beziehungen lassen mich wachsen
Wenn ich mich auf diese Arbeit einlasse und mich aktiv beteilige, entdecke ich früher oder später – und immer wieder! – dieses wundervolle Wachstum. Wie viele meiner Gaben, Fähigkeiten und Talente habe ich erst entdeckt, als ich sie mit anderen teilte. Wie viele blöde Marotten habe ich erst abgestellt, als sie anderen auf die Nerven gingen. Wie viel Glanz würde mir entgehen, wenn mich nicht andere darauf hinwiesen, dass ich ja auch mal in eine andere Richtung blicken könnte. In meinen Beziehungen habe ich schon eine Menge gelernt: über andere und über mich selbst. Über Einstellungen, Werte und Prägungen. Über Länder, Gebräuche und Sitten. Und über Gefühlslagen.
3. Beziehungen äußern sich durch Gefühle
Wenn ich meist allein bin – und vielen Singles geht das so –, merken andere logischerweise nicht, wie es mir geht. Ich kann dann weder meine Freude teilen noch meinen Ärger oder mein Leid. Das alles – meine Gefühlswelt – äußert sich oft ganz intensiv im Beisein anderer. Wenn ich auf andere stoße, lachen wir gemeinsam laut oder es knallt gewaltig. Klar, manchmal bin ich schlecht drauf und merke das auch selbst, wenn ich allein bin. Am besten merke ich das aber mit anderen: Wenn ich andere anraunze, weil ich mies gelaunt bin. In Beziehungen merkt man, wie es dem anderen geht. Mein Chef merkt, wenn ich meine Arbeit schlecht mache. Freunde sehen, wenn ich strahle. Und Mutter spürt am Telefon, wenn beim Kind was nicht stimmt (oft sogar spürt sie es einfach so…).
Gott wusste schon immer: Wir brauchen einander!
Gut ist, wenn ich mich und meine Gefühlswelt gut kenne. In meinen Seminaren mache ich zu diesem Thema immer Vokabeltraining, damit auf die Frage „Wie fühlst du dich jetzt?“, mehr kommt als „Gut.“ Wenn ich meine Gefühlslage präzise benennen kann, wird es für mich und alle anderen leichter, damit umzugehen. Und die Beziehungen werden tiefer und schöner.
4. Beziehungen gleichen das aus, was mir fehlt
Dieser Bibelvers, den ich oben zitiert habe, geht noch weiter. Da steht, dass Gott meint, dass jeder von uns Hilfe brauche. Viele Theologen ziehen diesen Vers für die Beziehung von Mann und Frau heran. Das halte ich für richtig, aber nicht für ausschließlich. Ich bin überzeugt, dass Gott uns Menschen als Beziehungsleute geschaffen hat – und dass es ihm eben nicht nur um Partnerschaften mit sexuell-erotischer Agenda geht, sondern um uns alle. Jeder von uns ist einzigartig, kann Dinge, die niemand sonst kann. Mit jedem von uns hat Gott etwas Wundervolles in die Welt gesetzt – und er will, dass wir genau das zum Glänzen bringen. Und niemand kann alles. Was ich nicht kann (Steuererklärungen machen zum Beispiel), das kann jemand anderes richtig gut (mein großer Bruder). Was ich kann (gut kochen), ist ein Geschenk für jemand anderes (meine Mitbewohnerin).
Gott wusste schon immer: Wir brauchen einander! Mindestens deshalb sind tragfähige Beziehungen für uns so wichtig. Und wir sind weise, wenn wir Beziehung nicht auf eine Partnerschaft beschränken und womöglich gar nur auf diese warten und nur an dieser bauen.
Du merkst: Beziehungen gehören zu unserem Leben dazu. Und zwar zu uns allen! Zu den Paaren, den Familien und uns Singles! Ja, wir leben alle in Beziehungen – die einen in ganz vielen, die anderen in wenigen; manch einer hat wenige sehr tiefe, manch einer viele oberflächliche. Egal, wie unsere Beziehungen gestrickt sind und wie tief sie sind: In allen können wir lernen, in allen können wir wachsen, in alle sollten wir Arbeit stecken. Denn es lohnt sich!
→ Überlege einmal, in welchen Beziehungen du so lebst. Gehe nacheinander alle Bereiche deines Lebens durch und notiere, mit wem du Beziehung lebst, wie tief diese sind, was du durch sie schon gelernt hast (über dich selbst und andere) und woran du weiter arbeiten möchtest, damit sie tiefer, besser, schöner werden.