„Meine Tochter (4) geht seit einem Jahr in den Kindergarten, findet dort aber einfach keine Freunde. Die Erzieherin meinte, sie spiele meistens für sich allein, schiene damit aber auch ganz zufrieden zu sein. Trotzdem mache ich mir Sorgen, dass sie möglicherweise als Teenager und junge Erwachsene genauso einsam sein wird wie ich es war, denn mir fällt es selber schwer, Kontakte zu knüpfen. Wie kann ich sie ermutigen, auf andere zuzugehen?“
Wenn ein Baby geboren wird und Bekannte, Verwandte oder Freunde uns sagen, wie sehr uns das Neugeborene ähnelt, tut das in der Regel gut. Wir freuen uns, dass man quasi sehen kann „aus welchem Stall“ das Kind kommt. Doch im Laufe der Zeit geschieht oft Folgendes: Unser Kleinkind bekommt die ersten Wutanfälle. Oder es versteckt sich bei jedem Besuch hinter unserem Bein. Unser Grundschulkind verliert sich im Spielen und denkt gar nicht daran, Hausaufgaben zu machen. Oder es versucht ehrgeizig, bloß keinen Fehler zu machen und kann sich von einer Kritik der Lehrkraft schier nicht mehr erholen. Unser Teenager tut sich schwer, Freunde zu finden und verbringt die meiste Zeit alleine in seinem Zimmer. Oder macht als Klassenclown nur Unsinn …
Wir entdecken also in unseren Kindern unsere eigenen Schwächen bzw. ähnliche Charakterzüge, die wir selbst als Last empfunden haben und an denen wir möglicherweise immer noch leiden. Und das macht uns Sorgen, denn wir wünschen uns ja zutiefst, dass unser Kind in jeder Hinsicht ein besseres Leben hat als wir.
Nehmen Sie Ihre Tochter so an, wie sie ist
Jeder Versuch, die Eigenschaften unserer Kinder zu verändern, führt in der Regel dazu, dass sie sich als nicht angenommen oder irgendwie „falsch“ empfinden. Deshalb ermutige ich Sie, die Schüchternheit Ihrer Tochter bewusst anzunehmen als etwas, das zu ihr gehört.
Wer sich bewusst macht, dass in jeder Schwäche zugleich auch eine Stärke steckt, der kann sich positiv mit seinen eigenen und auch mit den vermeintlichen Schwächen seiner Kinder auseinandersetzen.
Ein Blick auf uns selbst und unsere eigene Entwicklung kann uns dabei helfen: Haben wir uns mit all unseren Charakterzügen und Eigenschaften angenommen und geliebt gefühlt? Was hat uns geholfen, uns selber so anzunehmen wie wir sind? Wenn Sie dabei eigene Defizite entdecken, dürfen Sie sich gerne auch selber zusprechen: „Ich bin gut, so wie ich bin!“ Denn:
In jeder Schwäche steckt eine Stärke
Versuchen Sie doch einmal, an jeder eigenen vermeintlichen Schwäche und auch an den vermeintlichen Schwächen Ihrer Kinder etwas Positives zu finden. Wer ungeduldig ist und schnell wütend wird, ist in der Regel auch recht zielstrebig und willensstark. Wer perfektionistisch ist und Kritik schlecht aushält, weiß meistens ganz von selbst, was richtig und falsch ist und versucht immer, sein Bestes zu geben. Wer schüchtern und zurückhaltend ist, ist andererseits oft auch sensibel und mitfühlend. Und wer das Leben leicht nimmt und manchmal oberflächlich erscheint, mit dem kann jede Arbeit zur Party werden.
Wer sich bewusst macht, dass in jeder Schwäche zugleich auch eine Stärke steckt, der kann sich positiv mit seinen eigenen und daher auch mit den vermeintlichen Schwächen seiner Kinder auseinandersetzen.
Helfen Sie Ihrem Kind, seine Gefühle auszudrücken
„Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung“ – dieser bekannte Spruch enthält eine wichtige Wahrheit: Es ist wertvoll, wenn wir uns selber gut kennen und einschätzen können, wenn wir wahrnehmen, wie wir selbst „ticken“. Das können wir unseren Kinder beibringen, indem wir ihnen helfen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Fragen Sie sich selbst und überlegen Sie auch gemeinsam mit dem Kind: Was fühle ich eigentlich, …
… wenn etwas nicht klappt?
… wenn ich kritisiert werde?
… wenn ich fremden Menschen begegne?
… wenn ich in einer mir wichtigen Sache unterbrochen werde?
… wenn andere sich über mich lustig machen?
… oder aber mich bewundern für meine coolen Sprüche oder für meine mutigen Auftritte?
Sobald Sie selber Worte finden für Ihre Gefühle, können Sie auch Ihrem Kind helfen, diese auszudrücken. Und alles, was wir in Worte fassen können, wird fassbar und verliert damit viel von seiner Macht über uns. So können wir lernen, auf unsere Gefühle zu achten, ohne sie über uns herrschen zu lassen.
Üben Sie mit Ihrem Kind einen guten Umgang mit Gefühlen ein
Unsere Kinder sollten grundsätzlich wissen, dass ihre Gefühle in Ordnung sind, dass sie sie ausdrücken dürfen und dass sie deshalb nicht abgelehnt werden. Aber sie können auch lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen: Was kann ich tun, wenn ich richtig wütend bin, wenn ich Angst habe oder traurig oder enttäuscht bin?
Unsere Kinder sollten grundsätzlich wissen, dass ihre Gefühle in Ordnung sind, dass sie sie ausdrücken dürfen und dass sie deshalb nicht abgelehnt werden.
Wenn Ihre Tochter sich nicht wohl dabei fühlt, auf andere zuzugehen, sollten Sie sie nicht dazu überreden. Sie könnten aber gemeinsam überlegen, wie sie sich fühlt, wenn andere versuchen, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Vielleicht hilft Ihnen ein Rollenspiel dabei, mit Ihrer Tochter mögliche Reaktionen einzuüben. Und schließlich:
Schauen Sie hoffnungsvoll in die Zukunft
Sorgen trüben unseren Blick in die Zukunft und machen uns ängstlich und unsicher nach dem Motto: „Was soll nur werden?“ Werfen Sie stattdessen einen positiven Blick in die Zukunft: Was wäre, wenn Ihre Tochter zu einer Frau heranwächst, die sensibel und mitfühlend auf andere Menschen eingehen kann? Wenn sie eine Frau wird, bei der man sein Herz ausschütten kann?
Sie können dazu beitragen, indem Sie Ihre Tochter so annehmen, wie sie ist, und indem Sie sie ermutigen, in ihrer vermeintlichen Schwäche die Stärke zu entdecken und zu entfalten.
Die Fragen in unserer Rubrik „Familienfragen“ sind aus dem Erfahrungshintergrund der Beraterinnen und Berater exemplarisch formuliert worden, sodass jederzeit strenge Vertraulichkeit gewährleistet bleibt. Wir veröffentlichen keine seelsorgerlichen Anfragen an die Redaktion ohne vorherige ausdrückliche Genehmigung der Ratsuchenden.