Ihr wahrer Kern macht sie geschmeidig glatt und darum so gefährlich: Falsche Überzeugungen, die schnell zu „Glaubenslügen“ werden. Bleiben sie unerkannt, beschädigen sie über kurz oder lang die Beziehung zu Gott und unser Denken, Fühlen und Handeln. Die Theologin Nicole Sturm enttarnt sie und ermutigt zu einem neuen Denken. 

 

 

1. Erkennen

Gebet wird oft als eine Art Wunderwaffe beschrieben. Und es ist wahr: Die Bibel berichtet Beeindruckendes von der Macht des Gebets. Auch heute noch beten Menschen und erleben Erstaunliches: Sie empfangen einen übernatürlichen inneren Frieden in herausfordernden Situationen. Sie erkennen, was in einer bestimmten Lage zu tun ist. Oder sie werden infolge eines Gebets sogar wieder gesund. Gebet verändert – sowohl den Beter selbst als auch Situationen.

Erlebt jemand das jedoch anders, sprich: er oder sie betet und nichts passiert, ist für manche Christen ganz klar: Mangelnder Glaube oder Sünde müssen schuld sein, dass Gott nicht antwortet. Doch damit sitzen sie einer gefährlichen Lüge auf, die sie selbst, vor allem aber andere verletzt.

 

2. Entlarven

Haben Sie auch schon einmal Gott um Hilfe gebeten, sei es für Sie persönlich oder einen anderen Menschen? Die Bibel verspricht, dass Gott unsere Gebete hört. Mit dem Erhören, also der „Erfüllung“, sieht es jedoch etwas anders aus: Nicht jedes Gebet wird haargenau so, wie wir es uns wünschen, erhört – manchmal nicht einmal ansatzweise! Doch leider sind für manchen entweder „mangelnder Glaube“ oder auch „Sünde“ im Leben des Betenden die einzig plausiblen Erklärungen dafür.

 

Haben Sie sich je gefragt, welche Lügen die besten sind, also die, die wir am ehesten für bare Münze nehmen? Es sind die, die einen wahren Kern enthalten. So ist es auch mit der Aussage, der Grund für nicht erhörte Gebete sei zu wenig Glaube oder eben Sünde. Denn es stimmt, dass diese Dinge der Grund sein können, dass wir nicht erhört werden – aber sie müssen es nicht sein. Die Gründe für die Nichterhörung eines Gebets auf diese beiden Aspekte zu verkürzen und sie damit absolut zu setzen, ist die versteckte Lüge inmitten wahrer Annahmen.

Beinhaltet eine Lüge einen wahren Kern, akzeptieren wir sie eher, denn an einem Kern kann man schlecht rütteln. Wir sind Menschen und als solche zweifeln wir und tun auch nicht immer genau das, was Gott möchte. Suchen wir also nur intensiv genug nach diesen beiden Dingen in unserem Leben, werden wir garantiert fündig. Das wiederum wirft Fragen auf:

 

→ Zeugt nicht schon allein der Gedanke, der eigene Glaube könnte nicht stark genug sein, davon, dass er es nicht ist? Oder ist es einfach eine realistisch-demütige Sicht der Dinge, dass im eigenen Glaubensleben noch „Luft nach oben“ ist?

 

→ Deckt der „Und vergibt mir meine Schuld“-Teil des Vaterunsers womöglich doch nicht alle Sünden ab, sondern nur die, derer ich mir bewusst bin? Bleiben die anderen unvergeben?

 

→ Oder auch was viele kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen wagen: Könnte Gott womöglich zu schwach sein, um zu handeln? Oder ist es ihm schlicht und ergreifend egal, dass ich ihn brauche?

 

Durch eine solche Verkürzung auf gerade einmal zwei mögliche Gründe für nicht-erhörtes Gebet werden also massiv Zweifel befeuert: Zweifel an sich selbst – aber auch an Gottes Macht und Güte.

 

 

Beinhaltet eine Lüge einen wahren Kern, akzeptieren wir sie eher, denn an einem Kern kann man schlecht rütteln.
3. Ersetzen

Es ist bei unerhörten Gebeten also sinnvoll, noch andere Aspekte in Betracht zu ziehen. Hier eine kleine Auswahl:

 

1. Gebet ist kein frommer Wunschautomat, in den man bildlich gesprochen ein Gebet einwirft, um dann zu bekommen, was man will. Gott ist kein Spielball in der Hand eines Menschen. Es ist sehr gut möglich, dass er andere, weitaus bessere Pläne hat, die aber nicht mit unseren Wünschen übereinzubringen sind. Doch Gott sieht weiter als wir. Selbst Jesus musste kurz vor seinem Tod erleben, dass sein Wunsch, nicht am Kreuz sterben zu müssen, von Gott nicht erfüllt wurde. In seinem Gebet ergänzt er seine Bitte um einen wichtigen Zusatz: „… nicht mein Wille, sondern deiner.“

 

2. Auch „schwache“ Gebete werden erhört. Die Bibel berichtet an mehreren Stellen davon, dass auch Gebete von Menschen erhört wurden, die keine Glaubens-Helden waren. Wenn es heißt, dass Jesus in eine Gegend kam und alle heilte, kann man realistisch betrachtet davon ausgehen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass alle Geheilten über jeden Zweifel sowie jede Sünde erhaben waren. Viele kamen sogar erst danach zum Glauben.

 

3. Wir leben in einer unperfekten Welt, in der vieles nicht mehr so ist, wie Gott es ursprünglich gedacht hatte: Leid, Krieg, Krankheit und Tod gehörten nicht zu Gottes Plan für unser Leben; doch unsere Abkehr von Gott, der Sündenfall, hat alle Vorzeichen verändert. Dass die Welt so ist, wie sie ist, bedeutet aber dennoch nicht, dass Gott das gut fände oder machtlos wäre, es zu verändern. Im Gegenteil: Durch Jesus Christus hat er es bereits getan. Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, können wir lesen, wie es einmal sein wird, wenn Gott alles neu gemacht hat. Bis dahin schenken uns Gebetserhörungen einen Vorgeschmack auf das, was kommt.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Verkürzung, unerhörte Gebete auf mangelnden Glauben oder Sünde zurückzuführen, der Komplexität der Frage nach dem „Warum“ nicht gerecht wird und auch Gott nicht. Wir suchen nach für uns schlüssigen Antworten, im Idealfall nach möglichst einfachen. Aber manchmal sind die Dinge eben doch ein wenig komplexer und Gottes Gedanken und Wege übersteigen unsere.

 

4. Einüben

Was also tun, wenn ein Gebet nicht erhört wird?

 

1. Hinterfragen – und zwar sich selbst: Will ich Gott und Gebet gerade eventuell als Wunschautomat missbrauchen? Was sind meine Motive? Passt das, um das ich Gott bitte, zu ihm, seinem Wesen und Willen? Traue ich Gott überhaupt zu, dass er mein Gebet erhören kann und will? Steht etwas zwischen Gott und mir, das einer Gebetserhörung im Weg steht?

 

2. Ehrlich sein auch in Bezug auf die eigenen Gefühle – und mit Gott darüber sprechen (oder auch mit anderen Menschen seines Vertrauens). Wir dürfen Gott gegenüber ehrlich sein, ihn mit unseren Fragen, Gedanken und Gefühlen bestürmen und nach Antworten suchen. Das ist wichtig, denn tun wir es nicht, werden diese Dinge bald wie eine Mauer zwischen ihm und uns stehen. Sich diesen Themen zu stellen, ist Teil eines mündigen, erwachsenen Glaubens.

 

3. Gott die Entscheidung überlassen und darauf vertrauen, dass er den Überblick hat und weiß, was richtig ist – auch dann, wenn es einem womöglich anders vorkommt und man eine ganze Liste guter Ideen zur Hand hätte, was Gott tun könnte und sollte.

 

4. Das bedeutet auch, die Spannung aushalten zu lernen, Gottes Nicht- oder Andershandeln nicht verstehen zu können, statt es auf Biegen und Brechen erklären zu wollen. Dieses Aushalten ist oft schwerer zu ertragen, als Gott oder den Glauben in Zweifel zu ziehen. Nein, menschlich betrachtet erkenne auch ich keinen Sinn darin, dass Gott einen schwerkranken Menschen nicht heilt. Aber er wird uns seine Beweggründe irgendwann einmal erklären, da bin ich mir sicher.

 

5. Vertrauen zu Gott wächst durch gemeinsam verbrachte Zeit. Dazu gehören Dinge wie Bibellesen oder das Gespräch mit ihm. Gerade das Lesen der Bibel zeigt uns, dass Gott, auch wenn er manchmal scheinbar schweigt, alles im Blick und im Griff hat.

 

6. Ebenfalls wichtig: auf Schuldzuweisungen verzichten – und zwar gegenüber sich selbst als auch gegenüber Gott.

 

7. Lernen, von ganzem Herzen und im Vertrauen auf Gottes gute Pläne zu beten: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“

 

5. Erinnern 

Merkvers: „Dein Wille soll geschehen, nicht der meine!“ (Lukas 22,42b)

 

Nicole Sturm

ist Theologin und begleitet als psychotherapeutischer Coach (Heilpraktikerin für Psychotherapie) Menschen dabei, hinderliche Glaubenssätze aufzulösen. Mehr über sie und ihre (Online-)Coachingangebote erfahren Sie hier: www.vorwärtsleben.de

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