MINDO: Herr Gutmann, haben Sie heute schon gelacht? Immerhin leben wir gerade in einer Zeit, in der vielen so gar nicht zum Lachen zumute ist…

 

JONATHAN GUTMANN: Auf jeden Fall! Ich halte es da mit Charlie Chaplin, für den ein Tag ohne Lachen ein verlorener Tag war. Der Volksmund sagt ja, dass Lachen die beste Medizin ist. Das trifft natürlich nicht immer zu, aber es kann doch vieles erleichtern. Und darum ist es meiner Meinung nach in der heutigen Zeit besonders wichtig.

 

 

Warum tut Lachen uns eigentlich so gut?

 

GUTMANN: Beim Lachen werden in unserem Gehirn Endorphine, auch „Glückhormone“ genannt, ausgeschüttet, die für eine bessere Stimmung und ein wohliges Gefühl sorgen. Gleichzeitig wird die Ausschüttung immunschwächender Hormone reduziert. Nicht nur unsere Gedanken entspannen sich, auch unsere Muskulatur wird gelockert und besser durchblutet. Der Kreislauf sowie der Stoffwechsel werden angeregt, unsere Sauerstoffversorgung verbessert. Letzteres führt dazu, dass wir uns besser konzentrieren können. Und da das Zwerchfell beim Lachen den Darm massiert, wird sogar die Verdauung angeregt. Studien zeigen darüber hinaus eine positive Auswirkung auf unser Herz und den Blutdruck sowie die Erhöhung der Schmerztoleranz.

 

Auch auf der psychischen Ebene hat Lachen viele positive Effekte: Es wirkt entlastend und befreiend, lenkt ab und schafft Distanz. Das ist vor allem beim Umgang mit stressigen Situationen hilfreich. Lachen kann Widerstände auflösen und helfen, Scham zu überwinden und Angst abzubauen, und im Rahmen der Psychohygiene und Burn-out-Prophylaxe hat es eine Ventilfunktion. Es hat also sowohl eine präventive als auch gesundheitsfördernde und -erhaltende Wirkung. Und nicht zuletzt ist es dank der Spiegelneuronen in unserem Gehirn ansteckend. Lachen verdoppelt sich, wenn man es teilt. Was sich Gott bei der Erschaffung des Menschen wohl dabei gedacht hat?

 

 

Apropos positiver Effekt: Warum sollten wir gerade in schwierigen Zeiten das Lachen nicht vergessen, sondern kultivieren?

 

GUTMANN: Hier ist es mir wichtig, zwischen Lachen und Humor zu unterscheiden. Lachen ist eine Begleiterscheinung des Humors. Der österreichische Psychiater und Begründer der Logotherapie, Viktor Frankl, hat den Humor einmal als Waffe der Seele im Kampf um ihre Selbsterhaltung bezeichnet. Und wer könnte das besser verdeutlichen als Frankl, der das Konzentrationslager erlebt und überlebt hat! Er hat einmal beschrieben, wie er und andere Häftlinge im Konzentrationslager begannen, sich Witze zu erzählen. Dabei wird das interessante Phänomen deutlich, dass Humor scheinbar Kontrolle in unkontrollierbare Situationen bringen kann. Humor ist also, wenn man „trotzdem“, vielleicht sogar „trotzig“ lacht. Humor hilft uns, um mit Frankl zu sprechen, trotz schwieriger Umstände Ja zum Leben zu sagen. Schließlich ist das Leben ein Geschenk, das wir nur einmal erhalten. Wie wir es nutzen, hängt von uns selbst ab.

Lachen hat viele positive Effekte: Es wirkt entlastend und befreiend, lenkt ab und schafft Distanz, kann Widerstände auflösen und helfen, Scham zu überwinden und Angst abzubauen.

Sie sind Fachpfleger für Psychiatrische Pflege und setzen Humor gern auch im therapeutischen Umfeld ein. Was bewirkt das in Menschen mit psychischen Erkrankungen?

 

GUTMANN: Im Arbeitskontext wird auch von „therapeutischem Humor“ gesprochen. Humor kann einerseits als Haltung verstanden werden, andererseits aber auch als Interventionsmöglichkeit eingesetzt werden. Zentral ist dabei, dass der Einsatz immer darauf abzielt, etwas Positives auf dem Genesungsweg des Gegenübers anzustoßen.

Vor allem kann Humor bei psychischen Störungen im Blick auf häufig sehr festgefahrene Denkweisen und Perspektiven wahre Wunder bewirken. Wir sprechen hier von „Reframing“, das heißt, es wird versucht, durch Humor Sichtweisen und Situationen einen anderen Rahmen zu geben. Viele Menschen sind zunächst erstaunt, wenn sie hören, dass auch in der Psychiatrie viel gelacht wird. Aber gerade dort, wo es um Lebenskrisen, schwere Themen, Ängste und Sorgen geht, muss es immer auch eine gewisse Leichtigkeit als Gegenpol geben. Humor und Lachen gehören zum Leben und daher ist manchmal auch ein Ziel der Behandlung, dass beispielsweise Menschen mit Depressionen wieder heiterer durchs Leben gehen können. Wichtig ist hierbei aber das Bewusstsein dafür, dass bestimmte Symptome psychischer Störungen die Humorfähigkeit und das Humorverständnis beeinflussen können. Kulturelle Hintergründe zu kennen und zu berücksichtigen ist ebenfalls wichtig, denn je nach Kultur ist Lachen nicht immer positiv besetzt, weil es auch missbraucht werden kann.

 

 

Nun ist auch jenseits von einer Erkrankung nicht jeder von Haus aus eine Frohnatur. Kann man Humor, kann man Lachen und Freude einüben?

 

GUTMANN: Wie viele Forscher gehe auch ich davon aus, dass in jedem Menschen von Geburt an ein Sinn für Humor angelegt ist. Man könnte also sagen: Humor ist ein Geschenk Gottes. Wie sich dieser entwickelt, hängt aber stets von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von genetischen Dispositionen, kulturellen und religiösen Prägungen, der Sozialisation allgemein, aber auch dem Gesundheitszustand oder der aktuellen Lebenssituation. Wir befinden uns auf einem Kontinuum und bewegen uns dabei immer zwischen „keinem Sinn für Humor“ und einem „stark ausgeprägten Sinn für Humor“. Das Schöne daran ist, dass wir immer ein Stück weit selbst entscheiden können, wo wir uns auf dem Kontinuum befinden. Also ja, die Humorfähigkeit lässt sich trainieren – wie auch Lachen, Freude und Dankbarkeit. Der römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel hat einmal gesagt: „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farben der Gedanken an.“ Es kommt also darauf an, wie wir unsere Seele füttern und wie wir unseren Sinn für Humor nähren, damit er wie ein Muskel entweder wächst oder aber verkümmert. Fangen wir also am besten gleich heute an, in den Spiegel hineinzulachen, und wir werden sehen: Er lacht zurück!

 

 

Sie haben ein Buch mit dem Titel „Ha-ha-hallelujah: Mit Humor und Heiterkeit zu mehr Gelassenheit im Glauben“ geschrieben. War Jesus humorvoll?

 

GUTMANN: Zunächst ist sicher wichtig zu wissen, dass die Vorstellung des Humors, wie wir ihn heute verstehen, erst viel später entstanden ist. In der Bibel gibt es keine Stelle, die explizit besagt, dass Jesus Humor hatte. Doch wer auch zwischen den Zeilen liest, wird wohl zu dem Schluss kommen, dass er humorvoll gewesen sein muss. Jesus spricht sehr oft in Gleichnissen, in denen sein Humor immer wieder in bildhafter Sprache aufblitzt, zum Beispiel, wenn er vom Balken und Splitter spricht, dem Kamel und dem Nadelöhr, oder dem Haus, das auf Sand gebaut ist und einige weitere. Hier führt der Humor zu dem bereits erwähnten Perspektivwechsel. Jesus scheint ein Meister des humorvollen Perspektivwechsels gewesen zu sein.

Gerade dort, wo es um Lebenskrisen, schwere Themen, Ängste und Sorgen geht, muss es immer auch eine gewisse Leichtigkeit als Gegenpol geben.

Und wie ist es bei seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern um die Gabe des Humors bestellt?

 

GUTMANN: Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Christen sind Menschen und Menschen sind bekanntermaßen sehr unterschiedlich. Interessant ist jedoch, dass das Evangelium, was ja übersetzt „Frohe Botschaft“ heißt, leider oft so überhaupt nicht fröhlich verkündet wird und bei weitem nicht alle Christinnen und Christen freudig und beschwingt durchs Leben gehen, obwohl sie eigentlich allen Grund dazu hätten. Auch was das Verständnis für Humor und Witze angeht, gibt es unterschiedliche Ansichten. Ich habe mich im Buch an manchen Stellen etwas schwergetan, abzuschätzen, welche Witze man machen kann und welche man besser nicht hineinpackt. Ich persönlich fände es schön, wenn wir hier eine gewisse Offenheit und Toleranz hätten, die ich leider nicht in allen christlichen Kreisen verspüre.

 

 

Woran liegt es, dass manche sich hier eher schwertun?

 

GUTMANN: Ich glaube, dass viel an der (religiösen) Prägung und den Glaubenssätzen liegt, die wir mitbekommen haben. Das christliche Comedy-Duo „Superzwei“ hat dies in einem ihrer Songs passend beschrieben: „Christen müssen artig sein, keine Party, keinen Wein. Ein Bein das sich zum Tanze regt, das wird im Himmel abgesägt.“ Die entscheidende Frage ist ja, was wir unter Humor verstehen und welche Eigenschaften wir ihm zuordnen. Wer vielleicht als Kind oder Jugendlicher erlebt hat, dass er mit (scheinbarem) Humor verspottet oder gemobbt wurde, ordnet Humor und Lachen womöglich negativ ein. Diese Erfahrungen können sich in unser Gehirn einbrennen und führen zu Narben auf der Seele und einer entsprechend negativen Denkweise. Aber das muss nicht so bleiben, denn die neuronalen Strukturen in unserem Gehirn können umgebaut werden, wir sprechen hier von „neuronaler Plastizität“. Dabei lernen wir, dass Humor auch andere Seiten hat, die positiv genutzt werden können und die hilfreich für die Lebens- und Beziehungsgestaltung sein können.

 

Schwierig kann es auch werden, wenn die Bibel sehr buchstabentreu gelesen wird. Ich bin der Meinung, dass sie die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen widerspiegelt und uns wichtige Impulse liefert, aber auch in den richtigen Kontext eingeordnet werden sollte. Ich glaube, dass sie uns dabei helfen soll, ein gutes, glückliches, fröhliches und zufriedenes Leben zu führen. Ob Christinnen und Christen, die scheinbar ohne Humor und Lachen auskommen, dies ernsthaft von sich behaupten können, wage ich zu bezweifeln.

Humor und Lachen sind in der Tat ernste Angelegenheiten, die wir immer noch nicht ernst genug zu nehmen scheinen.

Der irische Schriftsteller C. S. Lewis sagte einmal, dass Freude im Himmel eine „ernstzunehmende Angelegenheit“ sei. Wie also können wie sie in unserem Leben kultivieren?

 

GUTMANN: So paradox es klingen mag, aber Humor und Lachen sind in der Tat ernste Angelegenheiten, die wir immer noch nicht ernst genug zu nehmen scheinen. Es ist immer wichtig, bei sich selbst anzufangen, sich zu fragen, wie glücklich und zufrieden man mit seinem Leben ist und was man gegebenenfalls tun kann, um es zum Positiven zu verändern.

 

In meiner Arbeit in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik erlebe ich täglich, wie wichtig Selbst- und Fremdreflexion sind. Manche Denkweisen werden als selbstverständlich hingenommen, weil man sie von Kindesbeinen an eingetrichtert bekommen hat. Es kann dann durchaus schwierig und oft auch schmerzhaft sein, zu erkennen, dass die jahrelang geglaubten Thesen vielleicht doch nicht die einzige Wahrheit sind. Andererseits kann es anschließend auch äußerst befreiend wirken. Deshalb kann ich persönlich nur jedem zu einer offenen, flexiblen und kritisch-hinterfragenden Denkweise raten.

 

Freude ist nicht nur im Himmel, sondern auch bereits auf der Erde eine ernstzunehmende Angelegenheit. Wir sollten uns bereits jetzt am Leben und an Gott erfreuen, den Glauben als etwas Befreiendes und nicht als etwas Knechtendes erleben. Das scheint aber noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. Ob Gott im Himmel darüber lacht oder weint, wäre eine andere spannende Frage…

 

 

Inwieweit wirkt sich eine gute Portion Humor gesund auf unseren Glauben aus?

 

GUTMANN: Von Martin Luther stammt der Satz: „Wenn Gott keinen Spaß verstünde, so möchte ich nicht im Himmel sein.“ Humor kann uns dabei helfen, das Leben und uns selbst nicht so ernst zu nehmen. Er kann bedrohliche Situationen und Gedanken aufweichen und unser Gottesbild positiv verändern. Die Perspektive kann von einem strafenden Gott, vor dem man Angst haben muss, zu einem liebenden Gott gelenkt werden, der will, dass wir glücklich sind. Humor bringt automatisch eine gewisse Leichtigkeit mit sich, die manchen Christen in ihrem Leben zu fehlen scheint. Wenn Glaube jedoch nur dogmatisch ist, brauchen wir uns nicht über steigende Kirchenaustritte wundern. Glaube muss lebendig sein! Können Sie sich ein Leben ohne Freude, Humor und Lachen vorstellen? Ich kann und will mir weder ein Leben noch den christlichen Glauben ohne diese tragenden Säulen ausmalen.

 

 

Also ist Lachen ein gutes Zeugnis für den Glauben?

 

GUTMANN: Unbedingt! Es heißt, dass ein Lächeln die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott möchte, dass wir ein frohes Leben führen. Wenn wir stattdessen ständig nur mit griesgrämigen Mienen durchs Leben gehen, wirkt das sicher nicht sehr einladend. Beim Glauben ist es wie im Leben überhaupt: Wenn uns Menschen mit einer freundlichen Art und einem Lächeln auf den Lippen begegnen, finden wir sie gleich viel sympathischer und kommen gerne mit ihnen in Kontakt.
Christen müssen Spaß am und im Leben haben, nur so können sie ein gutes Zeugnis für den christlichen Glauben geben. Wer Spaß am Leben hat, der lacht auch öfter und ich bin mir sicher, dass das im Sinne Gottes ist, dem Erfinders des Lachens.

 

 

Ergänzen Sie zum Abschluss bitte folgenden Satz: „Christen haben gut lachen, weil …“

 

GUTMANN: … sie das Leben nicht zu ernst nehmen sollten, da sie eh nicht lebend herauskommen! Und weil sie wissen: Das Beste kommt erst noch!

 

Herr Gutmann, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

 

 

 

Jonathan Gutmann

ist Fachpfleger für Psychiatrische Pflege. Er arbeitet auf einer akutpsychiatrischen Station und im Bereich Qualitätssicherung und Pflegeentwicklung in der „DGD Klinik Hohe Mark“ in Oberursel.

Darüber hinaus ist er Fachbuchautor, Burn-out-Berater und Stressbewältigungstrainer. Sein Buch „Ha-ha-hallelujah, heiter und gläubig – Mit Humor und Heiterkeit zu mehr Gelassenheit im Glauben“ ist bei Francke-Buch (Marburg) erschienen.

 

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