Im vergangenen Jahr musste ich einiges loslassen, was mir wichtig und wertvoll war, und ich erahnte eine Traurigkeit in mir, die ich selbst kaum fassen konnte. Ich versuchte sie wegzuschieben, aber ich erlebte mich emotional dünnhäutig. Und manchmal fühlte es sich an, als wäre ein großer unterirdischer See voller Tränen tief in mir verborgen.
Vom Verlieren und Trauern
Wenn wir etwas verlieren, das uns wichtig ist, dann trauern wir. Das kann – wie in meinem Fall durch unseren Umzug bedingt – eine Vielzahl an Verlusten sein. Oder in einem anderen Fall eine zerbrochene Beziehung sein, in der unser Vertrauen gebrochen wurde oder wir verletzt worden sind.
Verändert sich plötzlich die gute Beziehung zu unseren Kindern und wir müssen ohnmächtig erkennen, dass wir keinen Zugang mehr zu ihnen haben, verlieren wir die, die uns am Herzen liegen.
Wir trauern, wenn wir einsam sind, unsere Kontrolle verlieren, unsere Gesundheit gefährdet ist, Träume platzen und wenn wir an uns selbst verzweifeln oder scheitern und alle Hoffnung schwindet. Der aktuelle Blick aufs Weltgeschehen, macht uns ebenfalls deutlich, was wir gerade verlieren: Kriege und die politischen Krisen können uns unsicher und hoffnungslos machen.
Wenn wir etwas verlieren, das uns wichtig ist, dann trauern wir. Der eine erlebt große Traurigkeit oder auch Angst, ein anderer drückt sich durch Wut und Aggression aus. Egal wie es sich äußert: In unserer Angst, unserer Traurigkeit und vielleicht auch unserer Wut brauchen wir Trost – denn Trauer braucht Trost.
NACHGEFRAGT
Wo brauche ich heute Trost?
Was ist eigentlich Trost?
Trost geschieht immer in der Interaktion mit einem Gegenüber. Wir selbst können uns nicht trösten. Wahrer Trost kann nur von außen kommen. Wenn mir meine Tochter am Abend beim Ins-Bett-Gehen von ihren Sorgen und Ängsten erzählt, dann weiß ich, was ihr hilft: Ich höre ihr aufmerksam zu, nehme ihre Ängste ernst, zeige ihr, dass sie nicht allein ist und halte sie fest. Das tröstet sie und stillt ihre Angst. Sie erlebt: Ich bin gehalten.
Den Wortstamm teilt sich das Wort „Trost“ mit „treu“, weshalb es als ein Empfinden von Festigkeit, als ein Festgehalten-Sein verstanden werden kann. Wir erleben und spüren: Wir sind nicht allein. Wir sind gesehen, werden verstanden und ernstgenommen. Wir sind sicher und werden nicht weiter verletzt. Dabei kann Trost ganz unterschiedlich geschehen: durch wertschätzende Worte, liebevolle Gesten oder respektvolle Berührung.
Vertröstung oder Trost?
Es gibt einen großen Unterschied, zwischen Trost und Vertrösten. Vertrösten will dem Schmerz, dem Verlust und der Traurigkeit nicht begegnen. Vertröstung will mit dem Schmerz nichts zu tun haben, will ihn zudecken oder kleinmachen, um schnellstmöglich wieder „alles gut“ zu haben. Letztendlich will und kann sie den Menschen nicht annehmen, wie er gerade in seiner Trauer ist.
Vertrösten will dem Schmerz, dem Verlust und der Traurigkeit nicht begegnen. Trost begegnet jedoch dem Schmerz und hält ihn aus.
Trost begegnet jedoch dem Schmerz und kann ihn aushalten. Manchmal auch schweigend. Wer uns tröstet, gibt uns Raum, sein zu dürfen, wie wir sind – mit allem Fröhlichem und allem Traurigen – und Zeit, uns auch nicht gleich wieder beruhigen zu müssen. Tränen dürfen sein. Wer tröstet, hält beides aus, bleibt an unserer Seite und lässt er uns respektvoll wieder los, wenn wir getröstet sind.
Trost beginnt bei uns selbst
Und das beginnt schon bei uns selbst. Trost kann dort beginnen, wo wir den Mut haben, uns selbst und unsere eigenen Verluste wahrzunehmen. Wenn wir anfangen, zu benennen, was uns verlorengegangen ist und wahrnehmen, welche Traurigkeit, Angst, Wut oder Schmerz in uns steckt. Trost kann dort beginnen, wo wir uns selbst ernstnehmen und nicht länger wegschieben, was in uns schlummert.
NACHGEFRAGT
Was macht mir eigentlich Angst?
Was bereitet mir Sorge?
Was macht mich wütend?
Trauer und Angst, die in uns gären, können uns krankmachen und uns und unsere Beziehungen belasten. Sie wegzuschieben, nicht ernstzunehmen, für nicht so wichtig zu erachten oder uns abzulenken, macht uns unter Umständen am Ende entweder aggressiv, weil wir unsere Traurigkeit nach außen verlagern oder depressiv, wenn wir sie in uns hineinfressen.
Mir persönlich hat geholfen, mir einmal Raum zu geben und wahrzunehmen, welche Not in mir steckt. Mir hat es geholfen, die Dinge zu notieren, die ich verloren habe und mir bewusst darüber zu werden, wieviel Veränderung ich gerade in meinem Leben zu bewältigen hatte. Das alles einmal schwarz auf weiß vor mir zu sehen, schenkte mir eine Ahnung davon, warum ich diese Traurigkeit in mir trug und ließ sie angesichts meiner Verluste plötzlich sehr berechtigt scheinen.
Der erste Schritt der Veränderung ist eine gute Selbstwahrnehmung – wenn wir beginnen, auf das zu hören, was uns sorgt, und annehmen, was uns traurig macht. Denn nur das, was ich annehme, was ich in die Hand nehme, kann ich auch verändern.
NACHGEFRAGT
Wie leicht oder schwer fällt es mir, mich selbst wahrzunehmen?
Kann ich benennen, was ich verloren habe?
Der Gott des Trostes
Gott stellt sich uns in der Bibel als „Gott allen Trostes“ vor. Trost ist sein Wesen: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis.“ (2. Korinther 1,3+4)
Jesus, der selbst Leid erlebt hat, schreckt vor unserer Traurigkeit und unserem Schmerz nicht zurück. Er weiß selbst, wie trostlos es sich anfühlt, als er am Tiefpunkt seines Lebens erlebte, dass niemand an seiner Seite war. Erst ließen ihn seine engsten Freunde im Stich und später rief er verzweifelt aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Als Jesus diese Welt verlässt, sendet Gott seinen Heiligen Geist, der auch „Tröster“ genannt wird (Johannes 14,16), damit wir nicht das Gleiche erleben müssen, sondern in den Herausforderungen unseres Lebens spüren: Wir sind nicht allein – Gott hat uns nicht verlassen!
„Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, verspricht er uns in Jesaja 66,13 und sein Versprechen gilt uns noch heute. So wie ich mein Kind am Abend tröste, es liebevoll anschaue und zuhöre, so nimmt er uns ernst, ganz egal, wie banal uns unser Leiden auch vorkommt. Er nimmt uns wahr, bleibt treu an unserer Seite und gibt uns Halt.
NACHGEFRAGT
Hast du dem „Gott allen Trostes“ schon einmal gesagt: „Bitte tröste mich, so wie du es versprochen hast!“?
Gott wird Wege und Möglichkeiten finden, uns seinen Trost spüren zu lassen. Er ist der lebendige Gott, der erlebbar ist. Vielleicht ist es der Moment, in dem wir die Bibel aufschlagen und uns ein Wort besonders anspricht und tröstet. Es könnte der Augenblick sein, in dem wir unseren Tränen freien Lauf lassen. Oder ein Lied, das in unserer Seele etwas berührt und durch das wir Trost und neue Hoffnung erfahren. Gottes Sprache ist vielfältig und kreativ. Und gar nicht selten wirkt er auch durch Menschen, die uns Trost schenken durch ihr Dasein, durch ihr Mitgefühl und ihre Wertschätzung und ihre Liebe. Oder auch durch eine Umarmung, die uns plötzlich geschenkt wird.
Hier am Dünenhof, wo ich arbeite, erleben wir, dass es bestimmte Orte gibt – vielleicht Orte des Trostes – die uns einen Rahmen geben, in dem wir Gott, dem Tröster, begegnen dürfen. Hier kommen Menschen her, die Herausforderungen und Traurigkeit kennen und sie gehen verändert wieder fort, getröstet oder umfriedet.
Menschen, die Trost erleben, werden zu Tröstern. Die, die Leid und Herausforderungen erfahren und mit sich selbst offen und ehrlich werden, können denen Trost schenken, die noch hoffnungslos oder ängstlich sind.
Ich erzähle Gott immer wieder, wie es mir gerade geht mit all dem, was ich verloren habe und täglich auch immer wieder neu verliere. Ich brauche es, dass ich mir immer wieder die Zeit nehme und dem Tröster begegne. Eine Zeit, in der ich schon so manche Träne vergossen habe, weil sie hier Raum haben. Ich erlebe, dass er diesen Weg des Trostes mit mir geht. Es gibt Momente, in denen ich Hoffnung erlebe, weil sich neue Türen öffnen oder Sorgen sich beruhigen. Und an den anderen Tagen bitte ich ihn weiterhin: „Gott, tröste mich! Wenn nicht du, der du der Trost bist, wer dann?“