Astrid Lindgren hat viele wunderbare Sachen geschrieben und gesagt. Über Kinder und das Leben, über Freiheit und Mut, und – obwohl sie den Glauben insgesamt eher kritisch sah – gar nicht so selten auch über Gott. Eins ihrer weisesten und ohne Zweifel mein liebstes Zitat von ihr aber ist dieses: „Man kann nichts in Kinder hineinprügeln, aber vieles aus ihnen herausstreicheln.“
Je länger ich die Jahreslosung 2024 betrachte, desto stärker drängt sich mir der Gedanke auf, dass Paulus womöglich etwas ganz Ähnliches sagen wollte, als er schrieb: „Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen.“ (1. Korinther 16,14)
Ich kenne tatsächlich keinen Menschen, kein Kind und keinen Erwachsenen, den man je zur Besserung geprügelt hätte, weder mit Worten noch mit Ohrfeigen – egal für wie notwendig es erachtet wurde oder wie gut es gemeint war. Aber ich weiß von Unzähligen, die durch die Berührung der Liebe zu neuen Menschen wurden.
Womit ich schon im Zentrum meines Problems mit der diesjährigen Jahreslosung angekommen wäre. Denn wenn ich mich so umschaue in meinem Herzen, meinen Gedanken, innersten Wünschen und Selbstgesprächen, muss ich mir eingestehen: Ich kann es nicht – lieben! Jedenfalls nicht so richtig und schon gar nicht in allem, was ich tue. Weder meine Familie und Freunde so wie sie es bräuchten und verdienten, noch die, die so ganz anders sind, als ich sie mir wünsche und die mir so gar nicht liegen – und schon gar nicht die, die mir feind sind!
Und es kommt noch schlimmer: Keiner merkt es – oft nicht einmal ich! Denn ich kann vieles tun oder sagen, das nach Liebe aussieht und klingt – Gutes und Richtiges und Wichtiges und das mit Engelszungen und Weisheit und manchmal sogar mit bergeversetzendem Glauben –, und doch keine Liebe haben!
Ich kann vieles sagen oder tun, das nach Liebe klingt und aussieht – und doch keine Liebe haben!
Sich selbst und anderen kann man vielleicht etwas vormachen, manchmal sogar ein Leben lang. Doch Gott, der die Liebe ist, hat den Standard längst verkündet. Zur Erinnerung:
„Die Liebe ist geduldig und freundlich.
Sie ist nicht neidisch oder überheblich,
stolz oder anstößig.
Die Liebe ist nicht selbstsüchtig.
Sie lässt sich nicht reizen,
und wenn man ihr Böses tut, trägt sie es nicht nach.
Sie freut sich niemals über Ungerechtigkeit,
sondern sie freut sich immer an der Wahrheit.
Die Liebe erträgt alles,
verliert nie den Glauben,
bewahrt stets die Hoffnung
und bleibt bestehen, was auch geschieht.“
(1. Korinther 13,4–7, NLB)
Gottes Vorstellung von Liebe ist überwältigend, ernüchternd und erlösend zugleich. Und so rufe ich, weil ich nicht anders kann: „Herr, ich will lieben – hilf meiner Lieblosigkeit!“ Denn ich weiß: Solche Liebe kann ich nicht machen, solche Liebe muss ich mir schenken lassen. Wobei der erste Schritt wohlmöglich der schwierigste ist: zuallererst auch für mich selbst.
Und das ist beileibe keine Nebensache. Denn wirklich zu glauben, dass Gott mich liebt – unermesslich tief und weit und niemals endend –, ist der Anfang all meiner Liebe für andere.
Von Gottes Liebe zu reden und zu schreiben und zu singen, ist eine Sache. Ihr mit meinem ganzen Leben zu vertrauen, eine völlig andere.
Als Jesus am letzten Abend vor seiner Kreuzigung die Füße seiner Jünger wusch, heißt es, dass er dies in dem Bewusstsein tat, „dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehren würde.“ (Johannes 13,3) Jesus war frei zu dienen und zu lieben, nicht nur, weil er wusste, wer er war, sondern vor allem weil er wusste, dass er vom Vater geliebt wurde. Von Gottes Liebe zu reden und zu schreiben und zu singen, ist eine Sache. Ihr mit meinem ganzen Leben zu vertrauen und mich dann loszulassen, eine völlig andere.
„Furcht ist nicht in der Liebe“, schrieb der Apostel Johannes in seinem ersten Brief. Und ich bekomme eine Ahnung davon, wie Gott sich unser Leben gedacht hat: Frei von der Angst, nicht gehalten zu sein. Frei von der Angst, zu kurz zu kommen. Frei von der Sorge, übersehen, übervorteilt und ausgenutzt zu werden. Frei, Liebe zu empfangen und weiterzugeben – verschwenderisch, mit beiden Händen, ohne Rückhalt, ohne Berechnung.
Was, wenn wir glaubten, dass wir geborgen sind?
Was, wenn wir der Furcht eine Absage erteilten?
Was, wenn wir frei wären, zu lieben?
„Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen“ – ich hänge mein Herz daran, dass Gott es in uns schafft. Unsere Welt stünde Kopf!
SABINE MÜLLER
leitet die Redaktion von MINDO.
2 Kommentare
Da sind wertvolle Gedanken dabei, die ich mir mitnehme. Danke.
Auf diesen Kommentar antwortenDanke! :-)
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