Meine erste Panikattacke hat mich kalt erwischt! Das geht übrigens jedem so. Denn Panikattacken lassen sich nicht planen und nicht steuern. Jedenfalls nicht die erste. Aber wir können von ihr lernen, wie sie so ist, unsere persönliche Panik, und beim nächsten Mal anders mit ihr umgehen.

 

Natürlich denke ich nicht gerne an meine Panik. Denn wie der Name schon sagt, äußert sie sich als Attacke. Sie schleudert etwas nach außen, was unser System schon lange belastet. Zu lange. Im Grunde ist eine Panikattacke so etwas wie Fieber. Unser seelisches Immunsystem schlägt Alarm. Wir fühlen uns angegriffen. Wie im Krieg – mit uns selbst!

 

Vielleicht haben wir bisher versucht, so gut es geht, durch eine Krise zu kommen. Es kann aber auch sein, dass uns nicht bewusst war, in welcher Abwärtsspirale wir uns schon länger befanden. Dass die Krise schleichend kam. Vielleicht leben wir seit Jahren in einem miesen System. Einem Beziehungsgeflecht, das uns austrocknet. Einem Job, der immer mehr von uns nimmt, bis kaum was von uns übrigbleibt. Die Folgen sind immer dieselben: Unser seelisches Immunsystem erklärt uns den Krieg. Allerdings nicht uns, sondern den Umständen, in denen wir leben.

 

Keine Angst vor der Angst

Panikattacken können sich unterschiedlich äußern. Meine hat mich einfach zu Boden geworfen und mir die Luft geraubt. Mir einen riesigen Herzschmerz bereitet. Nicht selten wird eine Panikattacke deshalb auch mit einem Herzinfarkt verwechselt. Sie hat mich zum Schwitzen, Zittern und schließlich Frieren gebracht. Danach war ich erschöpft wie nach einer Grippe.

 

Die Symptome können aber variieren. Manche hören laute Töne oder gar nichts mehr oder nur noch ein Rauschen. Anderen wird schwarz vor Augen. Sie haben Muskelkrämpfe oder stechende Kopfschmerzen. Sie bekommen aus dem Nichts Herzrasen, Schwindelgefühle, zittrige Knie oder ihnen wird übel – zu Hause, aber auch im Supermarkt, im Fahrstuhl oder beim Autofahren. Alles nicht schön. Angst einflößend.

 

Und genau das ist das eigentliche Problem: Denn wer einmal eine Panikattacke hatte, fühlt sich davon so überrumpelt und hilflos, dass er oft Angst hat, wieder eine zu bekommen. Was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass genau das passiert. Weil die Angst vor der Angst unser System wieder überlastet und zu einer weiteren Attacke führt.

Panikattacken sind so individuell wie wir. Nicht alles hilft bei jedem. Wir müssen erst herausfinden, was uns guttut.

Was können wir also tun, um diesen Kreislauf zu unterbrechen? Als erstes: Die Panik akzeptieren, als das, was sie ist: Ein Warnsignal. Etwas in unserem Leben ist überhaupt nicht in Ordnung. Und es liegt an uns, das zu ändern. Denn damit nehmen wir der Panikattacke ihren Nährboden.

 

Die Panik annehmen

Meine erste Panikattacke kam zu einem Zeitpunkt nach dem Suizid meines Mannes, als ich gerade erfahren hatte, dass er uns hoch verschuldet hatte, und meine Eltern nach Hause gefahren waren. Sie wohnen 300 Kilometer entfernt. Ich war allein mit meiner damals dreijährigen Tochter. Und hatte keine Ahnung, wie ich das überleben sollte. Wirklich keine.

 

Die Panik kroch mit einem heißen Kribbeln an mir herauf und ließ mich stockend atmen. Als psychologische Beraterin wusste ich in der Theorie, was das heißt, und habe schnell eine Freundin angerufen, die sich um meine Tochter gekümmert hat. Ein Freund hat mich dann per Sprachnachrichten und Atemtechniken durch die Attacke begleitet.

 

Dass ich sie früh genug erkannt hatte und nicht allein war, hat mir zwar geholfen. Trotzdem bekam ich Angst, dass sie wiederkommt. Denn an der Situation konnte ich nicht viel ändern. Mein Mann war weiterhin tot, die Schulden hoch, ich alleine mit meiner Tochter. Wäre es ein zerstörerischer Job oder eine miese Ehe gewesen, hätte ich vielleicht handeln können. Denn das ist die erste Aufgabe nach einer Attacke: Zu überlegen, was das System überlastet und es zu ändern.

Was aber, wenn das (noch) nicht geht? Soll ich mich also weiterhin hilflos den Attacken der Panik ausliefern? Nein, denn wir sind nie komplett hilflos, auch wenn es sich so anfühlt. Wenn ich die Ursachen noch nicht ändern kann, kann ich lernen, die Panikattacke besser kennenzulernen. Und sie zu akzeptieren – wie ein Fieber. Ich kann mir sagen: „Es ist okay. Es ist normal, dass ich Panik habe. Sie ist das Fieber meiner Seele. Der Stress, die Überanstrengung ist zu viel. Sie muss raus!“ Aber auch: „Sie hält nicht ewig. Ich werde nicht daran sterben – auch wenn es sich so anfühlt. Sie geht vorbei!“ Und auch: „Ich kann sie steuern lernen.“

 

 Foto: iStock.com | fizkes

Foto: iStock.com | fizkes

Auf die Attacke parieren

Wir befinden uns also im Schützengraben und werden von der Panikattacke angegriffen. Wir waren hier schon einmal. Und wir haben es überlebt – und werden es wieder überleben. Wir können uns vorbereiten und üben. Wir können

1. Einen äußerlich sicheren Ort suchen

Wir können uns ganz klein machen und Kontakt zum Boden herstellen. Bei meiner zweiten Panikattacke spürte ich, dass sie gleich kommt – und habe mich in einem ruhigen Raum zurückgezogen, in einer Ecke, die sich für mich sicher angefühlt hat, habe mich auf den Boden gelegt, die Augen geschlossen und eine Decke über mich gezogen.

 

2. Atmen und unseren Rhythmus finden

Wir können uns selbst beruhigen und uns sagen: „Das ist okay, du wirst weiteratmen.“ Wir können einen Satz nutzen, der sich für uns stimmig anfühlt und uns durch die Attacke begleitet. Wir können gezieltes Atmen üben: Langsam und tief ein- und ausatmen. Immer im selben Rhythmus, mit kurzem Luftanhalten, bis sich der Atem beruhigt. Bis drei oder vier zählen oder der innere Satz können uns dabei unterstützen.

 

3. Abschalten und einen inneren Ort schaffen

Wenn wir außen keinen sicheren Ort aufsuchen können, können wir uns einen Inneren erschaffen. In unserer Vorstellungskraft. Das lässt sich vorher üben. Im Gebet. In Meditationen. Bei Gott. Wir blenden äußere Reize aus, schließen Augen und Ohren, und versuchen uns nur auf den sicheren Ort zu konzentrieren. Wer nicht imaginieren kann, kann seinen Blick auch auf einen festen Punkt im Raum richten.

 

4. Körperlich reagieren

Da unser Körper auf die seelische Überlastung mit Panik reagiert, können wir die Seele auch über den Körper beruhigen: Unser Gesicht in kaltes Wasser zu tauchen oder ein Kühlpad im Nacken können uns helfen, unseren aufgewühlten Körper herunterzufahren. Ätherische Öle wie Lavendel zur Beruhigung oder Orange für Aufheiterung können einen Geruchsgegenpol bilden. Wenn wir spüren, dass die Attacke kommt, können wir aufstehen oder unseren Oberkörper aufrichten, um uns zu wappnen. Wir können uns bewegen und auf diese Weise die Attacke sprichwörtlich „weg laufen“. Oder wenn das nicht hilft, können wir auch den Kopf zwischen die Knie legen und uns klein machen – damit sie schneller vorüberzieht.

Panikattacken öffentlich machen

Wir sind also alles andere als hilflos. Wir können reagieren. Und wir können uns Hilfe holen. Panikattacken zu ignorieren, macht sie in aller Regel schlimmer und erhöht die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung. Sie haben ihren Sinn. Wenn wir das akzeptieren und unserer Familie und Freunden erklären, nehmen wir ihr den Schrecken. Dann fühlen sich auch Familienmitglieder sicherer und wissen, was sie tun können.

 

Panikattacken sind so individuell wie wir. Nicht alles hilft bei jedem. Wir müssen erst herausfinden, was uns guttut. Klar ist aber: Je mehr Erfahrungen wir sammeln, desto sicherer werden wir. Und umso schwächer und seltener werden die Panikattacken. Und vielleicht hilft uns diese Sicherheit, dass wir es geschafft haben mit ihnen umzugehen, auch dabei, die eigentlichen Ursachen anzupacken. Falls möglich.

 

Was wir aber immer tun können, ist: Triggerpunkte entdecken. Gemeinsam mit Menschen, zu denen wir gute Bindungen haben, können wir nach jeder Attacke überlegen: Was hat sie ausgelöst? Gibt es bestimmte Situationen, Gerüche, Geräusche, Gedanken, die das Fass zum Überlaufen bringen? Wenn ja: Wie kann ich gegensteuern?

 

Bleiben Panikattacken dauerhaft bestehen, sollten wir dies mit einem Arzt oder einer Ärztin unseres Vertrauens besprechen. Oft sind für den Ausstieg aus der Angstspirale für eine begrenzte Zeitspanne Medikamente hilfreich, begleitet von einer Verhaltenstherapie. Jeder darf hier für sich herausfinden, was ihm persönlich am besten hilft. Fest steht auf jeden Fall: Wir können eine Menge tun, um die Macht der Panik zu brechen, und uns nicht mehr so schnell umhauen zu lassen.

Nicole Schenderlein

ist gelernte Journalistin und Bildhauerin. Als Gründerin von „Blattwenden“ setzt sie sich für einen krea(k)tiven Umgang mit Suizid und Trauer ein. 

 

https://art.green-woman.de

 

https://www.blattwenden.eu

Das könnte sie auch interessieren