„Guten Tag, Frau Sommer, wie geht es Ihrem Herzen heute?“ Mit diesen Worten empfing mich der Kardiologe, der mich wegen einer Herzmuskelentzündung behandelte. Diese Begebenheit liegt über zehn Jahre zurück und ich bin bis heute dankbar, dass mein Herz keinen bleibenden Schaden davongetragen hat. Aber der Schrecken jener Erfahrung steckt mir bis heute in den Knochen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich noch heute die heimischen Treppenstufen hinaufsteigen, als ob es sich dabei um die Erklimmung des Kilimandscharos gehandelt hätte. „Schlimmer als eine alte Frau“, lautete der nüchterne Kommentar meines Ehemanns. Nicht sonderlich aufbauend, wenn man bedenkt, dass ich zu jenem Zeitpunkt noch keine fünfunddreißig war. Innerhalb kürzester Zeit hatte die Leistungsfähigkeit meines Herzens massiv nachgelassen. Die Auswirkungen im Alltag waren erschreckend.

 

Aber ich konnte in jener Zeit viel über mich und meinen Körper dazulernen. Selten war ich bei einer Ultraschalluntersuchung emotional so berührt (die Schwangerschafts-Ultraschalle unserer beiden Kinder ausgenommen) wie bei meinem ersten Herzultraschall. Der Kardiologe war äußerst zuvorkommend und nahm sich Zeit, mir zu erklären, was zu sehen war. Einmal forderte er mich auf: „Hören Sie gut hin! Das ist Ihr Herzschlag. Er ist einzigartig. Kein anderes Herz schlägt wie Ihres!“ Es hat mich seltsam angerührt, auf diese Weise Einblick in die Komplexität meines Herzens und dessen Tätigkeiten zu bekommen, die ich Tag für Tag als viel zu selbstverständlich hingenommen hatte. Am eigenen Körper zu erfahren, wie gravierend sich eine leichte Entzündung des Herzmuskels auf den Gesundheitszustand auswirkt, hat mich geprägt.

 

 

Wie geht es Ihrem Herzen?

Die Frage des Kardiologen klingt auch Jahre später in mir nach. Wie würde Ihre Antwort lauten, wenn ich Sie ganz direkt fragen würde: „Wie geht es Ihrem Herzen – in diesem Moment?“ Vielleicht würden Sie spontan erwidern, dass Sie hoffen, dass es ihm gut geht. Ein Herz-Check-up beim Arzt könnte Ihre Aussage bestätigen oder Sie eines Besseren belehren. Was unser Herz tagtäglich leistet, ist schlicht phänomenal. Als „Lebensmotor“ pumpt es pro Minute etwa fünf Liter Blut durch unseren gesamten Körper und versorgt ihn mit Sauerstoff und Nährstoffen. Und dies ein Leben lang – ohne dass wir uns Gedanken darüber machen müssten!

 

In Anbetracht dessen, dass das menschliche Herz weit mehr ist als ein mit Blut gefüllter Hohlmuskel, greift die Frage nach dem Zustand des Herzens jedoch wesentlich tiefer. Laut Bibel steht das Herz stellvertretend für das Innere eines Menschen, für sein ureigenstes Wesen. Das hebräische Wort für Herz (leb oder lebab) wird im Alten Testament oft austauschbar mit Verstand, Wille und Gefühle gebraucht. Am häufigsten wird Herz jedoch auf die Persönlichkeit eines Menschen bezogen. Im Griechischen wird übrigens das Wort kardia verwendet, von dem unter anderem der Fachbegriff „Kardiologie“ abgeleitet ist.

Wie würde Ihre Antwort lauten, wenn ich Sie ganz direkt fragen würde: „Wie geht es Ihrem Herzen – in diesem Moment?“

Etliche Bibelstellen bestätigen, dass das Herz eines Menschen sein Denken („Und David dachte in seinem Herzen …“, 1. Samuel 27,1), seinen Willen („Aber Daniel nahm sich in seinem Herzen vor …“, Daniel 1,8) und sein Reden bestimmt („Wovon das Herz erfüllt ist, das spricht der Mund aus“, Matthäus 12,34). Was in unserem Herzen ist und wie wir damit umgehen, prägt also alles an uns: unser Handeln, Denken, Fühlen, Entscheiden, unsere Identität, den Charakter, die Persönlichkeit.

 

Kein Wunder, dass die Bibel immer wieder an die Wichtigkeit des Herzens erinnert. Zum Beispiel in Sprüche 4,23 (NLB): „Vor allem aber behüte dein Herz, denn dein Herz beeinflusst dein ganzes Leben.“ Oder wie es wörtlich heißt: „… denn aus ihm sprudelt die Quelle des Lebens.“ Zudem ist der Mensch in seinem Herzen – obwohl er ein vergängliches und erdgebundenes Geschöpf ist – auf eine höhere, ewige und unsichtbare Welt angelegt.

 

Sehnsüchtige Herzen

Wieso all diese Informationen über das Herz, wenn es doch um Sehnsucht geht? Meinem Verständnis nach sind die Begriffe Herz und Sehnsucht untrennbar miteinander verbunden. Der Umgang mit Ihrer Sehnsucht trägt maßgeblich zum Zustand Ihres Herzens bei. Daher liegt es auf der Hand, im Zusammenhang mit dem Thema Sehnsucht zu fragen: „Wie geht es Ihrem Herzen, Ihrem Inneren – hier und jetzt?“

Fühlen Sie, was Ihr Herz bewegt? Erkennen Sie seine Sehnsüchte? Schlägt es noch für Themen und Menschen, die Ihnen einst auf besondere Weise am Herzen lagen? Kennen Sie seine Träume, Hoffnungen und Antreiber? Durchschauen Sie seine Ängste und Vermeidungsstrategien? Wissen Sie, was Sie davon abhalten will, mutige Schritte zu wagen?

 

Bereits die ersten Momente des Nachdenkens können aufschlussreich sein. Hier zeigt sich ziemlich schnell, ob Sie grundsätzlich Zugang zu Ihren tiefsten Gefühlen und Gedanken haben oder nicht. Dass man jene meist nicht auf Knopfdruck benennen kann, ist ganz normal. Dazu braucht es Zeit, Reflexion und etwas Übung.

Schwieriger wird es dort, wo man keinen blassen Schimmer hat und deutlich wird, dass man den Zugang zu seinem eigenen Herzen verloren hat. Weil es im Laufe der Jahre zu gefährlichen Verstopfungen und Ablagerungen gekommen ist – durch Enttäuschungen, Verletzungen, Stress, Ängste, Mutlosigkeit und vieles mehr. Die gute Nachricht lautet: Solange Ihr Herz schlägt, besteht die Möglichkeit, etwas an diesem Zustand zu ändern und schädlichen Verengungen oder einer geistlichen Herzschwäche entgegenzuwirken. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass Sie ein Leben in Fülle führen können, wie es Ihnen vom Schöpfer zugedacht ist.

 

„Behüte dein Herz!“ bedeutet, aktiv zu werden und volle Verantwortung für Ihr Leben, Ihre Gedanken, Entscheidungen und Taten zu übernehmen. So ähnlich, wie es im Hinblick auf unser organisches Herz wichtig ist – zum Beispiel durch gesunde Ernährung oder körperliche Fitness. Die Fortsetzung der Textstelle in Sprüche 4 gibt Aufschluss darüber, wie sich diese Verantwortung praktisch äußern kann: „Lüge nicht und vermeide jede Form von Betrug. Blicke stets nach vorn, richte deine Augen auf das, was vor dir liegt. Wähle den geraden Weg und halte unbeirrbar daran fest. Weiche nicht von diesem Weg ab und folge nicht dem Bösen“ (Sprüche 4,24–27; NLB).

Dort, wo Sie Ihrer Sehnsucht nachspüren und gute Wege finden, mit diesem richtungsweisenden Gefühl umzugehen, wird neues Leben durch Ihre Adern pulsieren. Dann werden Sie auf eine Weise lebendig, die Ihr Leben zu einem neuen Abenteuer macht.

 

Lebensgefährliches Weghören

Sehnsucht ist in der Tat eine Herzensangelegenheit. Dies wurde mir umso deutlicher bewusst, als ich neulich im Wartezimmer einer Arztpraxis zum Zeitvertreib in einem Buch mit dem Titel „Der Cardio-Coach: Wie Führungskräfte an Herzerkrankungen wachsen“ blätterte. Betroffen las ich von den körperlichen Konsequenzen, die eine Vernachlässigung dessen, was in unserem Herzen vor sich geht, mit sich bringen kann. Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten als Todesursache Nummer eins in der westlichen Welt. Die Zahlen für Deutschland sind alarmierend: rund 660.000 neue Herzkranke pro Jahr, darunter 210.000 Herzinfarkte. Die Ursachen für koronare Herzkrankheiten liegen laut Autor Günther Höhefeld „nicht nur in zahlreichen Ängsten, Depressionen, Süchten, Affären und Leiden, die vielen das Herz brechen, sondern auch im Getriebensein, in der Geschäftigkeit und im Kampf ums Überleben“. Viele davon könnten seiner Meinung nach vermieden werden, wenn man die Warnsignale des Herzens früher ernst nehmen würde.

 

Der Cardio-Coach mahnt daher, dass wir intensiver auf unsere Herzen hören sollten. Denn dann würden wir die Unzufriedenheit in uns spüren und endlich in Kontakt kommen mit unseren Sehnsüchten. Selbst Probleme und Schicksalsschläge bieten mitunter eine besondere Chance. Auch sie können auf Sehnsüchte hinweisen. Sei es die krankheitsbedingte Kündigung, der Tod eines geliebten Kindes oder das Zerbrechen einer Ehe. Ereignisse, die uns bis ins Mark treffen, verstärken unseren inneren Aufschrei: „So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt!“

 

Doch manchmal ändern selbst einschneidende Erlebnisse nichts an unserer Lebensgestaltung. Wir leben weiter wie zuvor und bemühen uns krampfhaft, die Stimme der Sehnsucht wieder zum Schweigen zu bringen. „Das ist“, so Höhefeld, „im wahrsten Sinne des Wortes, lebensgefährlich. Denn verzichten wir auf die enorm wichtige Reise zu unserem Herzen, dann geben wir unsere Sehnsucht auf und damit unser Leben. Wie ein Stück Dreck im Straßenrinnstein lassen wir unsere Herzen und Sehnsüchte einfach links liegen und versuchen stattdessen […] weiterzuleben wie bisher. Was auch immer wir dabei gewinnen – Geld, Besitz, Einfluss, Ansehen, Status, Macht –, das alles ist es nicht wert. Denn was hat ein Mensch davon, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber zuletzt sein Leben verliert?“

 

 

Das Herz öffnen

Es ist mein Wunsch, dass dieser Artikel Ihnen dabei hilft, auf Tuchfühlung mit Ihrem Herzen zu gehen, indem Sie Ihren Sehnsüchten nachspüren. Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen bisher nicht leicht gemacht wurde, die Stimme Ihres Herzens zu hören. Spätestens die Kriegs- und Nachkriegsgeneration hatte gute Gründe dafür, ihr Herz und den erfahrenen Schmerz zu ignorieren. Entsprechend schwierig war es für jene Generation, diese Fähigkeit weiterzugeben.

 

Aber vielleicht haben Ihnen auch Ihre Eltern, Lehrer, Mitschüler, Chefs, Arbeitskollegen und Freunde beigebracht, Ihren tiefsten Sehnsüchten zu misstrauen und sie zu unterdrücken. Die Devise der Gegenwart lautet, dass wir zuerst etwas leisten müssen, um jemand zu sein und es zu etwas zu bringen. Vermutlich hat es nur selten jemanden interessiert, wonach Sie sich im tiefsten Herzen sehnen. Vermutlich hat Sie nur selten jemand dazu ermutigt, aus Ihrem Herzen heraus zu leben. Infolgedessen haben sich viele Menschen von ihrem Herzen abgekoppelt und damit begonnen, ein Doppelleben zu führen. Wir haben gelernt, nur das von uns anzubieten, was auf Akzeptanz und Zustimmung stößt. Wir tun alles Mögliche, um von den Menschen um uns herum akzeptiert, anerkannt und geliebt zu werden.

Ich wünsche mir, dass die Sehnsucht als Lebenskraft Ihr Leben auf positive und heilsame Weise aufrüttelt.

Im Gegensatz zur äußeren Geschichte, die das beschreibt, was wir im Leben erreicht oder nicht erreicht haben, hat das Herz jedoch ein geheimnisvolles Innenleben. „Es ist das Leben jener tiefsten Orte in unserem Inneren, unserer Leidenschaften und Träume, unserer Ängste und unserer tiefsten Wunden. […] Dieses Herz begehrt Abenteuer, Geheimnis, Schönheit, Kunst, Dichtung, Ekstase, Leidenschaft. Das sind die Inhalte und Themen, die unser Herz zum Leben erwecken. Das ist die Sprache, in der wir mit unserem Herzen reden sollten, wollen wir es wirklich erreichen“, schreibt Höhefeld.

 

Egal, was Ihnen bisher vermittelt wurde und welche Altlasten Sie mit sich herumtragen: Sie können hier und jetzt neu anfangen und sich dafür entscheiden, Ihrem inneren Leben dieselbe Aufmerksamkeit zu widmen wie Ihrem äußeren. Ich wünsche mir, dass Ihnen zunehmend bewusst wird, welche kostbaren Schätze in Ihrem Inneren verborgen sind und dass die Sehnsucht als Lebenskraft Ihr Leben auf positive und heilsame Weise aufrüttelt. Ich wünsche mir, dass Sie mehr und mehr erkennen, welche Rolle Sehnsucht in Ihrer Vergangenheit gespielt hat, inwiefern Sehnsucht Ihre Gegenwart prägt und wie Sie in Zukunft auf Ihre Sehnsucht reagieren möchten.

 

Hier geht es nicht darum, dass wir unseren Herzen blind folgen. Denn – gezeichnet vom Leben und schmerzlichen Erfahrungen – können unsere Herzen auch fehlgeleitet sein. Deswegen brauchen wir bei diesem Thema so dringend die Hilfe des besten Kardiologen des Universums: Jesus Christus! Wenn Sie mit seiner Hilfe erkennen, wofür Sehnsucht da ist und wie sie zu einer Lebenskraft werden kann, ist Sehnsucht etwas Fantastisches. Aber solange Sie nicht wissen, was Sie mit Ihrer Sehnsucht anstellen sollen, kann sie zu einer heimtückischen Falle werden.

 

Es wäre allerdings ein verhängnisvoller Trugschluss, die Lösung darin zu sehen, seine Sehnsucht mittels einer schnellen Ersatzbefriedigung zum Schweigen zu bringen, sie zu betäuben oder zu ignorieren. Denn dies geschieht stets auf Kosten des wahren, echten Lebens.

Wagen Sie also einen mutigen Blick in Ihr Herz – unter Aufsicht des besten Spezialisten, den es dafür gibt. Bitten Sie ihn darum, dass er Ihnen Stück für Stück offenbart, welche Bedeutung die Sehnsucht, die Sie empfinden, für Ihr Leben hat.

 

 


Der Artikel ist ein Auszug aus Debora Sommers neuestem Buch „Im Herzen ist Raum für mehr – Sehnsucht als Lebenskraft entdecken“,


 

Dr. Debora Sommer

studierte in der Schweiz und Südafrika Theologie, promovierte über Juliane von Krüdener und ist Studienleiterin Fernstudium am Theologischen Seminar St. Chrischona. Daneben arbeitet sie freiberuflich als Referentin und Autorin. Sie ist verheiratet, zweifache Mutter und lebt in der Schweiz.

 

Mehr unter: www.deborasommer.com

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