„Ich habe seit vielen Jahren eine gute Freundin in der alten Heimat, die ich immer besuche, wenn ich bei meinen Eltern bin. Ich melde mich dann im Vorfeld auf einen Kaffee an, wir tauschen uns über so manches aus und haben eigentlich immer eine gute Zeit zusammen. Aber in den letzten Monaten habe ich das Gefühl, dass ihr meine Besuche nichts mehr bedeuten und ihr sogar eher eine Last sind. Meine Besuchsanfragen hat sie mehrfach abgelehnt und wenn sie sich doch mal Zeit nimmt, wirkt sie entweder abwesend oder scheint total im Stress zu sein. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass es ihr ausreicht, wenn wir regelmäßig telefonieren. Mir hingegen reicht das nicht und ich vermisse sie und den persönlichen Kontakt. Was kann ich tun?“

 

Beziehungen bergen die große Herausforderung in sich, dass sie nicht statisch, sondern dynamisch sind. Das heißt, sie entwickeln und verändern sich – manchmal für einen der Beteiligten nicht unbedingt in die Richtung, die er sich wünscht. Die einzelnen Beziehungspartner sind und bleiben dabei Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und auch unterschiedlichen Wahrnehmungen. Auch sie entwickeln und verändern sich, was dann natürlich auch immer Einfluss auf die Beziehung hat.

 

Andere Umstände, veränderte Freundschaften

Sie schreiben, dass Ihre langjährige Freundin „in den letzten Monaten“ keine Zeit mehr für Sie hat, also scheint es ja vorher viele Jahre anders gewesen zu sein. Hat sich im Umfeld Ihrer Freundin vielleicht etwas verändert, was dazu geführt haben könnte, dass ihr Ihre Besuche zu viel geworden sind? Wir stehen ja immer wieder in unterschiedlichen Lebenssituationen. Viele bekommen Kinder, die sie viele Jahre in Beschlag nehmen, wir lassen viel Zeit und Kraft bei einem Hausbau oder es sind die alternden Eltern, die unsere Hilfe brauchen. Auch eine neue Arbeitsstelle, eine Krankheit o. ä. kann es mit sich bringen, dass wir eine Zeitlang in Beziehungen auf Abstand gehen (müssen), um mit unseren Kräften hauszuhalten.

Lassen Sie nicht zu, dass unausgesprochene Erwartungen Ihre langjährige gute Beziehung vergiften, denn solche Beziehungen sind kostbar.

Vielleicht zieht sich Ihre Freundin gar nicht bewusst zurück – oft bemerken wir nämlich in solchen Situationen unseren Rückzug gar nicht, der den anderen verletzt. Wir sind selber so gefangen in unserer persönlichen Situation, dass sie für uns normal ist und wir uns gar nicht als gestresst oder abwesend erleben. Ihre Freundin wird vermutlich aus allen Wolken fallen, wenn Sie ihr mitteilen, wie Sie sie erleben und was das mit Ihnen macht. Es kann durchaus sein, dass sie die Situation völlig anders erlebt, und noch gar nicht gemerkt hat, dass Ihre Beziehung sich verändert hat

Kreative Wege miteinander finden

Sie sollten in jedem Fall das Gespräch mit Ihrer Freundin suchen, damit sich die fortwährende Enttäuschung, die Sie erleben, nicht negativ auf Ihre Beziehung zu ihr auswirkt. Gefühle der Ablehnung sind nämlich der ideale Nährboden für bittere Wurzeln, vor denen uns Gott in der Bibel immer wieder warnt. Bittere Wurzeln braucht niemand und wir sollten sie gleich herausreißen. Lassen Sie nicht zu, dass unausgesprochene Erwartungen Ihre langjährige gute Beziehung vergiften, denn solche Beziehungen sind kostbar. Vertrauen Sie darauf, dass Ihre Freundschaft ein klares Gespräch aushält und es für beide Seiten hilfreich sein wird, sich einander mitzuteilen.

Du fragst – wir antworten.

Du hast ein seelsorgerliches Anliegen? Dann schreib uns! Gerne nehmen wir deine Frage auf und beantworten sie – natürlich anonymisiert – in unserer Rubrik „Lebensfragen“. Dazu werden selbstverständlich sämtliche Namen, Daten oder sonstige Erkennungsmerkmale zum Schutz deiner Privatsphäre unkenntlich gemacht.

 

Schicken Sie uns Ihre Frage an: lebensfragen@mindo-magazin.de

Vielleicht finden Sie einen kreativen Weg, Ihrer Freundin ehrlich mitzuteilen, wie es Ihnen geht und was Sie empfinden. Machen Sie ihr dabei keine Vorwürfe, weil sie keine Zeit für Sie hat, sondern lassen Sie sie einfach wissen, dass Sie Ihnen fehlt. Sprechen Sie über Ihre Gefühle statt über Vermutungen und teilen Sie ihr mit, dass es Ihnen ein Bedürfnis ist, mit ihr persönlich Zeit zu verbringen. Sagen Sie ihr, was Sie in einer guten Freundschaft brauchen: persönliche Begegnungen und Zeit miteinander – nicht nur am Telefon. Es kann durchaus sein, dass persönliche Begegnungen für Ihre Freundin wirklich nicht so wichtig sind wie für Sie. Seien Sie nicht enttäuscht darüber, denn es gibt hier kein richtiges „Maß“, sondern lediglich unterschiedliche Bedürfnisse, die völlig wertfrei sind.

 

Es ist in jedem Fall gut und wichtig, um die Bedürfnisse des anderen zu wissen. Nur so kann man ihnen begegnen und entscheiden, wie viel man zu geben bereit ist. Eine gute Beziehung kann nur gelingen, wenn man voneinander weiß, was der andere jeweils braucht.

 

Inge Frantzen

ist MINDO-Redakteurin und Systemische Lebensberaterin (IGNIS).

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