Freund oder Feind, Liebe oder Hass, Schwarz oder Weiß: Wenn unser Denken und Fühlen keine Grautöne mehr kennt, kann es sich um eine Borderline-Störung handeln. In unserem „Psychologischen ABC“ erläutert der Pastoraltherapeut und Verhaltenswissenschaftler Hans-Arved Willberg, woran man eine Borderline-Störung erkennen kann und gibt Betroffenen und ihrem Umfeld hilfreiche Tipps zur Bewältigung an die Hand.

 

 

Wie häufig sind Borderline-Störungen?

Ganz genaue Zahlen zum Vorkommen der Borderline-Störung gibt es nicht, weil sich viele Menschen, die darunter leiden, nicht in Behandlung begeben. Bis zu etwa drei Prozent der Deutschen erkranken wahrscheinlich an einer Borderline-Störung. Drei Viertel der Betroffenen sind Frauen.

 

 

Wie kommt eine Borderline-Störung zustande?

„Borderline“ heißt „Grenzlinie“. Menschen mit einer Borderline-Störung befinden sich fortwährend in emotionalen Grenzsituationen. Offiziell wird das Problem darum der Kategorie „Emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ zugeordnet. Das Gefühlsleben von Borderlinern ist gespalten, es kennt keine Ausgeglichenheit, keine Normalität im Sinne einer alltagstauglichen Durchschnittsbefindlichkeit. Andern Menschen gegenüber sind sie entweder voller Enthusiasmus oder tief gekränkt. Dazwischen gibt es keine Grauzone. Wenn sie enttäuscht werden, kann ein überaus positives Bild ihres Gegenübers plötzlich in ein übles Feindbild umschlagen.

 

Man rechnet die Borderline-Störungen den Persönlichkeitsstörungen zu. Diese heißen so, weil mehr oder weniger die gesamte Persönlichkeitsstruktur in Mitleidenschaft gezogen ist. Der Grund dafür liegt vor allem in der frühkindlichen Entwicklung, in der sich die Persönlichkeitsstruktur allmählich festigt und zum Charakter wird. Borderliner haben als Kinder eine stark verunsichernde Bindungsphase durchlebt. Ihre Haupterzieher waren nicht in der Lage, ihnen beständige Geborgenheit zu vermitteln. Wenn Eltern das nicht schaffen, bekommen sie oft ein schlechtes Gewissen, und dies besonders, wenn sie ein Selbstwertproblem haben. Dann erleben die Kinder, dass überharte und stark vernachlässigende Erziehung, oft verbunden mit Gewalt und Missbrauch, durch besonders intensive Zuwendung kompensiert wird. So bilden sie sich ihr Bild der emotionalen Grundmuster, weil sie es nicht anders kennen: Entweder ist alles wunderbar oder furchtbar schlimm.

 

 

Wie äußern sich eine Borderline-Störung?

Begreiflicherweise erinnert man sich später lieber an das Angenehme in der Kindheit. Die hässlichen prägenden Erfahrungen werden darum von Borderlinern gern verdrängt. Daraus entsteht ihre Anspruchshaltung andern Menschen gegenüber: Diese müssen ihr Idealbild der Zuwendung bestätigen; wenn nicht, erinnert das zu sehr an das Verdrängte, worauf Borderliner dann mit heftiger Ablehnung reagieren können.

 

Aufgrund der starken Verunsicherung durch den wechselhaften Stil ihrer Erzieher war es Borderline-Persönlichkeiten nicht möglich, ein stabiles Bewusstsein ihres Selbstwerts aufzubauen. Das problematische Verhältnis, das sie zu sich selbst haben, kann sich in Selbstverletzungen äußern. Auch Suizidalität kommt vielfach vor. Sehr viele Borderliner kompensieren ihre emotionalen Probleme zudem durch ein Suchtverhalten.

 

Weil sie nicht in sich selbst ruhen, sind sie abhängig von der Zuwendung anderer und dadurch überdurchschnittlich anfällig für stark gekränkte Reaktionen, wenn sie enttäuscht werden. Die Vorhaltungen, die sie anderen (unter Umständen auch professionellen Helfern) machen, können jedes Maß verlieren, bis hin zu psychotischen Wahnideen.

 

Die Borderline-Störung ist vor allem eine Beziehungsstörung. Symptomatisch können oft wechselnde Partnerschaften sein oder auch ein hochaggressives Kommunikationsverhalten in dauerhaften Beziehungen.

 

 

Was kann man bei einer Borderline-Störung für sich selber tun?

Das A und O der Selbsthilfe ist zunächst die Selbsterkenntnis. Wer bei sich selbst stark wechselnde Gefühlsschwankungen in Beziehungen und einen deutlichen Mangel an Fähigkeit zu langfristigem Vertrauen entdeckt, der sollte sich in der Fach- und Ratgeberliteratur mit dem Borderline-Störungsbild beschäftigen und, wenn es danach aussieht, danach eine genaue Diagnose durch eine psychiatrische oder psychotherapeutische Fachperson erstellen lassen. Wichtig dabei ist, sich nicht mit einer oberflächlichen Einschätzung zufrieden zu geben, sondern sich den Befund genau erklären und begründen zu lassen. Die Diagnose „Borderline-Störung“ ist keine Kleinigkeit und der Weg zur Heilung kann lang werden. Dieses Etikett sollte man sich nicht ohne Weiteres anheften lassen, zumal die Diagnose vielleicht ein wenig zur Mode geworden ist.

 

Der Heilungsweg für Borderliner besteht vor allem darin, ehrlich zu sich selbst zu werden. Voraussetzung dafür ist, sich selber anzunehmen. Dann kann die Person auch Verständnis für ihr Leiden entwickeln, die schmerzvollen traumatischen Erinnerungen zulassen, vergeben und einen liebevollen Umgang mit sich selbst einüben. Sie kann Abstand zu ihren emotionalen Reaktionen gewinnen und sich daran gewöhnen, sie einer beständigen Realitätsprüfung zu unterziehen.

 

 

Wie können Angehörige und Freunde Betroffenen beistehen?

Borderliner sind für ihre näheren Mitmenschen oft schwer zu ertragen, weil sie ihnen so verunsichernd begegnen, wie sie es selbst erlebt haben. Für Betroffene Angehörige und Freunde kommt es sehr darauf an, einen klaren Unterschied zwischen der Person und ihrem gestörten Verhalten zu machen.

 

Weil die emotionalen Reaktionen von Borderlinern so heftig sein können, ist es verständlich, wenn ihre Bezugspersonen versuchen, Anlässe dafür zu vermeiden. Daraus kann aber ein „Eiertanz“ werden, der verhindert, das Problem endlich einmal beim Namen zu nennen. Nun ist der Mut gefragt, auch einmal Klartext zu reden: „Du hast offenbar ein ziemliches Problem und ich bin nicht mehr bereit, darüber hinwegzugehen. Ich erwarte von dir, dass du dir von einer professionellen Person helfen lässt.“

 

Wichtig ist dabei auch, das Verhalten nicht zu verharmlosen und sich nicht selbst der Vorwürfe wegen in Frage zu stellen. Borderlinern kann nur geholfen werden, wenn sie Mitmenschen erleben, die in sich selbst ruhen und ein gesundes Selbstbewusstsein haben und somit beständige Beziehungssicherheit geben können. Dazu gehört aber auch, dass sie in der Lage sind, gegebenenfalls schmerzvolle Grenzen zu setzen. Auf ihrer eigentlich verzweifelten Suche nach Halt und Geborgenheit können Borderliner übermäßig viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, worauf besonders Menschen ansprechen, die andern gern helfen. Das kann ihre Lage aber noch verschlimmern, weil sie eigentlich lernen müssten, auf den eigenen Füßen zu stehen.

 

 

Wann brauchen Betroffene professionelle Hilfe und worin kann sie bestehen?

Personen mit einer ausgeprägten Borderline-Störung sollten keinesfalls ohne psychotherapeutische Begleitung bleiben. Der beschriebenen schwierigen Beziehungsdynamik wegen muss diese wirklich professionell sein. Auch Klinikaufenthalte und Medikationen können helfen. Entsprechend therapeutisch versorgte Borderliner brauchen sodann langfristig ein stabiles Beziehungsumfeld, in dem sie dauerhaft bedingungslose Akzeptanz erfahren, aber auch ebenso dauerhaft den herausfordernden Anspruch dieser Menschen, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Dr. Hans-Arved Willberg

ist Theologe, Philosoph sowie Sozial- und Verhaltenswissenschaftler. Er leitet das Institut für Seelsorgeausbildung (ISA) und ist selbstständig als Rational-Emotiver Verhaltenstherapeut (DIREKT e.V.) und Pastoraltherapeut, Trainer, Coach und Dozent mit den Schwerpunkten Burnoutprävention und Paarberatung sowie als Buchautor tätig. Er hat mehr als 30 Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel veröffentlicht.

 

 

 www.life-consult.org

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