MINDO: Ein heilsamer Glaube, ein Glaube also, der wohltuende und heilende Impulse in unser Leben bringt – wie sieht der aus?

 

EVI RODEMANN: Eine wahre Sternstunde war für mich und meinen Glauben ein prägendes Erlebnis in Afrika, wo ich vor über 20 Jahren ein Jahr verbrachte. Ich zog mit wahnsinnig großen Idealen und Ideen los, wie Gott mich dort gebrauchen sollte, sein Reich zu bauen. Ich wollte erfolgreich für ihn sein, nach dem Motto, „Gott kann aber sehr stolz auf mich sein!“ Doch schon am ersten Tag muss mich eine Mücke gestochen haben, denn ich bekam sofort Malaria und war wochenlang ans Bett gebunden oder auf schwachen Beinen unterwegs. Das hatte ja super geklappt mit meinen Plänen!

 

Eine amerikanische Missionarin besuchte mich regelmäßig und hatte den Auftrag von Gott erhalten, über mir Lieder der Gnade zu singen – und sie hatte eher eine fürchterliche Stimme! Auf diesem Krankenbett hatte ich viele Stunden mit Gott (ich konnte ja auch nicht abhauen) und erlebte eine grundlegende Veränderung in meinem Glauben: Zum ersten Mal verstand ich, dass Gott mich einfach erst mal bedingungslos liebt, bevor er irgendetwas von mir möchte. Dass ich genug bin. Dass ich ausreiche. Dass er mich trotz meiner Mängel gebrauchen möchte. So wurde mein Glaube wirklich zu einem heilsamen Glauben. Ein Glaube, der mich korrigierte, veränderte, bei dem Gott mehr in den Mittelpunkt rückte und mein Aktionismus an Macht verlor.

 

„Heilsamer Glaube“ ist darum für mich ein Glaube, der auf einem festen Fundament steht. Dieses Fundament musste ich mir von Gott in Afrika schenken lassen – und darauf baue ich noch heute auf. Wenn Jesus mein Fundament ist, dann können Stürme des Lebens zwar an mir zerren und mich manchmal auch umblasen (oder ins Bett verfrachten), aber es besteht immer wieder die Möglichkeit, neu aufzustehen und meine Krone zu richten. Darin erlebe ich dann auch Heilung von den Verletzungen, die der Sturm vielleicht mit sich gebracht hat.

 

 

MINDO: Mal kritisch nachgefragt: Ist der Wunsch, dass Glaube vor allem auch uns guttun muss, dem heutigen Zeitgeist geschuldet – oder ist das biblische Wahrheit?

 

RODEMANN: Ich glaube, ich frage weniger danach, wie wohltuend der Glaube ist, als wie er denn Bestand hat. Dabei muss ich vielleicht neu definieren, was ich mit wohltuend oder auch guttun meine. Der Glaube tut mir dann gut, wenn ich mit Jesus durch den Tag gehe und weiß, er ist ein verlässlicher Partner. Egal wie ich mich beim Morgens-in-den-Spiegel-Schauen fühle oder auch dann, wenn ich an mir selbst und anderen scheitere.

 

Immer wieder falle ich darauf herein, dass ich denke, wenn ich mit Jesus unterwegs bin, würde alles nur schöner, besser und leichter. So hatte ich mir das ja auch für Afrika ausgemalt. Aber das ist ein Trugschluss, und wenn ich es dann in der Bibel nachlese, merke ich, dass ich mir selbst auf den Leim gegangen bin und auch dem heutigen Zeitgeist oft auf den Leim gehe. Denn wo wird uns das denn verheißen? Vielmehr heißt es oft, dass Jesus-Nachfolger für ihren Glauben leiden und viele Risiken eingehen. Sie werden nicht vor allen Gefahren geschützt, aber Gott ist immer mittendrin. Und so möchte ich meinen Glauben mehr leben.

 

 

MINDO: Welche ungesunden, ja vielleicht sogar krankmachenden Glaubenssätze und Gottesbilder, die Menschen mit sich herumtragen, sind denn deiner Beobachtung nach am weitesten verbreitet?

 

RODEMANN: Ich arbeite mit vielen jungen Leitenden und immer wieder begegnen mir die Fragen nach Identität und Zugehörigkeit: Wer bin ich? Wo gehöre ich dazu? Und: Wo kann Gott mich gebrauchen?

 

Wenn diese Fragen nicht aus einem positiven Gottesbild heraus gestellt werden, führen sie zur Einseitigkeit, zur Leere, zum Arbeiten bis zum Umfallen, und dazu, dass wir die Anerkennung bei Menschen suchen – und zu dem Glauben, dass Gott nur Notiz von mir nimmt, wenn ich etwas Besonderes leiste. Dann habe ich das Gefühl, ich muss ein Influencer werden, ich muss auf die Bühne, um mir selbst etwas zu beweisen, aber auch, um Gott stolz zu machen.

 

Auf der anderen Seite kann es dazu führen, dass ich mir einbilde, Gott habe so viel zu tun, dass er keine Zeit für mich hat. Und weil ich mir ja für ihn wirklich ein Bein ausreiße, bediene ich mich selbst an Dingen, die mich glücklich machen. Dann müssen Menschen als Ersatz herhalten – und das geht langfristig immer schief.

Ich muss immer wieder neu unterscheiden, wo Gott drinsteckt oder wo nur sein Name draufsteht. Seine Wahrheit kann uns wirklich frei und gesund machen.

MINDO: Nun werfen Kritiker dem christlichen Glauben gern vor, dass er nicht heilsam sei, sondern im Gegenteil: dass er Menschen unfrei mache und manchmal sogar krank. Was entgegnest du darauf?

 

RODEMANN: Wenn man einmal etwas von Gottes Liebe, Großzügigkeit und Gnade „geschmeckt“ hat wie es in Psalm 34 heißt, kann man nicht mehr einfach zurück. Ich habe in meinem Leben so viele Wunder und Abenteuer mit Gott erlebt, dass ich mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen kann. Was ich mir aber schon manchmal vorstellen kann, ist ein Leben ohne die Institution Kirche, da ich dort immer wieder mit Menschen zusammenkomme, die alle ungestillte Bedürfnisse haben, mich eingeschlossen – Bedürfnisse, die nicht immer auf Gott ausgerichtet sind oder das Beste für den anderen wollen. In manchen christlichen Gemeinschaften kann man tatsächlich unfrei oder auch krank werden. Doch das ist genau das Gegenteil von dem, was Gott sich für uns wünscht. Darum muss ich immer wieder neu unterscheiden, wo Gott drinsteckt oder wo nur sein Name draufsteht. Seine Wahrheit kann uns wirklich frei und gesund machen.

 

 

MINDO: Wenn nun jemand bemerkt, dass sein Glaube ihn in der Tat mehr verletzt, als dass er ihn heil macht – was rätst du?

 

RODEMANN: Ich würde versuchen herauszufinden, welches Gottesbild meinem Glauben zugrunde liegt. Und das würde ich ganz rational angehen, also wirklich durchdenken, und dabei gerne auch mit Hilfe von Freunden entdecken, welche Glaubenssätze meinem Glauben zugrunde liegen. Denn wenn Glaube an Gott uns mehr verletzt als heilt, kann etwas nicht mit unserem Fundament stimmen. Das klingt vielleicht sehr schwarz-weiß, aber so wie Gott sich uns in der Bibel vorstellt, will er ja genau das Gegenteil für mich.

 

Und zweitens merke ich immer wieder, dass ich mir selbst und anderen vergeben muss. Wo ich an anderen schuldig werde und sie auch an mir. Deshalb liebe ich auch die Worte des Vaterunsers so sehr, auch wenn sie eine krasse Herausforderung sind. Ich vergebe und bitte Gott um Vergebung, und bei beidem benötige ich seine Hilfe und auch Ermutigung. Ich leide darunter, dass wir Christen oft so lieblos und gnadenlos miteinander umgehen und Menschen bei uns oft mehr Gebote als bedingungslose Liebe und Annahme finden. Aber ich wünsche jedem, dass wir Gott nicht auf unsere Erfahrungen begrenzen. Dass er sich uns immer wieder anders zeigt als wir unzulängliche Menschen sind.

Ich glaube, es gibt keinen Bereich meines Lebens, wo ich nicht heiler geworden bin.

MINDO: Was kann jeder selbst dazu tun, dass sein Glaube wahrhaftiger wird und im wahrsten Sinne des Wortes „Heil bringend“ für ihn und andere?

 

RODEMANN: „Würden die Christen erlöster aussehen, dann würden auch mehr Menschen an die Erlösung glauben“, sagte einst der Philosoph Friedrich Nietzsche. Das ist mir echt ins Herz gefahren! Das, was in meinem Herzen wohnt, kommt durch meine ganze Person zum Vorschein. Und so ringe ich darum, dass mein Herz täglich von Gott gefüllt wird. Allein schaffe ich es nicht und hätte wenig Glauben für mich selbst und andere. Aber aus dieser Kraftquelle zu leben, bringt mir selbst das Heil und lässt mich anderen Heil bringen – das heißt, ihnen die Möglichkeit zu geben, an dieser gleichen Kraftquelle anzudocken. Also nicht an mir, denn sonst hätte ich selbst sehr schnell keine Energie mehr, „den Lauf zu vollenden“ (2. Timotheus 4,7), sondern auf Jesus hinweisen, den Geber des Glaubens.

 

Deshalb wünsche ich mir, immer erlöster auszuschauen, aus dem Herzen heraus, ohne die Notwendigkeit von Make-up oder einer Maske. Und andere damit zu ermutigen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

 

 

MINDO: Und zuletzt: In welchem Bereich deines Lebens hat der Glaube dich ganz persönlich heiler gemacht?

 

RODEMANN: Ich glaube, es gibt keinen Bereich meines Lebens, wo ich nicht heiler geworden bin. Ich schaue zurück und bin so dankbar, dass Gott mir immer wieder neu begegnet und mich nicht so lässt, wie ich bin. Angefangen damit, dass ein Englischlehrer zu meiner Mutter sagte, ich und meine Zwillingsschwester seien dumm und gehörten auf eine Sonderschule, und meine Eltern sich eher dafür entschieden, dass nicht Menschen, sondern nur Gott uns definieren und begrenzen dürfe (heute arbeite ich viel im englischsprachigen Raum). Bis dahin, dass ich in sehr herausfordernden Zeiten in meiner Position als Geschäftsführerin von einem Tag auf den anderen meine Position verlor und für mich erst mal eine Welt zusammenbrach.

 

Genau in solchen Momenten ist Gott mir begegnet, oft durch Menschen, die er auf meinen Weg schickte, um mich zu trösten und zu ermutigen. Und die mich herausforderten und immer an mich glaubten, wenn ich es selbst nicht mehr konnte. Ich habe in diesen oft sehr schmerzhaften Situationen erleben dürfen, wie Gott trägt, liebt und neu Berufungen ausspricht. Ich trage sicherlich heute mehr Narben an mir – aber ich bin dankbar für sie, denn sie zeigen, dass Gott immer wieder neu Heilung schenken kann.

 

 

MINDO: Liebe Evi, danke für diese Einblicke.

 

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

 

 

EVI RODEMANN

(Jg. 1971) lebt im Großraum Hamburg und arbeitet als Theologin und Eventmanagerin. Sie engagiert sich in der internationalen Arbeit der Lausanner Bewegung und der „Mission Commission“ der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) sowie in ihrem neu gegründeten Verein „LeadNow“. Ihr Schwerpunkt ist die junge Leitergeneration. Kürzlich ist mit „Scheitern erwünscht – Warum uns Krisen als Leitende wachsen lassen“ ihr erstes Buch erschienen (SCM R. Brockhaus).

 

www.evirodemann.com

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