MINDO: Herr Heimowski, ein heilsamer Glaube, ein Glaube also, der wohltuende und heilende Impulse in unser Leben bringt – wie sieht der aus?

 

Uwe Heimowski: Der biblische Begriff für Glaube lässt sich ja auch mit Vertrauen übersetzen. Gesunder Glaube ist ein Urvertrauen, dass Gott es gut mit mir meint. Daraus erwachsen Hoffnung und der Mut, die Herausforderungen des Lebens anzunehmen: Sie zu bewältigen oder das eigene Scheitern zu akzeptieren.

 

 

Kurz kritisch nachgehakt: Ist der Wunsch, dass Glaube vor allem auch uns Menschen guttun muss, dem heutigen Zeitgeist geschuldet oder ist das biblische Wahrheit?

 

Heimowski: Wer das Neue Testament liest, wird schnell entdecken, dass die meisten Menschen, die zu Jesus kamen, damit den Wunsch nach Heilung, Befreiung oder Vergebung verbanden. Manchmal fragte er Kranke sogar explizit danach, was sie sich wünschten. Jesus ging darauf ein, heilte, machte Mut, stellte wieder her. Ein Glaube, der uns guttut, kann sich also sehr deutlich auf Jesus berufen.

 

Ein Missverständnis unserer Zeit liegt vielleicht mehr darin, dass wir nicht genau wissen, was uns denn tatsächlich guttut. Sich immer wohlfühlen zu wollen, es bequem zu haben, macht auf Dauer nicht wirklich glücklich. Im Gegenteil, es ist eine Bremse, die eigenen Potenziale zu entwickeln und schwächt obendrein die Widerstandskraft. Jeder Sportler weiß, wovon ich rede. Glaube fordert heraus, Glaube kann schwer sein, angefochten, es können äußere Widerstände dazukommen. Wer dieses Gesamtpaket zulässt, dessen Glaube tut ihm (und anderen) wirklich gut.

 

 

Welche ungesunden, ja vielleicht sogar krankmachenden Glaubenssätze und Gottesbilder, die Menschen mit sich herumtragen, sind denn Ihrer Beobachtung nach am weitesten verbreitet?

 

Heimowski: Häufig sind es die Gottesbilder an sich. Der „liebe“ Gott, der strafende Gott – wie auch immer. Wir legen Gott auf eine Weise fest, die weder ihm, noch unserem Leben mit seinen Entwicklungsphasen gerecht wird. Wenn unsere Erfahrungen und unser Gottesbild nicht mehr zusammenpassen, werden wir krank, weil wir uns seelisch verbiegen müssen, oder wir streifen den Glauben ganz ab, wie eine alte Haut.

Ein Glaube, der uns guttut, kann sich sehr deutlich auf Jesus berufen.

Das biblische Gebot, sich „kein Bildnis“ von Gott zu machen, setzt genau hier an: Gott ist der Immer-Andere. Das macht den Glauben spannend, lebendig, aber auch herausfordernd. Bilder und feste Glaubenssätze geben uns Sicherheit und wenn sie ins Wanken geraten, wackelt nicht selten ein ganzes Lebensfundament. Besonders schwer haben es Menschen, die schon sehr früh mit einem engen, angstbesetzten Gottesbild aufgewachsen sind, und Ängste entwickelt haben, niemals genügen zu können, oder mit der Hölle bedroht wurden. Solche Prägungen können wir nicht einfach ablegen, oft ist es ein langer Prozess.

 

 

Nun werfen Kritiker dem christlichen Glauben manchmal vor, dass er nicht heilsam sei, sondern im Gegenteil: dass er Menschen unfrei mache und manchmal sogar krank. Was entgegnen Sie?

 

Heimowski: Ich entgegne nichts, ich stimme zu. Und frage dann nach einer möglichen Therapie. Wenn Gott – oder das, was über ihn behauptet wird – Teil des Problems ist, muss er dann nicht auch Teil der Lösung sein? Schlechte Erfahrungen in Beziehungen überwindet man auf Dauer nicht durch Abschottung, auch wenn Einsamkeit eine Weile guttun kann, sondern indem man neue, bessere Erfahrungen macht. Das ist riskant, kann schmerzhaft sein, ist aber der einzige Weg, gesund zu werden.

 

 

Wenn nun jemand bemerkt, dass sein Glaube ihn in der Tat mehr verletzt, als dass er ihn heil macht – was raten Sie?

 

Heimowski: Das ist sehr individuell. Wenn der Glaube einen Menschen so tief verletzt hat, dass er psychisch stark leidet, dann empfehle ich eine Therapie. Kranke, sagt auch Jesus, brauchen einen Arzt. Als Seelsorger habe ich oft empfohlen, angstbesetzte Gewohnheiten zu hinterfragen. Die Erfahrung, sonntagsvormittags zwei Stunden im Wald spazieren zu gehen statt in der Kirche zu sitzen – ohne dass ein Blitz vom Himmel kommt –, kann sehr heilsam sein. Jesus selbst hat starre, ungesunde Rituale durchbrochen. Er hat am Sabbat geheilt, obwohl das verboten war, und dann die wichtige Frage gestellt: „Es ist der Mensch für den Sabbat da – oder der Sabbat für den Menschen?“

 

 

Was kann jeder selbst dazu beitragen, dass sein Glaube wahrhaftiger wird und im wahrsten Sinne des Wortes „Heil bringend“ für ihn und andere?

 

Heimowski: Oft brauchen wir einen Spiegel, um unsere Deformationen überhaupt zu erkennen. Das können Gespräche mit anderen sein, gute Bücher, authentische Filme. Der gute Freund oder die beste Freundin, die den Mut haben, ehrlich zu sein. In meinem eigenen Leben waren es oft unsere Kinder und ihr unverstelltes, direktes Feedback nach dem Motto: „Papa, stimmt das, oder predigst du gerade?“ Hinzu kommt unsere Bereitschaft, eigene Glaubenssätze und Gottesbilder zu hinterfragen und uns auf neue Erfahrungen einzulassen.

Was in mir heil geworden ist, wäre ohne den Glauben nicht möglich gewesen.

Eine persönliche Erfahrung: Ich war dienstlich in Moskau, als mein Handy klingelte und meine Schwester mir sagte, dass mein Vater gestorben sei. Spontan nahm mich ein russischer Freund an den Arm und brachte mich in eine nahegelegene orthodoxe Kirche, wo er vor einer bestimmten Ikone eine Kerze für mich anzündete. Diese – mir so sehr fremde – Kirche hatte buchstäblich einen Ort für meine Trauer. Das hat mich persönlich getröstet und meinen „geistlichen Horizont“ enorm geweitet.

 

 

Und zuletzt: In welchem Bereich Ihres Lebens hat der Glaube Sie ganz persönlich heiler gemacht?

 

Heimowski: Mein Leben ist sicher eine Ausnahme. Ein Schwarz-Weiß-Geschichte: Ich war suchtkrank, schulisch, beruflich, menschlich gescheitert, hatte konkrete Pläne für einen Suizid – und dann hat Gott durch ein Wunder in mein Leben eingegriffen. Was in den kommenden knapp vier Jahrzehnten heil geworden ist, wäre ohne den Glauben nicht möglich gewesen. Aber das ist eine lange Geschichte. Wer es genauer wissen möchte: Im Juli erscheint mein autobiografisches Buch „Das Leben ist kein Spiel – Wie der Glaube mich aus der Sucht befreite und ich eine neue Chance bekam“. In der Summe kann ich festhalten: Besonders die Erfahrung von Gnade, von Vergebung war und ist die Grundlage für mein Leben geworden.

 

 

Vielen Dank für diese Einblicke und Ihre Zeit.

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

 

 

UWE HEIMOWSKI

Jahrgang 1964, ist Pädagoge, Theologe und Autor. Er ist verheiratete, seine Frau und er haben fünf gemeinsame Kinder. Er war Pastor der Evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Gera, Referent für Menschenrechte bei einem Mitglied des Deutschen Bundestag, politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz, und ist seit 2023 geschäftsführender Vorstand von „Tearfund Deutschland“ im Bereich Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit.

 

 

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