MINDO: Tina, leichter leben – danach sehnt sich eigentlich jeder. Warum löst allein der Gedanke an Leichtigkeit eigentlich so ein positives Gefühl in uns aus?

 

TINA TSCHAGE: Weil die meisten von uns vieles als eher schwer erleben. Wir erleben viele Herausforderungen, und je nach Prägung und Persönlichkeit bewerten wir diese als mehr oder weniger – selten gar nicht! – schwer, anstrengend, mühsam und so weiter. Und für Frauen ist das Thema „Leichter leben“ meist auch mit unserer Figur und der Anzeige auf der Waage verbunden… Ich habe bei Leichtigkeit sofort einen Luftballon vor Augen, der sich bunt wie er ist spielend im Wind wiegt. So hätte ich das auch gerne in meinem Leben, das ist für mich Leichtigkeit: Viel Farbe, viel Platz um mich herum und ein bissl Unterstützung auf meinem Weg.

 

 

Was macht uns heute das Leben denn am ehesten schwer? Die Menschen vergangener Jahrhunderte mussten ganz objektiv betrachtet sicher häufig unter schwierigeren Bedingungen leben als wir. Oder ist das ein Irrtum?

 

TSCHAGE: Dadurch, dass wir uns um die elementaren Dinge – also: ums Überleben – nicht mehr sorgen brauchen, haben wir Zeit, uns über alles andere Gedanken zu machen. Das zumindest ist mein Eindruck. Das Niveau des Jammerns sinkt immer tiefer, so scheint es mir. Wir sind uns wenig bewusst, wie privilegiert wir im deutschsprachigen Raum und in Europa leben: allein die umfassenden sozialen und gesundheitsfürsorglichen Absicherungen bringen mich immer wieder ins Staunen. Das Schlimmste, was mir hier wirtschaftlich passieren kann, ist Hartz IV – und auch wenn damit sicher kein Traumleben möglich ist, ist das verglichen mit dem Rest der Welt immer noch ein ziemlich guter Lebensstandard.

 

Und damit wären wir gleich bei einem wichtigen Punkt: dem Vergleich. Lange klebte an meinem Bildschirm der Satz: „Wer sich mal wieder richtig fertig machen will, vergleicht sich mit anderen.“ Ich habe gelernt: Das stimmt. Ich vergleiche mich heute immer noch, aber ich bin ehrlicher, gnädiger mit mir und anderen, und ich kämpfe gegen den Neid in mir. Denn was „uns“ das Leben schwer macht, ist sehr unterschiedlich und sehr individuell. Es hängt ja immer daran, wie ich das, was mir widerfährt, bewerte. Was für mich schwer ist, ist für andere nicht schwer. Insgesamt würde ich zusammenfassen: Für die einen sind es gesundheitliche Beeinträchtigungen, bei anderen sind es wirtschaftliche Sorgen, bei den meisten ist es eine Mischung aus vielen Faktoren, meist in den Feldern Beziehungen – Arbeit – Lebensstandard. Wirklich Schweres erlebt haben die wenigsten von uns, möchte ich behaupten. Aber das ist, wie schon gesagt, immer auch eine Einstellungs- und Betrachtungssache.

Wer leichter leben will, wird immer wieder den Weg ans Ufer finden und mit Elan weitergehen. Diesen Weg immer wieder zu finden, kann man lernen.

Genau das erlebe ich in dieser Pandemiezeit ganz besonders. Mir ist in diesem Jahr vieles geraubt worden: Mir als Soloselbstständiger Einkommen im fünfstelligen Bereich, dazu ein Stück Gesundheit – ich war ja selbst an Covid-19 erkrankt und spüre das auch neun Monate später noch –, viele Umarmungen, tolle Erlebnisse, Vorfreude. Und gleichzeitig ist mir so vieles geschenkt: Wunderbare Versorgung – sowohl wirtschaftlich als auch medizinisch –, Zusammenhalt, ein intensiverer Blick auf Wesentliches, mehr Wertschätzung für so vieles. Darauf kommt es mir an. Wie schwer meine Bedingungen sind, hängt immer auch von meinem Blick ab. Und ich finde: Grundsätzlich habe ich es heute leichter als eine Frau meines Alters vor 100 Jahren.

 

 

Nun ist „Ich will leichter leben“ natürlich leichter gesagt, als getan. An was scheitern die meisten bei der Umsetzung?

 

TSCHAGE: Tatsächlich an ihrer Lebenseinstellung: Will ich leichter leben – oder nicht? Menschen mit den schwersten Schicksalen können sehr fröhlich sein, wohingegen Menschen mit verhältnismäßig leichtem Gepäck sich schwer belastet fühlen. Die Frage ist, mit welcher Einstellung ich in den Tag gehe: Eher freudig, dankbar und bejahend – oder eben niedergeschlagen und negativ? Natürlich darf es Zeiten geben, in denen ich einfach auch mal jammere und in meinem Meer aus Selbstmitleid meine Bahnen schwimme – und von psychischen Erkrankungen spreche ich hier auch nicht, das ist nochmal ganz was anderes. Doch wer leichter leben will, wird immer wieder den Weg ans Ufer finden und mit Elan weitergehen. Diesen Weg immer wieder zu finden, kann man lernen.

 

Hier spielen natürlich auch Prägungen hinein, und auch, was ich bisher so an Lebensstrategien gelernt habe. Wenn ich merke, dass ich da bisher wenig Dienliches in meinem Werkzeugkasten habe, dann gilt es, diesen aufzufüllen. Und das ist oftmals leichter, als wir denken. In Resilienz- und Achtsamkeits-Workshops, die ich regelmäßig mit Unternehmens-Teams durchführe, erlebe ich immer wieder diese Aha-Momente, nach dem Motto „So einfach ist das?!“ Ja, vieles wird einfach, wenn wir es aus einer anderen Richtung betrachten oder schlicht bewusster wahrnehmen und machen.

 

So könnte zum Beispiel jemand, der leichter leben möchte, einfach sein Smartphone immer mal wieder in Pausen schicken (etwas, das ich kürzlich eine ganze Woche lang gemacht habe, als mir diese Pandemienachrichten zu viel wurden – und das war so wohltuend!). Ich selbst schicke mein aus meiner Sicht überdimensioniertes Pflichtbewusstsein immer ganz bewusst an einen anderen Urlaubsort als meinen. Das klingt total banal, vielleicht sogar albern, verhilft mir aber zu der Leichtigkeit, die ich im Urlaub zur guten Erholung brauche.

 

 

Da möchte jemand sein Berufsleben, sein Beziehungsleben oder auch einfach seine Freizeit leichter gestalten, kann aber schwerlich alle Baustellen gleichzeitig in Angriff nehmen. Was wäre hier ein umsetzbarer erster Schritt?

 

TSCHAGE: Schritt für Schritt gehen. Wir wollen oft zu viel auf einmal. Wir bleiben aber nur fröhlich bei der Sache, wenn wir zwischendurch Erfolge feiern können. Feiern ist so wichtig! Daher sollten die Schritte sich steigern – erst klein, dann dürfen sie größer werden. Aber sie müssen immer gangbar sein. Dann brauchen wir auch Geduld: Ich selbst bin sehr ungeduldig, das ist eines meiner größten Lernfelder. Vieles braucht einfach Zeit, und je länger und anstrengender der Weg ist, desto mehr Zeit sollte ich mir dafür gönnen. Dazu: Zwischenetappen einlegen. Diese sind wichtig, um Erfolge zu feiern und zum Verschnaufen. Des Weiteren: Ein flexibler Plan. Ein Plan ist immer gut, er sollte aber anpassbar sein, denn Situationen verändern sich ja gerne mal. Und zuletzt: Gute Sparrings-Partner. Ob das gute Freunde, Familienangehörige, Seelsorger oder ein Therapeut sind oder das Gegenüber aus mehreren Pfeilern besteht, ist nicht wichtig – Hauptsache, man ist nicht allein unterwegs. Das ist nie eine gute Idee und bringt selten Erfolg.

 

Aber du hattest ja nach einem umsetzbaren ersten Schritt gefragt. Der wäre: Die Entscheidung treffen, dass ich wirklich leichter leben will! Ohne diese Entscheidung werde ich gar nichts bewegen. Verbunden mit einem sinnvollen „Wofür“ kann auf den ersten dann auch ein zweiter und dritter Schritt folgen.

Ich bin überzeugt, dass der Schöpfergott, an den ich glaube, mir ein leichtes Leben geben will.

Was mein Leben vor einigen Jahren sehr viel leichter gemacht hat – und es immer weiter leichter macht! – ist übrigens, dass ich mein Limbisches System kennengelernt habe. Dieses „Bauchgefühl“ hat eine große Kraft und will gemeinsam mit meinem Verstand für gute Entscheidungen und damit für mein psychisches Wohlbefinden sorgen. Heute übe ich selbst immer weiter, die beiden in gute Gespräche zu bringen und trainiere andere darin, das zu lernen. Dazu gehört, dass ich mich selbst – die Signale, die mein Körper sendet, und die Argumente, die mein Verstand mir liefert – ernst nehme, beurteilen und umsetzen lerne. Wer das lernt und gut drauf hat, hat es wirklich leichter im Leben! Das ist der Grund, warum ich seit vielen Jahren auf jeder Zugfahrt ein paar Euro in die Sitzplatzreservierung investiere.

 

 

Wie wirkt es sich auf einen Menschen aus, wenn er sein Leben dann tatsächlich leichter macht, indem er seinen Alltag, seine Beziehungen, seine Arbeit, und vielleicht auch seinen Glauben „entrümpelt“?

 

TSCHAGE: So jemand wird sich weniger Sorgen machen, dafür mehr vertrauen. Sich selbst, anderen und – sofern er ein glaubender Mensch ist – auch Gott. Er wird positiver durchs Leben gehen und mehr Gutes erwarten als Schlechtes. Wird Probleme und Schweres als Chance und Herausforderungen zum persönlichen Wachsen bewerten – in dem Bewusstsein, dass es wehtun und anstrengend sein kann. Ein solcher Mensch wird ein viel angenehmerer Zeitgenosse sein. Denn Menschen, die leichter leben, sind weniger aggressiv, weniger verurteilend und insgesamt einfacher im Umgang.

 

 

Und wie vermeidet man, dass diese Übung am Ende zum Egotrip wird, der auf Kosten anderer geht, allem voran des Partners oder der Kinder?

 

TSCHAGE: Indem ich kluge und weise Entscheidungen treffe, die mehrdimensional sind. Manchmal darf es nur um mich gehen, und das sogar manchmal auch auf Kosten anderer; das lässt sich nicht immer vermeiden und muss sogar manchmal sein. Wer sich aber bewusst ist oder wird, dass wir Menschen einander in allen unseren Lebensbereichen in irgendeiner Form brauchen, dass allein unterwegs zu sein nie eine gute Idee ist, schon gar nicht in den Herausforderungen, der wird zu schätzen wissen, wenn andere an seiner Seite sind.

 

 

Zum Abschluss: Wie würdest du folgenden Satz ergänzen? Leichter leben lohnt sich, weil …

 

TSCHAGE: … wir fürs leichte Leben geschaffen sind! Ich bin überzeugt, dass der Schöpfergott, an den ich glaube, mir ein leichtes Leben geben will. Das heißt nicht, dass mein Leben keine schweren und schmerzhaften Phasen haben wird, vielleicht überwiegen die sogar – aber es heißt, dass ich einen Sparrings-Partner in all diesen Zeiten habe, einen Tröster, Heiler, Liebhaber, und letztlich ein Ziel, auf das es sich zuzugehen lohnt.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

Tina Tschage

hat Theologie studiert und das Handwerkszeug der Redakteurin erlernt. Sie lebt als Single-Frau in einer christlichen Gemeinschaft in München und arbeitet freiberuflich als Coach, Speakerin und Autorin und ist bundesweit als Trainerin für mehr Resilienz und Achtsamkeit buchbar. Vor kurzem ist ihr Buch „Auf das Leben!“ (adeo) erschienen, in dem sie u. a. Mut zu mehr Leichtigkeit macht.

 

www.tina-tschage.de

  

www.trau-frau.de

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