Ein neues Jahr – das ruft geradezu nach guten Vorsätzen. Alles soll dieses Jahr besser werden – und wenn nicht alles, dann doch wenigstens einiges. Ganz oben auf der Liste: gesündere Ernährung, regelmäßig Sport treiben, mehr Zeit mit seinen Liebsten verbringen, das Rauchen aufgeben, Stress minimieren.

 

Knapp 40 Prozent aller Deutschen fassen gute Vorsätze fürs neue Jahr, die übrigen verzichten darauf. Viele von ihnen haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten gut und vollkommen ernst gemeinten Vorsätze binnen kürzester Zeit im Sande verlaufen. Den Wunsch nach Veränderung zum Guten tragen sie aber dennoch in sich.

 

Rückwärts verstehen, vorwärts leben

Ziele zu haben ist etwas Gutes, denn sie geben dem Leben und Handeln eine Richtung. Spannend ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass viele Ziele bei genauerer Betrachtung gar nicht die eigenen sind. Vielmehr handelt es sich dabei um die Wünsche und Vorstellungen, die andere für einen haben, beispielsweise die Familie, Freunde oder auch die Gesellschaft mit ihren Normen. Sie lassen uns immer wieder wissen, was ihrer Meinung nach gut und richtig ist – oft indirekt und nonverbal, manchmal auch sehr direkt.

 

Aus diesem Grund wäre gerade jetzt ein passender Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen: Sind meine Ziele wirklich meine Ziele? Möchte ich wirklich diese teure Mitgliedschaft im Fitnessclub? Bin ich es, die auf Biegen und Brechen die Karriereleiter erklimmen will? Oder ist es womöglich jemand anders, der mir weiszumachen versucht, dass ich erst mit 10 Kilo weniger auf den Hüften liebenswert bin?

 

Wie wäre es stattdessen, einen anderen Vorsatz zu fassen – für 2020 und vielleicht sogar darüber hinaus? Wie wäre es, 2020 vorwärts zu leben? Ich persönlich empfinde dieses Ziel, diese Lebenseinstellung als absolut erstrebenswert. In meiner Praxis (die übrigens passenderweise „Vorwärtsleben“ heißt) begegne ich vielen Menschen, die mit dem Leben hadern. Gerade der Blick zurück ist sehr beliebt: Warum musste das passieren? Warum habe ich nicht anders entschieden? Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal gesagt: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Leben muss man es vorwärts.“ Dieser Gedanke gefällt mir.

 

Viele Menschen tendieren dahin, einen Großteil ihres Lebens in der Vergangenheit oder aber in der Zukunft zu verbringen: Sie wünschen sich die „guten alten Zeiten“ zurück und verlieren darüber den Blick für das Gute, das ihnen gerade widerfährt. Oder aber sie stecken in einer Art Endlosschleife in der Vergangenheit fest, durchleben immer wieder die gleichen Situationen und werden so ihrer Kraft beraubt. Andere Menschen hingegen träumen von einer rosigen Zukunft und verpassen dadurch so manche Gelegenheit, im Hier und Jetzt die Weichen in eben diese Richtung zu stellen. Sein Leben vorwärts zu leben bedeutet, in der Gegenwart zu leben.

 

Was hat mich geprägt? Welche inneren Bremsen haben mich bisher am Durchstarten gehindert?

Ja, es braucht ihn, den Blick zurück: Was hat mich geprägt? Welche inneren Bremsen haben mich bisher am Durchstarten gehindert? Und genauso braucht es den Blick nach vorn. Es braucht dieses Nachspüren nach den eigenen Wünschen, Träumen und Hoffnungen. Leben tun wir aber im Jetzt, denn im Jetzt werden richtungsweisende Entscheidungen gefällt, Schritte gewagt, Gefühle und Bedürfnisse wahrgenommen, wird Potenzial entfaltet und Heilung erlebt. Das Leben ist ein Geschenk. Und genau heute, dieser Tag, ist ein Geschenk – eines, das wir auspacken und immer wieder neu für uns entdecken dürfen!

 

Wie wäre es also, 2020 unter genau dieses Motto zu setzen: Vorwärts leben? Statt ständiger Selbstoptimierung könnten Sie dieses Jahr ganz bewusst Ihrem eigenen Leben mit all seinen Facetten begegnen. Wie sich das Motto konkret entfaltet, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängt stark von Dingen wie der eigenen Geschichte und der aktuellen Lebenssituation ab. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass vorwärts leben sich in drei Zeitebenen abspielen kann: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Im Folgenden möchte ich von Silke, Peter und Nadja berichten, die das „Projekt vorwärts leben“ gewagt haben.

 

Einen Haken an die Vergangenheit machen

Silke arbeitet in einer großen Firma. Vor etlichen Jahren gab es einige Kollegen, die sie schikaniert haben. Das Ganze ging etwa ein halbes Jahr, dann wurde Silke versetzt und die Situation entspannte sich. Aber auch wenn das Mobbing schon viele Jahre zurückliegt, ertappt Silke sich immer wieder dabei, wie sie über die Ereignisse von damals nachgrübelt. Außerdem merkt sie, dass sie Erfahrungen von damals auf jetzige Situationen überträgt. Das wirkt sich vor allem auf den Umgang mit ihren Kollegen aus, aber immer öfter auch auf Situationen in ihrem Privatleben. Oft blitzen mitten im Alltag Gefühle von damals auf; den Groll auf ihren Chef, der sie damals nicht unterstützt hat, trägt sie auch heute noch mit sich herum. Silke merkt, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss, um vorwärts leben zu können. Ihr Wunsch: mit Dingen abschließen können, Frieden finden, einen Doppelpunkt setzen hinter das, was war. Was sie sich davon erhofft: mehr innere Leichtigkeit.

 

Im Idealfall gelingt es, am Ende des Prozesses aus dem Mist der Vergangenheit Dünger für die Zukunft zu machen.

Silke erstellt eine Ideenliste, auf der sie all die Dinge notiert, von denen sie denkt, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt dran sein könnten. Sich mit einzelnen Kollegen aussprechen gehört dazu, perspektivisch auch das Thema „Vergebung“, wobei sie merkt, dass sie jetzt noch nicht soweit ist. Im weiteren Nachdenken stellt sie fest, dass sie die Ereignisse zwar gedanklich und emotional immer wieder durchlebt, sich aber noch nicht die Zeit genommen hat, sie wirklich zu reflektieren. Dazu gehört, sich zu fragen, wie sie, sollte solch eine Situation noch einmal eintreten, anders beziehungsweise besser reagieren könnte. Auch wird sie sich der Frage stellen, welche Schlüsse sie aus den Ereignissen gezogen hat und ob diese hilfreich und richtig sind. Es bedeutet auch, dass sie sich klarmachen möchte, dass es keine Automatismen im Leben gibt: Das, was ihr widerfahren ist, muss sich nicht wiederholen. Im Idealfall gelingt es Silke am Ende dieses Prozesses, aus dem Mist der Vergangenheit Dünger für die Zukunft zu machen.

 

Das alles passiert nicht einfach so, sondern ist eine Entscheidung und erfordert Arbeit – und vielleicht auch etwas Hilfe von außen. Sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen, macht negative Erfahrungen nicht ungeschehen. Es kann aber befreiend wirken und die Grundlage bilden für positive Veränderung und Neuanfänge!

 

Baustelle „Zukunft“

Im Gegensatz zu Silke merkt Peter, dass die Zukunft seine „Baustelle“ ist. Er hofft mit großer Beharrlichkeit auf eine bessere Zukunft, aber wenn er ehrlich ist, kann er gar nicht so genau sagen, wie diese aussehen könnte. Er hofft einfach, dass die Zeit zu seinen Gunsten arbeitet und sich alles irgendwie von selbst ergibt. Peter kann nicht sagen, was seine Wünsche, Träume und Bedürfnisse sind. „Danach hat mich noch nie jemand gefragt – und ich selbst habe mir diese Frage auch nicht nie selbst gestellt“, erzählt er. In der Vergangenheit haben sich Dinge einfach immer irgendwie ergeben oder jemand hat ihm gesagt, was er machen soll. So war es auch nach dem Schulabschluss, als sein Vater ihm eine Lehrstelle organisiert hat. Vorher gefragt, ob er auf diesen Beruf überhaupt Lust hat, hat der Vater nicht.

 

Nun also möchte sich Peter etwas für ihn komplett Neuem stellen: dem Versuch, Zugang zu seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu finden. Erste zarte Ideen finden sich relativ schnell: Öfter mal Nein sagen, nicht nur für die Arbeit zu leben und lange vernachlässigte Hobbys wieder aufleben lassen. Gleichzeitig meldet sich eine Stimme in ihm zu Wort, die ihn wissen lässt, dass das, was er da plant, ziemlich egoistisch ist. „Die Stimme meines Vater“, meint Peter. Aber auch zu diesem Gedanken sagt er erst einmal „Stopp!“ Denn mittlerweile glaubt er, dass es vielleicht doch anders gehen kann: eigene Ziele haben und nicht zum Egoisten verkommen. Immer öfter hinterfragt er Dinge und merkt, wie gut es ihm tut, sich selbst als Mensch mit eigenen Träumen und Bedürfnissen wahrzunehmen – und diese dann auch anderen gegenüber zu verbalisieren und wo nötig zu verteidigen. Ziele zu haben, die aus einem selbst kommen, gibt Kraft – das ist der große Aha-Effekt für Peter.

 

Das Heute gestalten

Nadja hingegen hat festgestellt, dass sie mit ihrer Vergangenheit im Großen und Ganzen im Reinen ist und auch sehr genau sagen kann, was sie sich für die Zukunft erhofft. Woran es bei ihr hakt, ist, dass sie recht wenig unternimmt, um ihr Leben aktiv zu gestalten. Ihr persönliches Vorwärts-leben-Ziel ist es, die Gegenwart immer bewusster als den Ort wahrzunehmen, an dem Veränderung geschieht. Sie möchte ihren Blick schärfen für die Möglichkeiten, die jeder neue Tag bietet: Möglichkeiten, Entscheidungen zu treffen, hilfreiche Gedanken zu denken, Schritte zu wagen, Kontakte zu pflegen etc. Oft träumt Nadja von der tollen Zukunft, ohne aktiv etwas dafür zu tun. Ihr Vorsatz: Möglichst täglich Dinge tun, die in die von ihr anvisierte Richtung führen. Das muss gar nichts Großes sein, im Gegenteil: lieber Kleinigkeiten, dafür aber regelmäßig und ohne sich zu übernehmen. Nadja möchte jeden Tag bewusst als ein Geschenk aus Gottes Hand nehmen – aus der Hand dessen, der um ihre Vergangenheit weiß, ihre Zukunft kennt und sie im Jetzt begleitet.

Vorwärts zu leben ist eine Entscheidung – und ja, es ist auch Arbeit.

Was bedeutet vorwärts zu leben für Sie? Und wäre es womöglich auch für Sie ein gutes Jahres- oder gar Lebensmotto? Das Leben bei den sprichwörtlichen Hörnern zu packen, sich ihm zu stellen mit all seinen Facetten, dem Schönen wie auch dem Herausfordernden? Und das alles in dem Wissen: „Ich bin nicht allein. Da sind Weggefährten an meiner Seite. Wenn mich etwas überfordert, dann gibt es Menschen, die sich damit auskennen und die ich um Hilfe bitten kann.“ Und selbstverständlich ist da Gott höchstpersönlich: Er ist auch dieses Jahr so treu wie eh und je und begleitet Sie auf Ihrem Weg.

 

Vorwärts zu leben ist eine Entscheidung – und ja, es ist auch Arbeit. Vor allem aber ist es eine Investition in das eigene Leben, in mehr Zufriedenheit und Leichtigkeit. Es geht nicht darum, von jetzt auf gleich das ganze Leben umzukrempeln – das ist auch gar nicht nötig. Oft braucht es nur kleine Veränderungen, damit andere Dinge dominoeffektartig an den richtigen Platz geschubst werden.

 

Wer weiß: Vielleicht hilft ja die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, mit den mahnenden Worten der Mutter, man müsse gertenschlank sein, um einen guten Mann abzubekommen und geliebt zu werden, um mit dem Diät- und Sportwahn zu brechen? Womöglich hilft es, sich zu fragen, ob die oberste Sprosse der Karriereleiter wirklich das eigene Ziel ist oder ob man mit weniger Geld, aber mehr Zeit für Freunde und Familie unter Umständen deutlich glücklicher wäre? Viele Fragen, auf die jeder seine ganz eigenen Antworten finden muss. Eine spannende Entdeckungsreise. Sie dürfen gespannt sein, wohin sie Sie führt!

Nicole Sturm

unterstützt mit ihrer Praxis VORWÄRTSLEBEN Menschen dabei, dem eigenen Leben auf die Spur zu kommen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Online-Begleitung in Form von individuellen Coachingangeboten. Mehr zu ihr und ihrer Arbeit erfahren Sie hier: www.vorwärtsleben.de

 

 

Vormerken: Im Februar 2020 erscheint Nicole Sturms Buch „Vorwärts leben – Dein Weg zu mehr Zufriedenheit“ im Verlag SCM Hänssler und kann jetzt bereits vorbestellt werden.

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