Das Störungsbild der Hypochondrie lässt sich nur schwer genau eingrenzen. Meist ist es Teil einer komplexeren Symptomatik. Darauf weist schon die Entstehung des Begriffs hin: Antike Ärzte vermuteten, der Sitz des Problems liege unter den Rippen, was auf Altgriechisch „hypo-chondros“ heißt. Die sorgenvolle Beschäftigung damit, womöglich eine ganz schlimme Krankheit zu haben, siedelte man in diesem Bereich an, weil man glaubte, dass dort Gemütskrankheiten zu lokalisieren seien. Dazu passt, dass die Hypochondrie nicht nur durch die Angst geprägt ist, was ja auf der Hand liegt, sondern dass sie auch zur Symptomatik von Depressionen gehört, vor allem von schweren.
Wie lässt sich das Störungsbild beschreiben?
Der große Aufklärungsphilosoph Immanuel Kant hat sich auch viel mit der Entstehung von Krankheiten befasst, in dem Bemühen, traditionelle Auffassungen davon durch logische Argumente zu überwinden. Er sah den Schwerpunkt der Hypochondrie nicht in einem körperlich verursachten Gefühlszustand, sondern in mentalen Fehldeutungen der Wirklichkeit. Zum Beispiel erkenne eine romantisch veranlagte Frau durch ein Fernrohr „im Monde die Schatten zweier Verliebter, ihr Pfarrer aber zwei Kirchtürme“. Sollten die Frau oder der Pfarrer davon aber wirklich überzeugt sein, dann bekomme ihre Deutung wahnhafte Züge. Diese „phantastische Gemütsbeschaffenheit“ zeige sich besonders stark in der Hypochondrie.
Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft trifft Kants grundsätzliche Einordnung der Hypochondrie zu. Von anderen Angstproblemen unterscheidet sie sich dadurch, dass die Betroffenen bestimmte Vorstellungen einer sehr besorgniserregenden körperlichen Krankheit haben, unter der sie zu leiden glauben, und dass sie nicht darauf aus sind, von ihren Fantasien frei zu werden, sondern darauf beharren, ihre Deutung möge medizinisch bestätigt werden. Von Hypochondrie kann gesprochen werden, wenn diese Krankheit durch den medizinischen Befund definitiv nicht bestätigt wird.
Das hypochondrische Problem kann gewissermaßen für sich allein auftreten, was aber eher selten der Fall ist. Meistens ist Hypochondrie Teilaspekt eines weiter gefassten Störungsbereichs, zu dem sie passt, wie zum Beispiel einer zwanghaften Unsicherheitsvermeidung, einer Schizophrenie oder einer Depression. In den letzten Jahren hat sich aber durch die Möglichkeit, dass sich jedermann mithilfe des Internets auf der Grundlage vieler Informationen seine eigenen Krankheitsbilder zusammenbauen kann, eine neue ernst zu nehmende Variante der Hypochondrie entwickelt. Man hat ihr die Namen „Cyberchondrie“ und „Morbus Google“ gegeben: Menschen verstricken sich durch die Informationssuche im Internet so sehr in ein Geflecht von allen möglichen Informationsfragmenten, dass sie letztendlich völlig davon überzeugt sind, exakt bestimmte Krankheitsbilder bei sich selbst diagnostizieren zu können.
Meistens ist Hypochondrie Teilaspekt eines weiter gefassten Störungsbereichs, zu dem sie passt, wie zum Beispiel einer zwanghaften Unsicherheitsvermeidung, einer Schizophrenie oder einer Depression.
Dadurch ist eine Teufelskreisdynamik vorprogrammiert, denn die Betroffenen suchen fortan nur noch nach Bestätigung ihrer Eigendiagnose, um dann auch die ihrer Ansicht nach richtige Therapie zu erhalten. Wenn sie Ärzte zu diesem Zweck aufsuchen, bringen sie wahrscheinlich bereits ein misstrauisches Vorurteil mit, andernfalls hätten sie ja schon längst eine Fachperson zu ihrem Verdacht befragt, statt erst selbst das Problem zu ergründen. Die Ärztin kann nun die Bestätigung aber nicht liefern, weil es keinen Befund gibt. Der hypochondrische Patient ist enttäuscht und sein Misstrauen gegen die Fachpersonen wächst.
Was kann man gegen Hypochondrie tun?
Wenn er auf die Möglichkeit von Psychotherapie angesprochen wird, weist der Hypochonder das von sich, weil er ja sein Problem eindeutig für etwas Körperliches hält. Dabei könnte ihm, wenn er sich dieser Deutung seines Leidens aufschließen würde, sehr wohl geholfen werden: Durch Kognitive Verhaltenstherapie und das Einnehmen eines Antidepressivums, das seine gesteigerte Angst und die Zwanghaftigkeit des Bemühens um Bestätigung der Diagnose erfolgreich reduzieren würde.
Hypochonder meinen, sich selbst helfen zu müssen, weil sie anderen nicht trauen können. Die Therapie ihres eigentlichen Problems läge aber in der Gegenrichtung: Den eigenen Fantasien weniger zu trauen, dem gesunden Menschenverstand ihrer Mitmenschen und der Fachkompetenz von Medizinern dafür um so mehr. Das ist durchaus möglich, sie müssen dazu aber erst auf irgendeine Weise erfahren haben, dass der eingeschlagene Weg ein Labyrinth ist, in dem sie sich von der Wirklichkeit abgesondert haben und Angst, Zwang und Depression nur immer größer werden, so lange sie weiter darin herumirren. Dann kann der Leidensdruck groß genug werden, um sich helfen zu lassen. Nun können sie lernen und üben, mit ihren Fantasien, die ja für sich genommen noch gar nichts Krankes sein müssen, realistisch umzugehen: „Ich sehe da die Kirchtürme oder das verliebte Paar, aber der Wissenschaft nach sind es nur Schatten. Ich tue mir selbst keinen Gefallen damit, es besser wissen zu wollen als die Wissenschaft.“
Hypochonder sind etwas ganz anderes als Simulanten. Diese täuschen ein Problem vor, um damit einen bestimmten Zweck zu erreichen, wie zum Beispiel eine Krankschreibung. Hypochonder hingegen leiden wirklich, weil sie überzeugt davon sind, schwer krank zu sein und noch dazu sehr einsam, weil niemand ihnen glaubt! Und das wiederum kann natürlich so etwas wie eingeschworene Gesinnungsgemeinschaften begünstigen, wenn man sich im Internet mit Leidensgenossen zusammenschließt, die endlich die gesuchte Bestätigung liefern und sich selbst durch den eigenen Beitrag bestätigt fühlen. Es braucht sich nur noch ein gewissenloser Pseudofachmann dafür zu finden, der mit der Aussicht auf gute Rendite pseudowissenschaftliche „Beweise“ dafür liefert, und schon findet man sich in einer Gruppe von selbsternannten Opfern der etablierten Wissenschaft wieder, die über ein esoterisches Wissen zu verfügen glaubt, das eigentlich allen zur Verfügung stehen sollte, was die Fachwelt aber schmählich ignoriert.
Wie kann man Hypochondern helfen?
Am leichtesten kann ihnen geholfen werden, wenn die Störung noch nicht sehr stark ist, sodass ihnen selbst noch Zweifel kommen, ob sie richtig liegen. Jetzt brauchen sie von ihren Mitmenschen nicht die Bestätigung des vermuteten Problems, wohl aber die Bestätigung dafür, dass sie auch mit diesem Problem ernstzunehmende und ehrenwerte Menschen bleiben, und dass ihr Leiden, nämlich diese Sorge, ein echtes Leiden ist. Ebenso brauchen sie aber auch nüchterne Hilfestellungen, um ihren Spekulationen mutig den Rücken zu kehren und sich auf das zu besinnen, was viel glaubwürdiger ist, weil es den Konsens des gesunden Menschenverstands und der Fachlichkeit repräsentiert. Gift schenkt man ihnen aber ein, wenn man selbst auch in das Horn des grundsätzlichen Misstrauens stößt.
Hypochonder sind etwas ganz anderes als Simulanten. Diese täuschen ein Problem vor, um damit einen bestimmten Zweck zu erreichen. Hypochonder hingegen leiden wirklich.
Vorbedingung dafür ist allerdings, dass zunächst die Vermutungen der betroffenen Person ernstgenommen und gründlich ärztlich untersucht werden. Erst wenn nach ärztlichem Ermessen ausgeschlossen ist, dass der Verdacht sich erfüllt, dürfen Angehörige und Freunde den Betroffenen widersprechen, wenn sie merken, dass diese ohne überzeugenden Grund dem medizinischen Befund nicht glauben und stattdessen weiter Zustimmung für ihre „Wahrheit“ erzwingen wollen. Am wirksamsten ist es, sich dazu nicht auf längere Diskussionen einzulassen, die immer den Nachteil haben werden, dass die betroffene Person sich sozusagen zur Spezialistin für das Problem macht und, je mehr einseitiges Material sie zur Fundierung ihrer Sichtweise gesammelt hat, desto mehr scheinbare Argumente dafür anführen kann, dass sie es eben besser weiß. Das kann auf Dauer nur zermürben und der Beziehung schaden. Klüger ist es, weniger selbst durch Sachargumente Überzeugungsarbeit zu leisten als durch den Verweis darauf, dass die betroffene Person sich selbst und ihren Mitmenschen das Leben dadurch viel leichter machen wird, ein fachliches Urteil nur dann zu hinterfragen, wenn sich ein Konsens dafür findet, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich falsch ist. Wenn die Person aber bereits einen Zirkel gefunden hat, in dem man sich gegenseitig mit pseudowissenschaftlichen Argumenten bestätigt, schränkt das die Einflussnahme erheblich ein. Gemeinsam fühlen sie sich stark und werden immer alles besser wissen.