In meiner psychotherapeutischen Arbeit kommen Beziehungsthemen besonders häufig zur Sprache. Kein Wunder, denn Beziehungen machen uns aus. Wir sind eben keine isolierten Einzelgänger, sondern echte Gemeinschaftswesen. Dabei reicht unsere Beziehungswelt von „frisch verliebt“ über „enge Freundschaften“ bis zu „Teamkollegen“ auf der Arbeit. Uns halten enge Familienbande, die Halt geben, aber auch einengend erlebt werden können. Dazu gibt es Bekannte und Facebook-Kontakte, und später hoffentlich auch Beziehungen zu Menschen, die sich um uns im Alter kümmern.

 

Nach meiner Erfahrung hängt der Grad unserer Lebensfreude und Lebensqualität entscheidend von der Qualität unseres Beziehungslebens ab. Dabei spielt nicht die Anzahl, sondern die persönliche Nähe in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen eine entscheidende Rolle. Beziehungen beglücken, stärken uns den Rücken und wirken inspirierend. Aber in manchen Fällen können sie auch nerven, Kräfte rauben und sogar unser Wohlgefühl vergiften.

 

 

Starke Beziehungen, starke Psyche

Die psychologische Forschung hat gezeigt, was wir schon immer geahnt haben: Wenn wir in wertschätzende, warmherzige und akzeptierende Beziehungen eingebunden sind, macht uns das stressresistenter, weniger anfällig für Infekte und erhöht sogar unsere Lebenserwartung. John Ortberg zitiert in seinem lesenswerten Beziehungsratgeber „Jeder ist normal, bis du ihn kennenlernst“ eine groß angelegte amerikanische Studie, nach der isoliert lebende Menschen eine dreimal so hohe Sterberate hatten wie diejenigen, die in ein enges Beziehungsnetz eingebunden waren. Intensive Beziehungen wirkten sich nachhaltiger auf die körperliche Gesundheit aus als eine gesunde Ernährung und Lebensweise.

 

Intensive Beziehungen wirkten sich nachhaltiger auf die körperliche Gesundheit aus als eine gesunde Ernährung und Lebensweise.

Um den Widrigkeiten des Alltags zu trotzen und Krisenzeiten zu meistern, benötigen wir vor allem ein stabiles soziales Netzwerk. Vertrauensvolle Beziehungen stärken unser seelisches Immunsystem. Resilienz gewinnt, wer in Beziehungsstützpunkte investiert. Auf die können wir zurückgreifen, wenn wir Probleme alleine nicht bewältigen können. Wir profitieren dann von den Fähigkeiten und Ressourcen anderer. Umgekehrt stehen wir ihnen auch im Rahmen unserer eigenen Möglichkeiten zur Seite. Resiliente Menschen scheuen sich nicht, andere um Hilfe zu bitten. Und ihre eigenen inneren Widerstandskräfte befähigen auch sie dazu, für ihre Mitmenschen in Krisensituationen so etwas wie ein Fels in der Brandung zu sein. Die Resilienzforschung hat eindrucksvoll bewiesen, dass zum Beispiel Kinder, die in sehr schwierigen Verhältnissen aufwachsen, dennoch gute Chancen haben, ihr Leben zu meistern, wenn mindestens eine nahestehende Person an sie glaubt und ihnen emotional den Rücken stärkt.

 

 

Für Beziehungen gemacht

Ich staune immer wieder darüber, wie sehr die Bibel von Beziehungsgeschichten und Beziehungsimpulsen durchdrungen ist. Die Sprüche Salomos oder die neutestamentlichen Briefe stellen alle modernen Beziehungsratgeber in den Schatten. Von der ersten bis zur letzten Seite geht es um zwischenmenschliche Beziehungen und die wechselvolle Geschichte Gottes mit den Menschen und der Menschen mit Gott. Nicht zuletzt erzählt die Bibel davon, dass Beziehungsreichtum der zentrale Wesenszug Gottes ist. Als Schöpfer sucht er die Beziehung zu seinen Geschöpfen, als Mensch tritt er in Jesus Christus in Beziehung zu uns Menschen und als Heiliger Geist bezieht er einen Platz in unserem Herzen.

Konkrete Beziehungsleitlinien finden wir zum Beispiel in den neutestamentlichen „Einander-Worten“: Gute Beziehungen leben davon, „einander anzunehmen“ (Römer 15,7), „einander zu achten“ (Philipper 2,3), „einander zu dienen“ (Galater 5,13), „einander zu ertragen“ (Epheser 4,2), „einander die Sünden zu bekennen“ (Jakobus 5,16) und „einander zu vergeben“ (Matthäus 6,12).

 

Diese kleine Auswahl an biblischen Beziehungsvitaminen ermutigt uns, proaktiv auf andere Menschen zuzugehen. Und natürlich müssen wir auf der Hut sein vor Beziehungskillern, die einmal offen und ein anderes Mal versteckt auftreten können. Sie heißen Neid und Eifersucht, Machtspiel und ungezügelte Aggression. Sie verstecken sich im Rückzugsverhalten oder mangelnder Selbstliebe. Sie zeigen sich in Angst vor Nähe und Intimität. Stress, Zeitknappheit und falsche Prioritäten begünstigen ihr Auftreten. Die einfache Frage, ob mein Verhalten beziehungsförderlich oder beziehungsschädlich ist, hilft enorm, Beziehungskiller zu entlarven.

 

 

Gute Beziehungen fallen nicht vom Himmel

Es stimmt: Unsere Familie die lieben Kollegen oder den Chef können wir uns leider nicht immer aussuchen, aber wir können die Beziehung zu ihnen beeinflussen und positiv gestalten. Wesentlich leichter fällt es dagegen, uns in unserer Freizeit mit solchen Menschen zu umgeben, die uns gut tun.

 

 

Verbundenheit lebt von Geben und Nehmen. Beziehungen sind keine Einbahnstraße.

Nahe und erfüllende Beziehungen fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern müssen geknüpft und gepflegt werden. Wir sind herausgefordert, auf unterschiedliche Weise positiv in unser Beziehungsglück zu investieren, indem wir

– uns für den anderen ehrlich interessieren,

– eigene Offenheit riskieren und dem anderen erlauben, hinter die Fassade zu blicken,

– es nicht nötig haben, uns besser darzustellen, als wir sind, uns aber auch nicht unnötig klein machen müssen,

– Empathie und Anteilnahme zeigen,

– eigene Schwächen zulassen und zeigen,

– darüber reflektieren, wie wir auf andere wirken und bereit sind, das eigene Verhalten zu ändern, statt es von den anderen Veränderung zu erwarten,

– wir in schwierigen Zeiten um Hilfe bitten, statt alles alleine zu schultern,

– wir Freundschaften aufbauen, indem wir anderen Freund sind,

– soziale Flexibilität leben, das heißt uns von ungesunden und manipulativen Beziehungen abgrenzen und uns stärker auf Beziehungen einlassen, die uns gut tun.

 

Verbundenheit lebt von Geben und Nehmen. Beziehungen sind keine Einbahnstraße. Dabei kann es überaus bereichernd sein, auf Menschen zuzugehen, die ganz anders ticken als wir. Natürlich machen Gemeinsamkeiten eine Beziehung angenehm, aber spannend wird sie erst durch die kleinen Unterschiedlichkeiten. Starke Beziehungen schließen Konflikte nicht aus. Wir müssen nicht die Meinung des anderen teilen, aber wir können sie als Korrektiv für unser eigenes Denken nutzen. In guten Beziehungen bleiben wir offen für kritische Rückmeldungen, ohne uns angegriffen zu fühlen. Gute Beziehungen sind Geschenk und Aufgabe zugleich.

 

 

RESILIENZ-ÜBUNG: Nehmen Sie ein großes Blatt Papier zur Hand und notieren Sie in der Mitte Ihren Vornamen. Notieren Sie im nächsten Schritt alle Personen, mit denen Sie sich verbunden fühlen – von Angehörigen über Freunde und Kollegen bis zu Nachbarn oder Bekannten. Dazu zählen sowohl positive als auch negativ besetzte Beziehungen. Menschen, denen Sie sich besonders eng verbunden fühlen, tragen Sie an zentraler Stelle ein, entferntere Personen dagegen weiter von Ihrem Namen entfernt. Ziehen Sie anschließend Verbindungslinien von Ihrer Person zu den anderen. Besonders stabile Beziehungen können durch dicke Striche gekennzeichnet werden. Kritische Beziehungen mit einer gezackten Linie, lose Kontakte durch eine gestrichelte Linie.

 

→ Welche spontanen Gedanken und Gefühle kommen Ihnen beim Betrachten Ihres Beziehungslebens in den Sinn?

→ Welche Menschen stimmen Sie sehr dankbar?

→ Welche Beziehungen wollen Sie gerne vertiefen?

→ Wieviel Zeit und kreative Ideen wollen Sie künftig in eine oder mehrere Beziehungen investieren?

→ Wie können Sie sich in kritischen Beziehungen gut abgrenzen?

→ Was können Sie unternehmen, um eine positivere Grundhaltung zu schwierigen Mitmenschen zu gewinnen?

→ Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Ihre Gottesbeziehung zu intensivieren?

 

 

GEBET: „Mein Gott und Schöpfer, du hast die Sehnsucht nach guten und erfüllten Beziehungen in mich hineingelegt. Ich danke dir für die Menschen, denen ich mich nahe und verbunden fühle. Sie sind wirklich ein kostbares Geschenk. Lass mich achtsam mit ihnen umgehen, sie pflegen und vertiefen. Ich kenne aber auch konflikthafte Beziehungen. Ich denke an Menschen, die ich verletzt oder vernachlässigt habe, die sich von mir zurückgezogen haben. Ich will neu auf sie zugehen, wo das möglich ist, um auszuräumen, was zwischen uns steht. Und die Verletzungen, die andere mir zugefügt haben, will ich ernstnehmen, sagen, was mir genau wehgetan hat und am Ende nichts länger nachtragen, sondern vergeben. Gib mir dazu die nötige Kraft und weite mein Herz zur Versöhnlichkeit. Ich vertraue darauf, dass du, Gott, heute und morgen in Beziehung mit mir bleibst und ich aus dem Kontakt zu dir und deinen Worten Orientierung für mein Beziehungsleben gewinne. Amen.“

 

 

Matthias Hipler

betreibt eine Praxis für Psychotherapie, Paartherapie und Coaching in Hanau.

 

www.psychotherapie-hipler.de

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