Stell dir vor, dein Terminkalender ist randvoll, das Smartphone steht nie still, und du hetzt von einer Verpflichtung zur nächsten. Kommt dir das bekannt vor? In unserem hektischen Alltag fühlen wir uns oft wie in einem Sturm aus Aufgaben und Eindrücken gefangen. Mitten in diesem Sturm sehnen wir uns nach einem Ort der Ruhe – einer kleinen Insel, auf der wir durchatmen können. Genau solche Orte der Entspannung nenne ich „Ruheinseln“ im Alltag.

 

Inmitten des Ozeans der To-dos braucht es kleine Landzungen der Gnade.

 

 

Wo die Seele atmet

Eine Ruheinsel kann vieles sein: der erste heiße Kaffee am Morgen in aller Stille, ein Spaziergang im Park ohne Eile oder ein paar Minuten bewusstes Gebet in einer kleinen Kapelle. Für andere ist es das Eintauchen in ein gutes Buch, das Hören beruhigender Musik oder einfach fünf Minuten lang die Augen zu schließen und tief durchzuatmen. Wichtig ist nicht so sehr, was du tust, sondern wie: nämlich achtsam, ohne Eile und offen für die Ruhe, die dich umgibt. Es sind Momente, in denen wir auftanken, die Seele baumeln lassen und neue Kraft schöpfen.

 

Wichtig dabei: Eine Ruheinsel ist keine Flucht vor der Wirklichkeit. Sie ist nicht einfach Eskapismus. Sondern eine heilsame Unterbrechung. Ein Atemholen mitten im Leben. Eine Verbindung – zu mir selbst, zu Gott, zur Welt um mich herum.

 

 

Pausen sind heilig – nicht faul

Doch warum brauchen wir solche Ruheinseln überhaupt? Ganz einfach: Weil kein Mensch auf Dauer ohne Pausen funktionieren kann. So wie unser Körper Schlaf benötigt, braucht unsere Seele Zeiten der Stille und Erholung.

 

Pausen sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für Herz und Seele.

Eine Ruheinsel ist keine Flucht vor der Wirklichkeit, sondern eine heilsame Unterbrechung.

Unser modernes Leben suggeriert uns häufig, dass wir immer erreichbar, produktiv und beschäftigt sein müssen. Dabei gehen oft genau die Dinge verloren, die uns innerlich stärken: Stille, Gebet, Muße. Viele von uns kennen das Gefühl der Erschöpfung, wenn man abends ins Bett fällt und sich fragt, wo man selbst an diesem Tag eigentlich geblieben ist.

 

 

Still werden, um nicht unterzugehen

Manche fühlen sich sogar schon schuldig, wenn sie mal kurz nichts tun. Mir ging es vor einigen Jahren ähnlich: Ich versuchte, allen Erwartungen gerecht zu werden (auf der Arbeit, zu Hause, an mich selbst) und meinte, mir keine Pause gönnen zu dürfen. Schließlich muss ich doch stark sein und alles hinkriegen, was sich so an Herausforderungen in den Weg stellt. Die Quittung kam prompt – ich wurde krank und war ausgebrannt. Erst diese Erfahrung öffnete mir die Augen: Ohne Pausen geht es nicht. Ich musste ganz neu lernen, dass niemandem geholfen ist, wenn ich dauerhaft über meine Kräfte lebe. Mir am wenigsten. Und das war ein echt hartes Learning.

 

Meine erste Ruheinsel damals? Es war ein einfacher Moment: Ich saß auf einer Bank, mitten im Wald. Kein Handy. Kein Ziel. Nur der Wind in den Bäumen. Und zum ersten Mal seit Monaten spürte ich: Ich atme. Ich lebe. Ich bin da. Diese zehn Minuten haben etwas verändert.

 

Aus eigener Erfahrung kann ich heute sagen: Ruheinseln haben mir enorm geholfen – und tun es bis heute! Es sind kleine Auszeiten, in denen wir wieder spüren, wer wir eigentlich sind jenseits von To-do-Listen, Anforderungen und Verpflichtungen. Und in denen wir uns neu verbinden: mit dem Moment, mit uns selbst und auch mit Gott. In denen wir einfach nur sind – und das genug ist.

 

Ich bin mehr als meine To-do-Liste, und mein Wert hängt nicht von ständiger Leistung ab.

 

Zum ersten Mal seit Monaten spürte ich: Ich atme. Ich lebe. Ich bin da.
Gott lädt zur Ruhe ein

Gerade für Menschen, die Jesus nachfolgen, sind Zeiten der Ruhe eigentlich keine Frage, sondern ein Geschenk. Schon in der Bibel finden wir das Prinzip des Ruhetags: Gott ruhte am siebten Tag und er schenkte auch uns Menschen den Sabbat als Tag der Erholung. In Psalm 23 heißt es poetisch: „Er führt mich zu stillen Wassern, er erquickt meine Seele.“ Gott selbst möchte uns also an Orte der Ruhe führen, wo unsere Seele aufatmen kann. Der Ruhetag war kein willkürliches Gesetz, sondern ein Geschenk – eine Atempause mitten im oft harten Alltag, um Leib und Seele zu erfrischen und zu zeigen, dass letztlich Gott die Welt in den Händen hält, nicht wir. Und diese Atempause, so banal sie erst einmal klingen mag, bewirkt so einiges, wenn ich sie ganz tief in mir sacken und wirken lasse. Vor allem entlastet sie kolossal.

Wann hast du das letzte Mal tief durchgeatmet?

Nicht nur kurz. Richtig. Bis in den Bauch.

 

Gott ist in jedem Atemzug.

In der Pause zwischen zwei Gedanken.

In dem Moment, wenn du loslässt.

 

Sei gesegnet mit einem Moment der Stille, mitten im Trubel.

In der Stille wohnt eine leise Gegenwart

Jeus selbst zog sich immer wieder an einsame Orte zurück, um zu beten und aufzutanken. Und lud alle mit Mühe Beladenen ein: bei ihm würden sie Ruhe finden (vgl. Matthäus 11,28). Einmal sagte er zu seinen übermüdeten Jüngern: „Kommt mit an einen ruhigen Ort und ruht euch ein wenig aus“ (Markus 6,31). Wenn sogar der Sohn Gottes Pausen brauchte und alle zur Ruhe einlädt, wie viel mehr dann wir!

 

In der Stille klärt sich der Blick.

In der Pause findet das Herz heim.

In der Ruhe hören wir das, was sonst übertönt wird.

In der Stille tankt die Seele neue Kraft – dort wartet Gottes leise Stimme auf uns.

 

 

Wenn Ruhe heilt

Neben der theologischen gibt es auch eine psychologische Perspektive: Unser Gehirn und Körper brauchen Regenerationszeiten. Ständiger Stress setzt Hormone frei, die uns auf Dauer schaden können – wir werden gereizt, müde, unkonzentriert. Kein Wunder, dass Begriffe wie Burn-out heute in aller Munde sind. Häufig ist es das Resultat davon, dass wir uns selbst keine Pausen gönnen oder meinen, sie uns nicht gönnen zu dürfen oder zu können.

Wenn sogar der Sohn Gottes Pausen brauchte und alle zur Ruhe einlädt, wie viel mehr dann wir!

Leider habe ich genau das selbst erlebt. Als ich mir über zu lange Zeit viel zu wenig Pausen gegönnt hatte, war irgendwann alle Energie verbraucht. Nichts ging mehr. Also wirklich nix. Burn-out. Ich habe Monate gebraucht, um aus der völligen Lethargie und Kraftlosigkeit meines Körpers und meiner Seele herauszufinden. Diese Erfahrung wünsche ich echt niemandem.

 

In Ruhephasen hingegen sinkt der Spiegel der Stresshormone, der Puls wird ruhiger, und wir kommen wieder bei uns selbst an. Kreativität und Problemlösungen entstehen oft in Momenten, in denen wir scheinbar „nichts“ tun. Vielleicht kennst du es: Beim Duschen oder Spazierengehen taucht plötzlich die Lösung für ein Problem auf, über das du den ganzen Tag vergeblich nachgedacht hast. Genau deshalb sind Ruheinseln so wertvoll: Sie schenken uns Klarheit, Gelassenheit und neue Perspektiven.

 

 

Achtsamkeit als Tür zu Gottes Nähe

Heute boomen Konzepte wie Achtsamkeit und Meditation – ein Zeichen dafür, dass Menschen überall spüren, wie gut ihnen Momente der Stille tun und wie dringend wir sie in unserer hektischen Gesellschaft brauchen. Christen können solche „Methoden“ wertschätzend aufnehmen und mit ihrem Glauben verbinden. Gott ist sowieso da. Immer. Ganz nah bei uns. Was für eine Freude, wenn Achtsamkeit mir hilft, seine Anwesenheit deutlicher wahrzunehmen! Und was für ein Geschenk, Gott im meditativen Atemholen zu begegnen und mit ihm zur Ruhe zu kommen.

 

 

Eine Insel im Alltag – auch für dich

Nun, da wir geklärt haben, was mit „Ruheinseln“ gemeint ist, und warum sie uns nicht nur guttun, sondern schlicht nötig sind, kannst du einmal in dich hineinspüren: Wann hast du dir zuletzt so eine Insel der Ruhe gegönnt? Vielleicht erscheint dir dein Alltag gerade viel zu voll dafür. Doch schon ein paar Minuten am Tag können einen Unterschied machen.

 

Hast du eine Liste von Ruheinseln in deinem Kopf, die dir gefallen, die gut zu dir und deinem Alltag passen? Damit du immer wieder mal eine ansteuern kannst im stürmischen Alltag?

 

In den nächsten Artikeln dieser Reihe werden wir erkunden, wie du solche Oasen der Stille in dein Leben integrieren kannst – selbst dann, wenn rundherum der Trubel tobt.

 

Warum also nicht gleich damit anfangen? Nimm dir vor, diese Woche mindestens einmal bewusst aus dem Alltagsstress auszusteigen – sei es durch einen Spaziergang, ein stilles Gebet oder zehn Minuten Füßehochlegen. Nichts tun. Einfach nur sein. Und dann schau, was passiert. Ich bin sicher: Dein Körper und deine Seele werden es dir danken.

REFLEXIONSFRAGE

 

Was könnte in dieser Woche deine persönliche Ruheinsel sein – und wie kannst du dir ganz bewusst Zeit dafür freihalten?

Heiko Metz

doppelt Papa, ein bisschen Theologe, immer wieder Autor und mehr als gerne Dozent. Redaktionsleiter bei der „Stiftung Marburger Medien“. Außerdem: Bücher-Verschlinger, Gerne-Griller, Apple-Fanboy, Kaffee-Abhängiger. Und Marburger. Mehr unter www.heiko-metz.de, Instagram: @heikometz

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