Im ersten Teil zum Thema „Selbstfürsorge“ habe ich gezeigt, warum es im Leben nicht ausschließlich um Engagement und Selbstoptimierung gehen kann, sondern auch um die sichtbare Liebe zu sich selbst; darum, Verantwortung zu tragen für das, was einem anvertraut wurde: das eigene Leben.

 

Aber was ist Selbstfürsorge überhaupt? „Fürsorge für sich selbst“ – wie sieht das aus bzw. woran orientiert sie sich? Und: Worin ist sie begründet? Es ist genau wie bei der Fürsorge gegenüber einem anderen Menschen: Man überlegt und beobachtet, was die Person braucht. Bei einem Baby sind es Essen, Nähe und Geborgenheit, es will getröstet und beruhigt werden, gebadet werden und genügend schlafen, und auch die natürliche Neugier soll bedient werden. Und wenn der Mensch älter wird, kommen noch ein paar Sachen dazu. All das sind Dinge, die benötigt werden, damit wir als Menschen Mensch keinen Schaden nehmen an Körper, Geist und Psyche.

 

Genauso verhält es sich auch mit der Selbstfürsorge: Sie orientiert sich an dem, was wir brauchen, um keinen Schaden zu nehmen. Darum sprechen wir hier auch von „Bedürfnissen“ im Gegensatz zu „Wünschen“: Ich brauche Trinken, um nicht zu verdursten – aber ich brauche keinen goldenen Becher, um daraus zu trinken.

 

Was brauchen wir wirklich?

Der Psychologe Abraham Maslow hat zu Bedürfnissen sehr viel geforscht und diese ausführlich beschrieben. Seine Einteilung dazu – die „Maslowsche Bedürfnispyramide“ (siehe Grafik) – ist vielen theoretisch bekannt, in der praktischen Anwendung aber scheinen immer mehr Menschen ihre wichtigen Botschaften zu übersehen.

 

 Was wir wirklich brauchen: Die Bedürfnispyramide nach Maslow | stock.adobe.com, Augenblick

Was wir wirklich brauchen: Die Bedürfnispyramide nach Maslow | stock.adobe.com, Augenblick

 

Recht einfach scheint es noch zu sein, die körperlichen Bedürfnisse im Blick zu behalten: Schlafen, Essen, Trinken, Kuscheln und die Körperpflege – Gesundheitsvorsorge inklusive! Doch auch die Qualität der jeweiligen Einheiten müssen im Blick behalten werden:

 

→ Schlafen wir ausreichend?

→ Achten wir auf gute Schlafhygiene, indem wir z. B. ausreichend Lüften und keinen Fernseher oder Internet im Schlafzimmer haben?

→ Ist unsere Nahrung überwiegend gesund und hochwertig?

→ Trinken wir ausreichend (Wasser!)?

→ Können wir die regelmäßige Körperpflege auch wirklich genießen?

 

Oder sind das alles nur lästige Alltagsrituale? Vielleicht hilft ein Vollbad oder ein Saunagang, um in Ruhe darüber nachzudenken …

Selbstfürsorge orientiert sich an dem, was wir brauchen, um keinen Schaden zu nehmen.
Nähe und Grenzen

Wie bei so vielen, sind auch meine sozialen Bedürfnisse während der Pandemie zu kurz gekommen. Ich bin jemand, der wildfremde Menschen umarmen kann und es liebt, sich mit Freundinnen zu treffen und eine unbeschwerte Zeit zu haben. Das alles war ja in diesen Zeiten nicht so einfach. Allerdings hat es mich auch dazu gebracht, einmal eine ordentliche Bestandsaufnahme meiner Beziehungen und meines Freundeskreises zu machen:

 

→ Wer steht mir wie nahe?

→ Bei wem ist das Verhältnis von Geben und Nehmen in Balance?

→ Von wem werden meine Energiereserven jedes Mal angeknabbert?

 

Hier heißt gute Selbstfürsorge: Grenzen setzen. Abstand nehmen. Der soziale Bereich wird meines Erachtens oft in der Selbstfürsorge übersehen und ist doch Quelle von Wohlbefinden und Entspannung.

 

Sich selbst vor dem Abend loben

Ein weiteres Bedürfnis ist das nach Selbstwirksamkeit beziehungsweise nach Erfolg und Anerkennung: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir persönlich fällt es immer wieder schwer, zu akzeptieren, dass es wichtig und richtig ist, Lob und Anerkennung, Erfolg und Fortschritte zu feiern. Dabei machen Kinder uns vor, wie es geht: Diese strahlenden Augen, wenn sie etwas geschafft haben – einen Turm gebaut, die ersten Schritte gemacht oder ein „schönes“ Bild gemalt! Und wenn wir sie dann auch noch loben, können sie ganz aus dem Häuschen geraten!

 

→ Wo ist das bei uns verloren gegangen?

→ Wann haben wir damit aufgehört?

 

Wir sollen werden wie die Kinder, hat Jesus einmal gesagt – und das können wir sicher auch auf das Thema „Lob geben und annehmen“ beziehen: Fangen Sie also damit an, sich täglich mindestens dreimal zu loben und beobachten Sie, was sich in Ihnen und um Sie herum verändert!

Fangen Sie damit an, sich täglich mindestens dreimal zu loben und beobachten Sie, was sich in Ihnen und um Sie herum verändert!
Eintauchen in Gottes Shalom

Und letztendlich geht es noch um das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit und das Eingebundensein in etwas Großes, in etwas, das mein Denken und Fühlen übersteigt:

 

→ Passen in unseren vollen Kalender noch so etwas wie Wertereflexion und Engagement? ___STEADY_PAYWALL___

→ Nehmen wir das Bedürfnis ernst, uns mit dem zu verbinden, dessen Friede „alles Denken weit übersteigt“? (Philipper 4,7) Uns Zeit zu nehmen, um in Gottes Shalom zu verweilen, ohne To-do-Liste und ohne „Meilenstein“? 

 

So etwas ist vielleicht nicht so populär, aber unseren Bedürfnissen ist es ziemlich egal, was gerade en vogue ist! Meistens melden sie sich dann durch irgendeine Hintertür, die uns gar nicht gefällt. „Sich-Sorgen-Machen“ ist so eine Hintertür. Vielleicht überlegen wir das nächste Mal, wenn uns wieder etwas Sorgen macht, dass es eine „App“ gibt, mit der diese Sorgen gelöscht oder zumindest entschärft werden können: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“, sagt Jesus in Matthäus 11,28. Dafür dürfen wir uns Zeit nehmen!

 

Gute Selbstfürsorge heißt, dass ich gelernt habe, gut für meine Bedürfnisse zu sorgen. Dass ich sie kenne, sie ernstnehme und weiß, wie ich ihnen zu begegnen habe. Das kann durchaus variieren, von Mensch zu Mensch und von Jahr zu Jahr.

Selbstfürsorge ernstzunehmen heißt auch, dass ich weiß, dass ich wertvoll bin. Dass ich es wert bin, gut versorgt und umsorgt zu werden. Dabei darf ich Lernende(r) sein! Jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr ein wenig besser darin zu werden, wäre großartig. Und würde helfen, dass ich immer genügend Kraft habe, in dieser Welt etwas zu bewegen. In großen und kleinen Dingen, in unseren Familien und am Arbeitsplatz und nicht zuletzt in unseren Gemeinden.

Karin Maurer

ist Verhaltenswissenschaftlerin, systemische Beraterin und Burnout-Coach. Ihre Seminare bietet sie on- und offline an oder lädt zu einer Auszeit in die Schweiz ein. 

 

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