Kennst du dieses Gefühl: Allein zu sein mit deiner Situation? Zu denken, dass es niemand anderen auf der Welt geht wie dir? Und schlimmer noch: dass dich niemand versteht?

Als ich vor gut drei Jahren mein Buch „EINZELSTÜCK – Solo leben. Und zwar glücklich“ veröffentlichte, war die häufigste Leser-Reaktion: „Ich dachte immer, ich sei der/die Einzige auf der Welt, dem/der es so geht!“ Das hat mich sehr überrascht. Und traurig gemacht. Klar, nicht jeder Mensch erlebt dieselben Dinge auf dieselbe Weise. Aber meine Erfahrung hat mich gelehrt: Allein bin ich mit dem, was ich erlebe, nie! Woher kommt also dieses Gefühl, das auch ich nur allzu gut kenne? Es kommt vom Nicht-Teilen. Vom Nicht-Erzählen. Vom Bei-mir-Behalten. Oder kurz gesagt: Es kommt aus meiner Scham.

Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Allein bin ich mit dem, was ich erlebe, nie!

Scham ist das Single-Grundgefühl Nr. 1: Unser Beziehungsstatus ist uns oft peinlich – stimmt‘s? Wir schämen uns, weil wir „versagt“ haben, weil es offensichtlich niemand an unserer Seite aushält, weil wir mit niemandem über unseren Stand und unseren unglücklichen Zustand sprechen können.

Das Schlimme ist: Solche Gedanken zerstören uns. Sie rauben uns Lebendigkeit. Und Beziehungen. Denn mit Scham trauen wir uns immer weniger unter Leute. Ich erinnere mich gut an die große Geburtstagsfeier meines Bruders vor einiger Zeit: Alle hatten Partner oder Partnerin an der Hand, wahlweise auch ein Kind auf dem Arm – und ich? Ich habe mich geschämt. Was also tun mit diesem Gefühl?

 

1. Wahrnehmen und zulassen

Erforsche, woher genau das Gefühl kommt, in welchen Situationen sich dieses Gefühl besonders breit macht und was für ein Bedürfnis dahintersteckt. Mir hilft dabei immer die Gefühlslandkarte von Gerlinde Ruth Fritsch (aus ihrem Buch „Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator“). Daher mein Vorschlag: Geh doch das nächste Mal, wenn dir die Schamesröte ins Gesicht gestiegen ist, diese Punkte in Ruhe durch:

 

Das Gefühl, das ich wahrnehme: Welche Botschaft schickt mein Hirn gerade raus?

Zugehörige Gefühle: Welche Gefühle gehören noch dazu? Welche nehme ich außerdem wahr?

Auslöser: Was habe ich wahrgenommen – in welcher Situation trat das Gefühl auf?

Körperreaktionen: Wie macht mein Körper mir das klar? Wo im Körper und wie spüre ich das?

Gedanken: Was sagt mein Denken dazu?

Handlungsimpulse: Was mache ich folglich?

 

 

Meine persönliche Gefühlslandkarte zum Thema „Scham“ sieht in etwa so aus:

 

Zugehörige Gefühle: Einsam, traurig, fehl am Platz, unsicher, frustriert

Auslöser: Jemand stellt mich bloß, ich falle aus dem Rahmen (Da reicht ein Satz wie: „Das ist meine kleine Schwester, die ist noch Single!“)

Körperreaktion: Ich erröte, ich habe ein flaues Gefühl im Bauch oder einen Kloß im Hals, ich fühle mich wie gelähmt

Gedanken: „Ich bin falsch“, „Mit mir stimmt was nicht“, „Ich habe versagt“, „Ich will mich verstecken“

Handlungsimpuls: Ich ziehe mich zurück, versinke im Erdboden und sorge dafür, dass ich in so eine Situation nie wieder hineingerate!

 

 

2. Drüber sprechen

Wir Menschen teilen viel zu selten das, was wirklich wichtig ist. Wenn du diese oder ähnliche Gefühle wahrgenommen und zugelassen hast, dann geh den nächsten Schritt: Teile sie mit anderen!

 

Sich auszutauschen kann sehr, sehr heilsam sein. Du wirst merken, dass dieses „Ich dachte immer, ich sei der einzige Mensch auf der Welt, dem es so geht“-Gefühl schnell verfliegt.

Klar, mein Innerstes breite ich nicht vor jedem Menschen aus. Aber stell dir vor, du versammelst mal ein paar deiner Single-Freunde zu einer Selbsthilfegruppe! Klingt dramatisch, besagt aber vom Wort her nichts anderes, als dass ihr einander helft. Nichts anderes sind doch Kirchengemeinden (da helfen die Leute einander zu glauben), Sportgruppen (da helfen die Mitglieder einander mit Motivation zu Bewegung) oder Mutter-Kind-Kreisen (da helfen die jungen Mütter einander mit Tipps und Tricks rund ums Baby). Sich mit Gleichgesinnten auszutauschen kann sehr, sehr heilsam sein. Du wirst merken, dass dieses gängige „Ich dachte immer, ich sei der einzige Mensch auf der Welt, dem es so geht“-Gefühl schnell verfliegt. Und mit diesem Rückenwind kannst du Punkt drei angehen.

 

3. Hilfreiche Strategien entwickeln

Was tun, wenn du dich mal wieder schämst? Frage dich, welches Bedürfnis in diesem bestimmten Moment zu kurz kommt. Hinter meiner Scham stecken meist die Bedürfnisse nach Selbstwert, Selbstfürsorge und Nähe. Und wie begegne ich ihnen? Um meinen Selbstwert zu pushen, trete ich erst einmal in Beziehung zu mir selbst und schärfe mir selbst ein: „Tina, du bist gewollt, geliebt, wunderbar und einzigartig!“ Und dann schaue ich auf die Postkarte von einer lieben Freundin, die neben mir liegt und mir sagen will: „Du bist weder allein noch vergessen!“

Außerdem sorge ich gut für mich selbst. Das heißt: Ich überlege mir, wie ich meinen eigentlichen Handlungsimpuls so gestalten kann, dass er mir dient. Statt weglaufen – an die Hand von anderen klemmen! So geh ich zum Beispiel nie mehr allein auf Veranstaltungen, Hochzeiten, Feiern o. ä., wenn ich dort niemanden kenne. Und wenn ich weiß, dass ich andere dort kenne, nehme ich vorher schon Kontakt auf und stelle sicher, dass ich unter jemandes Fittiche schlüpfen kann. Das gibt mir im Vorfeld schon ein gutes Gefühl und macht Vorfreude möglich!

 

So, und jetzt du: Was sind deine Bedürfnisse? Und wie kannst du ihnen gut begegnen? Das wäre doch ein gutes Thema für die erste Runde deiner Single-Selbsthilfegruppe, oder? Mit mehreren Hirnen gleichzeitig hast du viel mehr Kreativität zur Verfügung, die du anzapfen kannst! Also, worauf warten? Gleich das Wohnzimmer herrichten und Single-Freunde einladen!

 

Tina Tschage

hat Theologie studiert und das Handwerkszeug der Redakteurin erlernt. Sie lebt als Single-Frau in einer christlichen Gemeinschaft in München und arbeitet als freiberufliche Coach, Speakerin und Autorin.

 

www.tina-tschage.de 

www.trau-frau.de

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