Sprache bedeutete mir in meinem Leben schon immer viel. Mein Vater, ein Sprachwissenschaftler, und meine Geschwister hatten eine große Vorliebe, den Wörtern auf den Grund zu gehen und ihre Bedeutung und Herkunft zu suchen. Kaum ein Tag verging, ohne dass jemand ein Lexikon aus unserer großen Bibliothek holte, um einem Wort auf die Spur zu kommen. Mir gefiel das schon als Kind gut. Es faszinierte mich.

 

Sprache ist ein zentrales Thema unseres menschlichen Miteinanders. Aus der Bibel erfahren wir, dass Gott die Welt aus dem Nichts durch sein Wort geschaffen hat. Nur mit seinem Wort! Gott sprach – und es entstand etwas: Licht, Erde, Pflanzen, Menschen. „Nur du hast Worte, die ewiges Leben schenken“, lesen wir in Johannes 6,68. Das bedeutet, dass Sprache Leben, ewiges Leben, schaffen kann.

 

Ändere deine Worte – ändere deine Welt

Hier brauchen wir meines Erachtens einen Kulturwandel, einen Sprachwechsel. Wie oft drücken wir uns missverständlich aus, wie oft schwingt Verachtung in unserer Sprache mit oder sogar Feindseligkeit, manchmal vielleicht auch als Ausdruck von verlorener Nähe. Wir können mit Sprache eine Verbindung herstellen, aber auch Gräben ausheben und andere von uns wegstoßen. In ihrem Buch „Selbstresonanz“ formuliert es die Neurowissenschaftlerin Sarah Peyton so: Eine Verbindung mit anderen oder dem Selbst entsteht, wenn die Worte resonant sind, während Worte, die kritisch, wertend oder versachlichend sind, das Gehirn spalten und Wärme im Keim ersticken.

 

„Bist du sicher, dass du das richtig gehört hast?“

 

„Du bist aber sehr empfindlich!“

 

„Das ist jetzt aber keine genaue Beobachtung!“

 

 

Solche Sätze mögen vielleicht sachlich richtig sein, mit einfühlsamem Zuhören haben sie aber nicht viel zu tun. Sie tragen wenig dazu bei, mit dem anderen in eine resonante, also mitfühlende und bedeutungsvolle Verbindung zu treten. Sprache aber, die Menschen nicht miteinander verbindet, gleicht eher leerem Geschwätz – und aus diesem entsteht kein Leben. Schon in den Sprüchen Salomos lesen wir: „Bloßes Gerede aber führt in die Armut!“ (Sprüche 14,23)

 

Als Menschen können wir mit unseren Worten also Leben erschaffen. Gott selbst hat uns diesen besonderen Teil seines Wesens geschenkt. Natürlich können wir mit unseren Worten nichts Materielles erschaffen. Aber wir sind befähigt, Immaterielles durch unsere Sprache entstehen zu lassen. Ein freundliches Wort kann den Tag unseres Gegenübers regelrecht zum Leuchten bringen.

Ein freundliches Wort kann den Tag unseres Gegenübers regelrecht zum Leuchten bringen.

Es macht deswegen auch einen enormen Unterschied, ob ich einem Kind sage: „Ich liebe dich!“, oder ob ich es andauernd kritisiere. Ein Kind muss spüren und hören, dass es geliebt wird. Der Neurobiologe und Hirnforscher Gerald Hüther spricht in seinem Buch „Werte – Was uns stark macht“ sogar davon, dass ein Kind mit einem inneren Kompass zur Welt komme, mit einem Gespür, einem tiefen Empfinden dafür, worauf es ankomme, worin seine Würde bestehe und was das Menschsein bedeute.

 

Woher aber weiß ein Kind das? Und woran merkt das Gehirn, dass etwas eingetreten ist, das nicht gut ist? Oder wissenschaftlicher ausgedrückt, dass Inkohärenz eingetreten ist? Ein kleines Kind kann schließlich noch nicht aus Erfahrung wissen, was gut und richtig ist, was andere Menschen tun dürfen oder sogar müssen und was nicht, wie sie mit ihm umgehen dürfen und sollten. Doch laut Gerald Hüther leuchtet in Kindern sehr wohl ein inneres Warnsignal auf, wenn etwas nicht passt.

 

Nicht in Form einer Vorstellung, einer Idee, einer Überzeugung oder gar einer Forderung, sondern als ein sehr zartes und das gesamte Kind durchströmendes Gefühl, eben als eine subjektive Empfindung. Das ist es, was alle Kinder schon mit auf die Welt bringen und was ihnen von Anfang an hilft, nicht alles mit sich machen zu lassen: ihr feines Gespür dafür, wie es richtig wäre, wie es selbst behandelt werden möchte und wie das Zusammenleben mit anderen gestaltet werden sollte, damit es gut – und jetzt dürfen wir den dafür passenden Begriff verwenden –, damit es menschlich, menschengemäß, also dem Menschen würdig ist.

 

Sarah Peyton erklärt diesen Zusammenhang auf körperlicher Ebene folgendermaßen: Das Verhältnis zwischen Worten und Taten wird vom Anterioren cingulären Cortex (ACC) – einem Teil des Gehirns, der zwischen dem Präfrontalen Cortex und dem limbischen Teil im Gehirn liegt – anhand der Kriterien Aufrichtigkeit, Übereinstimmung, Authentizität, Integrität und Wahrheit gemessen. Diskrepanzen sind also auch eine grundlegende Ursache von Angst.

 

Übereinstimmung und Authentizität sind für uns Menschen folglich wohltuend und entspannend! Und so dürfen wir zu Gestalterinnen und Gestaltern unserer Welt werden und müssen nicht länger Opfer unsere Worte bleiben. Wir können bewusst wählen, was wir sagen, um Inkohärenzen zu vermeiden, und dürfen uns selbst beobachten, um auf diese Weise mehr und mehr wahrzunehmen, wenn wir aus Angst oder einem anderen uns unangenehmen Gefühl heraus sprechen. In der Folge werden wir auch einmal schweigen, denn uns wird Stück für Stück bewusst werden, dass unsere Worte Macht haben.

 

Auch das hat Salomo in seinen Sprüchen wunderbar auf den Punkt gebracht: „Wer gern redet, muss die Folgen tragen, denn die Zunge kann töten oder Leben spenden“ (Sprüche 18,21). Nicht von ungefähr sprechen unzählige Bibelverse von der Wichtigkeit der Sprache, denn Sprache schafft Wirklichkeit.

 

Worte jedoch haben ihren Anfang immer in unserem Kopf. So wie wir denken, reden wir. Leider lassen wir das Denken oder zumindest das bewusste Denken oftmals weg. Dabei fühlt es sich nicht nur gut an, das eigene Leben, das Miteinander und Sprechen ins Bewusstsein zu holen, sondern es hilft auch dabei, aus der Fremdbestimmung auszubrechen, hinein ins gesunde Kommunizieren!

 

 

Die eigene Herzenssprache kennenlernen

„Sie werden neue Sprachen sprechen“, lese ich in der Bibel (Markus 16,17b). Und auch wenn Jesus hier die Sprachenrede meint, die wir durch den Heiligen Geist geschenkt bekommen, bedeuten diese Worte für mich auch, dass jeder Mensch herausgefordert ist, eine neue Sprache zu lernen. Eine ihm eigene Sprache, die übereinstimmt mit ihm und seinem Leben, eine Sprache, die Leben spendet.

 

Vielleicht kennst du den Film „Englisch für Anfänger“ – ein indischer Kinofilm, der viel mehr ist als nur ein Film über die Herausforderungen von Sprache. Mich hat er sehr berührt, denn er zeigt, dass Sprache erst dann wirklich ihren eigentlichen Zweck erfüllt, wenn sie zu einer Herzenssprache wird.

 

Der Film handelt von einer Frau namens Shashi, die mit ihrer Familie in Indien lebt. Ihr Ehemann und auch ihre Tochter machen sich immer wieder über ihr schlechtes Englisch lustig und demütigen sie, denn Shashis Muttersprache ist Hindi, und Englisch zu sprechen fällt ihr schwer.

Als Shashi nun zu den Hochzeitsvorbereitungen ihrer Nichte nach New York fliegt, beschließt sie heimlich, einen Englischkurs zu besuchen. Endlich hat sie die Möglichkeit, Englisch zu lernen, und mit jeder Unterrichtsstunde wächst ihr Selbstvertrauen. Doch ihre Nichte bekommt von Shashis geheimen Unterrichtstunden Wind und lädt heimlich den gesamten Englischkurs plus Lehrer zur Hochzeit ein.

 

Auf der Hochzeit hält Shashi dann eine herzerwärmende Rede, natürlich auf Englisch, wenn auch grammatikalisch nicht einwandfrei. Doch die Worte kommen aus der Tiefe ihres warmherzigen Wesens. Mit dieser Rede überrascht sie nicht nur die Gäste und rührt sie zu Tränen, auch ihr Ehemann und ihre Tochter erkennen beschämt, dass sie Shashi in der Vergangenheit nicht wertschätzend behandelt haben. Shashi dankt in ihrer Rede auch Laurent, einem Kollegen vom Kurs, der ihr ein guter Freund geworden ist und so zu ihrem neuen Selbstwertgefühl beigetragen hat. Er habe ihr geholfen, zu sich kommen zu können. Erstaunlicherweise gibt Shashi weder ihrem Ehemann noch ihrer Tochter die Schuld dafür, dass sie so schlecht behandelt worden ist, denn ihr Problem war – wie sie meint – nicht in erster Linie ihr Mann oder ihre Tochter, sondern sie selbst, weil sie nicht bei sich war.

 

Dieser Film macht einmal mehr deutlich: Es hat nichts mit Liebe zu tun, alles mit sich geschehen zu lassen, sich selbst gering zu achten und nicht für die eigenen Werte einzustehen. Auf diese Weise kann keine Verbundenheit mit sich und dem jeweils anderen entstehen. Denn mit sich selbst verbunden zu sein bedeutet auch, die eigenen Grenzen und die des anderen zu spüren und zu achten. Ist das nicht der Fall, kann eine Beziehung enorm kräftezehrend werden. In der Folge wird es immer wieder zu Verletzungen kommen, die einen aufreiben und zermürben. Meist stauen sich unausgesprochene Gefühle an und unangemessenes Verhalten wird irgendwann zur Regel. All das kann in einer Beziehung zu Verstrickungen führen, die irgendwann nur noch schwer zu lösen sind.

Es hat nichts mit Liebe zu tun, alles mit sich geschehen zu lassen, sich selbst gering zu achten und nicht für die eigenen Werte einzustehen.

Wendet man sich hingegen bewusst seiner verletzten Innenwelt zu und nimmt sich Zeit, zu reflektieren, den Schmerz zu fühlen und zu benennen, kann ein Heilungsweg beginnen. So kann zum Beispiel in einer Paarbeziehung, in der beide diesen Weg gehen, eine sehr schöne Verbindung entstehen, weil sich alte Erfahrungen transformieren. Dazu braucht es aber Offenheit, Ehrlichkeit, die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen – und eben Kommunikation: Worte, die wahrhaftig sind und von innen kommen. Wenn man in der Lage ist, zu sagen: „Es tut mir weh, wenn du das sagst oder tust. Ich brauche hier deine Unterstützung, deine Hilfe, deine Achtsamkeit, auch, um mich selbst anders betrachten und verhalten zu können“, dann öffnet sich ein wunderbarer neuer Weg. Wer seine Worte ändert, ändert seine Welt.

 

Gewaltfreie Kommunikation

Vor vielen Jahren nahm ich, angeregt durch ein Buch von Marshall B. Rosenberg, an einem Einführungsseminar zu „Gewaltfreie Kommunikation“ teil. Marshall B. Rosenberg (1934–2015), ein US-amerikanischer Psychologe und international tätiger Mediator, gilt als ihr Begründer. Sein Herzensanliegen war es, zur Veränderung gesellschaftlicher Strukturen beizutragen. Er war der Meinung, dass die Freude am einfühlsamen Geben und Nehmen unserem natürlichen Wesen entspricht, und er fragte sich, was genau geschieht, wenn wir die Verbindung zu unserer einfühlsamen Natur verlieren und uns schließlich gewalttätig und ausbeuterisch verhalten. Und auch umgekehrt: Was macht es manchen Menschen möglich, selbst unter den schwierigsten Bedingungen mit ihrem einfühlsamen Wesen in Verbindung zu bleiben?

 

Rosenberg war geprägt von einer nicht gerade gewaltfreien Kindheit und Jugend, auch wegen der gewaltsamen Rassenkonflikte 1943 in Detroit/Michigan, wo er mit seiner Familie lebte. Wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit wurde er regelmäßig von seinen Mitschülern geschlagen und schlug auch zurück. So war er immer wieder in Schlägereien verwickelt. Zur gleichen Zeit beobachtete er als Kind staunend, wie liebevoll sein Onkel seiner Mutter dabei half, seine sterbenskranke, gelähmte Großmutter zu pflegen. Der Onkel strahlte dabei, es schien ihn mit großer Freude zu erfüllen. Er fragte sich, warum das so ist. Warum es Menschen wie seinen Onkel gab und Menschen, die fähig sind, andere zu töten.

 

1963 entwickelte er die „Gewaltfreie Kommunikation“ als einen Weg zur Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen und einen Weg zur Konfliktlösung. Er beschäftigte sich mit den Umständen, die unsere Fähigkeit, einfühlsam zu bleiben, beeinflussen, und war erstaunt über die entscheidende Rolle der Sprache und des Gebrauchs von Wörtern. Dadurch entdeckte er einen spezifischen Zugang zur Kommunikation – zum Sprechen und Zuhören –, der die Möglichkeiten erweitert, selbst unter herausforderndsten Umständen menschlich zu bleiben. Rosenbergs Erbe lebt heute in der Arbeit unzähliger Menschen auf der ganzen Welt weiter, die die Gewaltfreie Kommunikation nutzen, um Beziehungen zu heilen, Konflikte zu lösen und Frieden zu schaffen.

 

Im Rahmen des Seminars stellte uns die Seminarleiterin dann auch das Vier-Schritte-Modell nach Rosenberg vor, das dabei hilft, eine einfühlsame Kommunikation zu verwirklichen. Dieses Modell kann helfen, mehr Bewusstheit in unsere Kommunikation zu bringen:

 

Beobachtung und Interpretation: Ich beschreibe eine konkrete Situation oder Handlung, die ich beobachtet habe, wertfrei in meinen eigenen Worten. Ich kann meine Beobachtung von meinen Interpretationen unterscheiden.

 

Gefühle und Gedanken: Ich drücke meine Gefühle aus, indem ich von mir spreche, und vermeide dadurch Anschuldigungen meines Gegenübers. Ich weiß, dass ein Gefühl etwas anderes ist als ein Gedanke.

 

Bedürfnis und Strategie: Ich kenne meine Bedürfnisse, die ich hinter meinen Gefühlen erkennen kann. Ich weiß, dass meine Bedürfnisse in meinen Verantwortungsbereich gehören und nicht ein anderer für deren Erfüllung zuständig ist. Ich habe die Wahl, meine Bedürfnisse durch unterschiedliche Strategien zu erfüllen.

 

Bitte und Forderung: Ich bitte mein Gegenüber wertschätzend um eine konkrete Handlung und akzeptiere ein eventuelles Nein auf meine Bitte. Ich kann Bitte und Forderung voneinander unterscheiden.

 

Mein erster Gedanke war: „Das ist ja einfach! Das ist nachvollziehbar, das kriege ich hin!“ Was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht ahnte: Das war erst der Anfang eines lebenslangen Lernprozesseses! Diese vier Schritte in mein Leben zu integrieren, sollte alles andere als einfach werden, wenngleich es umso bereichernder war.

 

Es ist, als würde man eine Fremdsprache lernen, bei der es viel mehr um meine Haltung als um die Richtigkeit der Wortwahl oder um rhetorische Techniken geht. Ja, es gilt, an der eigenen Haltung zu arbeiten, und das braucht Zeit. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Bewusstheit.

ALS ERINNERUNG

 

Ich darf alles fragen und alles offen auf den Tisch legen.

 

Ich darf mich trauen, Ungewohntes zu fragen. Ich muss nichts vortäuschen.

 

Ich darf sagen, was ich denke und fühle.

 

Ich möchte mich von Herzen darüber freuen, ich zu sein.

 

Ich übernehme die volle Verantwortung für meine Sprache, meine Handlungen und meine Gefühle. Das schließt auch die Dinge ein, die ich unterlasse, zu tun.

 

Ich sehe mich nicht mehr als Opfer. Ich bin für meine Sprache verantwortlich und werde mir dessen mehr und mehr bewusst.

 

Es braucht Zeit, eine neue Sprache zu lernen, eine Sprache des Lebens, eine Sprache des Friedens, eine Sprache des Herzens. Und das ist in Ordnung.

 

Ich möchte mit anderen Menschen reden statt über sie. Ich trage nicht dazu bei, Gerüchte zu schüren.

Der vorliegende Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus Elisabeth Haags Buch „Einander verstehen lernen“, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags SCM R. Brockhaus.

Elisabeth Haag

ist Pädagogin und zertifizierte Kommunikationstrainerin („Center for Nonviolent Communication“). Sie absolvierte zahlreiche Aus- und Weiterbildungen im psychotherapeutischen Bereich und arbeitete an verschiedenen Schulen als Beratungslehrerin. Die Haltung der Gewaltfreiheit in Kursen, Vorträgen und Übungsgruppen einzuüben ist ihr ein großes Anliegen. Mit ihrem Mann lebt sie im Bezirk Salzburg, die beiden haben zwei erwachsene Söhne. Ihr Buch „Einander verstehen lernen“ ist vor kurzem bei SCM R. Brockhaus erschienen.

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