MINDO: Herr Hipler, selbst das verliebteste Paar findet sich irgendwann im Beziehungsalltag wieder und die Partner bemerken überrascht, wie unterschiedlich sie doch sind. Was genau passiert da eigentlich?

 

HIPLER: Die meisten Paare sind „Gegensatzpaare“. Daraus ergibt sich zunächst eine starke Anziehungskraft. Doch Verliebtheitsgefühle haben ein Verfallsdatum, und die Unterschiede, die dann stärker hervortreten, sorgen dafür, dass die beiden Partner, die sich einst anziehend fanden, nun aneinander leiden. Da hört man dann Sätze wie: „Ich wusste ja, dass du anders bist – aber so anders?! Das finde ich jetzt schwierig!“

 

Diese Unterschiedlichkeit rührt zum einen daher, dass wir natürlich unterschiedliche Prägungen erfahren haben, aber auch daher, dass wir schlicht unterschiedliche Typen sind. Und auch die geschlechtstypischen Unterschiede fallen hier ins Gewicht, Männer und Frauen ticken in vielem einfach anders. Und: Jede und jeder hat andere Vorstellungen von und Erwartungen an eine Beziehung.

 

 

Wie findet ein Paar aus dieser Verständnis-Krise heraus?

 

HIPLER: Indem es lernt, über seine Unterschiedlichkeiten hinweg Brücken zum anderen zu bauen und einander entgegenzukommen. Nun geschieht Brückenbauen in erster Linie durch eine gute Kommunikation. Doch genau hier erleben Paare oft, dass sie in Machtkämpfe hineingeraten: Wer hat recht? Wer setzt sich durch? Wessen Bedürfnisse werden erfüllt und wer bleibt eher auf der Strecke?

Diesen Weg einer destruktiven Kommunikation muss es hinter sich lassen, denn er führt in die Entzweiung und schlimmstenfalls in die Trennung. Paare stehen also vor der Herausforderung, auf eine konstruktive und angemessene Art und Weise ihre Konflikte besprechen zu lernen.

 

 

Und das geht wie?

 

HIPLER: Die Paarforschung sagt dazu etwas Interessantes: Paare, die sich schonen, also die versuchen, Konflikte zu vermeiden, erleben, dass es ihnen zunächst besser geht, weil ja alles harmonisch bleibt. Auf Dauer geht es ihnen aber sehr viel schlechter, als Paaren, die Konflikte offen austragen. Denn wenn sich Dinge ansammeln und nicht besprochen werden, führen sie letztlich in eine zunehmende Distanz.

Darum kann ich Paaren nur raten: „Schont euch nicht! Bringt die schwierigen Themen auf den Tisch, auch wenn das zunächst Spannungen verursacht. Aber auf Dauer werdet ihr davon profitieren, denn es wird euch sowohl als Individuen als auch als Paar reifen lassen und weiterbringen.“

 

Verliebtheitsgefühle haben ein Verfallsdatum. Die Unterschiede, die dann stärker hervortreten, sorgen dafür, dass Paare, die sich einst anziehend fanden, nun aneinander leiden.

Was erschwert eine gute Beziehung denn am meisten?

 

HIPLER: Viele bringen Idealvorstellungen mit in die Beziehung. Wir alle haben so unsere Vorstellung davon, wie Liebe auszusehen hat, damit sie uns immer glücklich macht, die Leidenschaft lebendig bleibt und es stets eine große Harmonie gibt. Doch dann erlebt man, wie sehr die eigene Beziehungsrealität von diesem Ideal abweicht. Das ist an sich noch nicht schlimm. Problematisch jedoch ist, dass heutzutage die Bereitschaft, die Beziehung aufzugeben, oft höher ist, als die Bereitschaft, die eigenen Ideale mal beiseite zu legen. Hier wäre es angebracht, realistischer über Beziehung, Liebe und Partnerschaft denken zu lernen.

 

 

Ist das nur ein Eindruck – oder funktionierten die Beziehungen der Generationen vor uns oft besser?

 

HIPLER: Ich glaube, früher war die Gewichtung eine andere. Werte wie Ehe, Familie und Kinder, aber auch Ehe als Versorgungsgemeinschaft, waren so zentral, dass man eher bereit war, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen. Und ganz sicher war auch die Leidensbereitschaft ausgeprägter. Krisen wurden eher durchgestanden, weil man wusste, dass Ehe nicht immer nur ein Zuckerschlecken ist.

 

Hier ist definitiv eine Veränderung eingetreten. Die eigene Bedürfnislage steht heute viele stärker im Vordergrund. Sprich: Wenn mich die Beziehung nicht mehr erfüllt, bin ich viel eher bereit, aus ihr herauszugehen und mich zu trennen. Und dann gibt es natürlich noch den gesamtgesellschaftlichen Aspekt der Multioptionalität: „Wenn es mit dem oder der nicht klappt, dann melde ich mich halt bei Parship an und bin in 11 Minuten wieder neu verliebt!“ Das verleitet viele dazu, viel zu früh aufzugeben, statt zu sagen: „Wir haben jetzt eben mal eine Wüstenzeit von ein oder zwei Jahren, aber wir gehen da durch und kommen am Ende gestärkt heraus!“

Stichwort „Leichter lieben“: Was macht uns das Lieben eigentlich schwer?

 

HIPLER: Ich glaube, dass es einen zentralen Zusammenhang zwischen der partnerschaftlichen Beziehung und der Beziehung gibt, die ich zu mir selber habe. Ein Mangel an Selbstannahme und Selbstliebe beinhaltet auch immer einen Mangel an Akzeptanz des anderen. Das heißt im Umkehrschluss: Je besser ich mit mir selber umgehen kann, je zufriedener ich mit mir bin, desto größer wird auch die Zufriedenheit sein, die ich mit dem Partner erlebe. Wenn ich mich akzeptiere, wie ich bin, und auch Mitgefühl für mich selber habe, werde ich auch viel eher bereit sein, den anderen mit seinen Ecken und Kanten anzunehmen und auch Mitgefühl für ihn zu entwickeln. Im Idealfall ist beides im Gleichgewicht, nach dem Motto: „Liebe dich selbst und du wirst auch liebevoll mit dem anderen klarkommen.“

Ein Mangel an Selbstannahme und Selbstliebe beinhaltet auch immer einen Mangel an Akzeptanz des anderen.

Das heißt, mehr Leichtigkeit für die Liebe finden wir letztlich vor allem durch mehr Selbstannahme?

 

HIPLER: Ja. Denn mein Lebensgefühl wird von mehr Leichtigkeit geprägt sein, wenn ich mich selber leiden kann und mich in meiner Haut wohlfühle. Und auch, wenn ich weiß, was mir guttut und was nicht, ich also eine gute Selbstfürsorge praktiziere. Diese Leichtigkeit strahlt dann auch in die Partnerschaft hinein. Und das auch, weil ich die Beziehung nicht mehr mit Erwartungen wie „Du bist dazu da, meine Bedürfnisse zu erfüllen, damit es mir gutgeht!“ überfrachte.

 

 

Welche hilfreichen Impulse kann hier der christliche Glaube geben?

 

HIPLER: Wenn ich in Verbindung zu Jesus Christus lebe, dann fließt mir von ihm ja sehr viel zu: Annahme, Liebe, Zuspruch. Und dazu eine generelle Orientierung für das, was ihm Leben wichtig und weniger wichtig ist. Ich fühle mich gehalten und gestärkt.

 

Wenn nun auf diese Weise meine Seele erfüllt ist und bestimmte Grundbedürfnisse durch den Glauben abgedeckt sind, dann habe ich auch etwas zum Weitergeben. Dann ist die Partnerschaft für mich nicht mehr die einzige und exklusive Quelle für Lebensfreude, sondern es kann etwas von dem, was ich von Gott bekomme, zu dem anderen weiterfließen.

 

Hinzu kommt: Wenn ich weiß, dass ich von Gott her jeden Tag neu anfangen kann, weil ich aus seiner Vergebung heraus lebe, weil er gnädig ist und mich aushält, wie ich bin, kann ich auch gegenüber dem Partner oder der Partnerin vergebungsbereiter sein. Dann fangen wir auch als Paar jeden Tag neu an und wir werden einander nicht alle möglichen Versäumnisse über Jahre hinweg hinterhertragen. Insofern bringt eine positive Gottesbeziehung auch Leichtigkeit in die Liebesbeziehung.

 

 

Ein letztes Wort: Liebe braucht Leichtigkeit, weil …

 

HIPLER: … weil Leichtigkeit positive Gefühle fördert, indem ein Paar miteinander Spaß erlebt und damit auch den Nährboden für Lust und Leidenschaft behält. Viele von uns müssen Tag für Tag hart arbeiten, wir müssen in so vielen Bereichen funktionieren, Verantwortung und Pflichten wahrnehmen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns kleine Inseln bewahren, wo wir einfach nur sein dürfen. Und uns Oasen schaffen, in denen wir als Paar etwas Schönes erleben, Zweisamkeit kultivieren, und inmitten aller Herausforderungen immer noch etwas zu lachen haben.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Die Fragen stellte Sabine Müller.

Matthias Hipler

betreibt eine Praxis für Paartherapie, Psychotherapie und Coaching in Hanau.

 

www.psychotherapie-hipler.de

 

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