Elf Jahre Hoffen und Bangen. Als Kind war die Tochter meiner Patentante an Leukämie erkrankt. Therapien ohne Ende. Dazwischen immer wieder gute Phasen. Urlaub in Holland, Wanderungen durch die Eifel. Gine machte Abitur, fuhr mit Freundinnen nach Italien. Dort bekam sie den nächsten Schub. Unaufhaltsam diesmal. Sie verbachte Monate im Klinikum, die Ärzte taten alles. Aber sie starb, mit 22 Jahren. Ich fuhr sofort zu Tante Renate und ihrer Familie. Weinend öffnete sie die Tür. Wir standen noch im Flur, als sie zu mir sagte: „Was mir Mut gibt, das hier durchzustehen, ist ein Satz von Jesus: ,An jenem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen.‘ Weil es im Himmel Antwort gibt.“ (siehe Johannes 16,23)

 

Vorbild in Leben und Glauben

Tante Renate, mein großes Vorbild. Als ich 13 war, wollte ich so werden wie sie. Sie strahlte immer unbändigen Mut und Lebensfreude aus. War eine begeisterte Pfarrfrau, kümmerte sich mit hinreißender Herzlichkeit um Alte und Kranke. Dabei hätte sie allen Grund zum Jammern gehabt. Ihr erster Verlobter starb ganz plötzlich kurz vor der Hochzeit. Dann die lange Krankheit und der Tod von Gine.

Ich konnte es nicht fassen, aber Tante Renate hatte mit dem Text offenbar keine Probleme.

Doch damit nicht genug. Mit Anfang 50 wurde bei Tante Renate Krebs festgestellt. Zuerst sah es so aus, als sei mit einer Operation alles gut. Doch ein Jahr später bekam sie ein bösartiges Sarkom – und da wusste sie, dass sie nicht mehr gesund werden würde. Aber nicht, dass sie sich nun hängen ließ und nur noch über ihre Krankheit sprach. Ihr waches Interesse an anderen Menschen war ungebrochen. Auch sich selbst gab sie nicht auf. Musik war schon immer eine ihrer Leidenschaften gewesen, Orgelspielen im Gottesdienst, Opern und Operettenarien auf dem Klavier. „Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst“ oder „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“! Sie kannte sie alle auswendig und lief immer singend durchs Haus. Egal, ob sie Fenster putzte oder dem Kirchenvorstand Kaffee kochte. Nun kauften sie und ihr Mann eine teure Orgel für zu Hause. Daran freute sie sich wie ein Kind.

 

 

Tod, wo ist dein Stachel?

Ich denke an einen Besuch bei ihr. Sie war gerade aus dem Krankenhaus entlassen, hatte starke Schmerzen. Doch zum Kaffeetrinken wünschte sie sich das Lied: „Lobe den Herren“. Ich konnte vor Tränen nicht mitsingen. Aber sie spielte auf ihrer Orgel und sang dazu laut alle fünf Strophen: „… der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“ Ich konnte es nicht fassen, aber Tante Renate hatte mit dem Text offenbar keine Probleme.

 

 

MEHR MUTWORTE

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„An jenem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen.“ Tante Renate grübelte nicht über das Warum. Mit Mut und Tatkraft ging sie an, was noch zu regeln war. „Weißt du, es ist ja gar nicht um mich“, sagte sie mir bei einem Besuch, „um meinen Mann mache ich mir Sorgen. Was soll aus ihm werden, wenn ich nicht mehr bin?“ Und so organisierte sie noch auf dem Sterbebett, dass er eine ihrer verwitweten Freundinnen traf.

 

Die Lieder und den Bibelvers für ihre Beerdigung suchte sie selber aus und schrieb sie auf. Ein weißer Sarg, und lauter Lieder von Auferstehung und Hoffnung. Der Predigttext war: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.“

 

Nun ist sie bei Jesus – und ihre Fragen sind beantwortet.

Luitgardis Parasie

ist systemische Familientherapeutin und Pastorin einer evangelischen Kirchengemeinde. Sie ist verheiratet mit dem Arzt und Psychotherapeuten Dr. Jost Wetter-Parasie, mit dem sie gemeinsam das Buch „Starke Mütter, starke Töchter“ verfasst hat (Neukirchener Verlag). Das Paar hat drei erwachsene Töchter und mehrere Enkelkinder.

 

www.wetter-parasie.de

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